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Enge Verbindungen über Grenze hinweg

Als türkische Regierungspolitiker nach dem Abschuss des russischen Kampfflugzeugs an der syrischen Grenze die Aktion ihrer Luftwaffe gerechtfertigt haben, haben sie unter anderem auf Angriffe der Russen auf die syrischen Turkmenen verwiesen.

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Moskau gebe vor, im Gebiet Bayirbucak nahe der türkischen Grenzprovinz Hatay gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorzugehen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan, aber das sei nicht richtig: „Dort leben nur die Turkmenen von Bayirbucak, es sind unsere Stammesgenossen, unsere Verwandten.“ Die Turkmenen, ein Turkvolk in Syrien, sind Verbündete Ankaras im Syrien-Konflikt.

1921 von türkischer Republik getrennt

Bis zu 3,5 Millionen Turkmenen leben jenseits der türkischen Südgrenze, genaue Zahlen sind nicht bekannt. Die Volksgruppe, die einen türkischen Dialekt spricht, siedelt seit dem 11. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Syriens. Bei der Festlegung der Grenze zwischen der Türkei und Syrien 1921 wurden turkmenische Siedlungsgebiete von der türkischen Republik getrennt. Entsprechend eng sind die Verbindungen über die Grenze hinweg, die bis heute fortbestehen. Einige türkische Parlamentsabgeordnete bezeichnen sich als Bayirbucak-Turkmenen. In Syrien fühlen sich die Turkmenen als unterdrückte Minderheit.

Im syrischen Bürgerkrieg stehen die Turkmenen deshalb auf der Seite der Rebellen. Syriens Präsident Baschar al-Assad sieht die Mitglieder der sunnitisch-muslimischen Minderheit als potenzielle Aufständische in der Nähe von Latakia. Die Gegend um die Hafenstadt ist das Machtzentrum der zum schiitischen Islam gehörenden Alawiten, die vor allem an der syrischen Mittelmeer-Küste wohnen und zu denen Assad selbst gehört.

Türkei beklagt Angriffe durch Russland

Türkische Politiker wie Erdogan beklagen, die syrische Armee und die russische Luftwaffe gingen in jüngster Zeit verstärkt gegen die Turkmenen vor. Tausende Turkmenen seien deshalb bereits in die Türkei geflohen. In der türkischen Presse wird spekuliert, Assad und Russland wollten für die Regierungsseite im Bürgerkrieg möglichst viele Geländegewinne herausschlagen, bevor Anfang des neuen Jahres möglicherweise Gespräche über einen Waffenstillstand beginnen. Nach türkischen Medienberichten lagen turkmenische Gebiete entlang der türkischen Grenze auch am Mittwoch erneut unter heftigem Beschuss.

Eigene turkmenische Miliz

Mit einer eigenen Miliz, der Syrischen Turkmenen-Brigade, beteiligen sich die Turkmenen an den Kämpfen gegen Assad. Die Truppe ist bis 10.000 Mann stark und soll in den vergangenen Jahren mehrmals Waffen aus der Türkei erhalten haben, was von Ankara nur halbherzig dementiert wird.

Dennoch klagen die Turkmenen immer wieder über fehlendes oder unzureichendes Kriegsgerät. Nur wenige Tage vor dem Abschuss des russischen Jets hatten turkmenische Kommandeure die Lieferung von Luftabwehrwaffen verlangt, um sich gegen russische Kampfflugzeuge zur Wehr setzen zu können.

Unterstützung durch Nationalisten

Auch in den türkischen Plänen zur Einrichtung einer Schutzzone in Nordsyrien spielen die Turkmenen eine wichtige Rolle. Laut Presseberichten erklärten sich die Turkmenen bereit, die Pufferzone mit mehreren tausend bewaffneten Kämpfern zu sichern. Die Türkei soll bereits mit der Ausbildung von Turkmenenkämpfern für diese Aufgabe begonnen haben.

Insbesondere rechtsgerichteten Gruppen in der Türkei liegen die Turkmenen als Brudervolk am Herzen. Immer wieder protestieren Nationalisten gegen das russische Vorgehen in Syrien, doch nicht immer sind die Veranstaltungen durchdacht. Vor einigen Tagen zogen erneut rechte Demonstranten durch die Innenstadt von Istanbul, um die Moskauer Hilfe für Assad und die Offensive gegen die Turkmenen anzuprangern. Allerdings bewarfen die Nationalisten am Ende ihres Protestmarsches nicht das russische, sondern das in der Nähe gelegene niederländische Konsulat mit Eiern - die Flaggen beider Länder ähneln einander.

Thomas Seibert, AFP

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