Offener Brief an Merkel und Co.
Zwei inhaftierte Journalisten der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“ haben von EU-Spitzenpolitikern ein klares Bekenntnis zur Presse- und Meinungsfreiheit gefordert. In Briefen appellierten der „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar und Hauptstadtkorrespondent Erdem Gül an die EU, für eine Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingskrise nicht ihre Werte zu verraten.
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Dündar und Gül waren am Donnerstag wegen des Verdachts auf Terrorismus, Spionage und Geheimnisverrat in Untersuchungshaft genommen worden. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte im Mai persönlich Strafanzeige gegen „Cumhuriyet“ erstattet, weil die Zeitung Fotos von der Durchsuchung eines Lastwagenkonvois des türkischen Geheimdienstes MIT im Jänner 2014 veröffentlicht hatte, der angeblich Waffen für die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien transportierte.
Scharfe Kritik an Regierung
In ihren Schreiben an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef Francois Hollande und den britischen Premierminister David Cameron äußern die beiden Journalisten die Hoffnung, dass die Suche nach einer Lösung zur Steuerung der Flüchtlingswanderung Richtung Europa die EU bei den Verhandlungen mit Ankara nicht davon abhalten werde, „die westlichen Werte wie Bürgerrechte, Meinungs- und Pressefreiheit hoch zu halten und sie zu verteidigen“.
Die gemeinsamen Werte könnten nur durch Solidarität und eine gemeinsame Haltung bewahrt werden, schreiben Dündar und Gül aus dem Silivri-Gefängnis bei Istanbul in der jeweiligen Landessprache der Adressaten. Der türkische Regierungschef Ahmet Davutoglu repräsentiere eine Regierung, die „jede Achtung und jeden Respekt für die Meinungs- und Pressefreiheit vermissen“ lasse.
Demonstration in Istanbul
Die Festnahmen Güls und Dündars waren auf breite Kritik gestoßen, die EU-Kommission sprach von einer „beunruhigenden Situation“. Am Sonntag versammelten sich mehrere hundert Demonstranten vor der „Cumhuriyet“-Redaktion in Istanbul, darunter zahlreiche Journalisten und Oppositionspolitiker. Auf Schildern stand „Wir verteidigen die Pressefreiheit“ und „Die freie Presse wird nicht schweigen“. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu von der CHP bezeichnete die Festnahme der zwei Journalisten als „schwarzen Fleck in der Geschichte der Presse“. „Wir haben die Verantwortung, die Medien und die Demokratie zu schützen“, sagte er bei der Demonstration.
Gipfel überschattet
Bundeskanzler Werner Faymann sagte vor dem Gipfel, „die Frage von Rechtsstaat, von Demokratie, von Minderheiten“ sei natürlich immer ein Thema. Er sei überzeugt davon, „dass man auch die Fragen des Grenzraums und die Fragen der Flüchtlinge intensiv vorantreiben kann, ohne deshalb aufzugeben“, dass man für Freiheitsrechte auf der ganzen Welt sei, sagte der Bundeskanzler. Wenn man den Dialog mit der Türkei „nicht führt und über Flüchtlinge mit der Türkei nicht spricht, hat man nichts gewonnen, sondern nur gemeinsam verloren“, so Faymann.
Ulrike Lunacek, Vizepräsidentin des EU-Parlaments, hatte zuvor davor gewarnt, den Gipfel von EU und Türkei zu einem „Kniefall (...) vor dem immer autoritärer agierenden türkischen Präsidenten“ Erdogan „verkommen“ zu lassen. Die Lösung für die Flüchtlingsfrage könne kein fauler Kompromiss unter dem Motto „Geld und Visa für die Türkei und dafür weniger Flüchtlinge für die EU“ sein. Die Aufnahme der Flüchtlinge sei eine gemeinsame Herausforderung. Finanzielle Unterstützung für die Türkei sei „richtig, aber nicht ohne Bedingungen“. So sollte sie über Organisationen wie das Flüchtlingshochkommissariat der UNO (UNHCR) laufen.
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