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„Das ist irrational“

In Belgien, einem ohnehin tief gespaltenen Land, ist der zuletzt neu entflammte Mayonnaisestreit eine hochpolitische Angelegenheit. Nicht, weil sie von Demonstranten gern auch mal zum nonverbalen Beflegeln von Politikern benutzt wird, sondern weil Mayonnaise eines der wenigen Dinge neben dem Königshaus ist, worin sich Flamen und Wallonen einig sind.

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Dass der nationale Verband der Lebensmittelerzeuger FEVIA nun die Aufhebung eines aus den 1950er Jahren stammenden Gesetzes fordert, das die Zusammensetzung der Sauce genau festlegt, löste zuletzt einen Sturm der Entrüstung in Belgien aus. Die Regierung reagierte umgehend und setzte eine Vermittlungskommission ein, um die Debatte, die aus dem Ruder zu laufen drohte, rasch einzufangen.

Mayo vs. Dressing

Belgiens Produzenten beklagen, sie seien gegenüber der ausländischen Konkurrenz benachteiligt. Der Grund: Während etwa französische und deutsche Mayoproduzenten relativ freie Hand haben, was und wie viel sie wovon in ihre Mayonnaise geben, gelten für belgische Hersteller jahrzehntealte nationale Bestimmungen.

Imbissstand in Brüssel

ORF.at/Guido Tiefenthaler

Typischer Imbiss für Zwischendurch, hier auf der Brüsseler Place Flagey - doppelt in Rinderfett gebratene Pommes mit viel Mayonnaise

So muss Mayonnaise mindestens 80 Prozent Fett enthalten und mindestens 7,5 Prozent Eidotter. Zwar dürfen auch belgische Produzenten Mayonnaise mit nur 70 Prozent Fett und weniger herstellen, sie allerdings nicht mehr als solche bezeichnen - nach belgischem Gesetz ist das dann lediglich ein schnödes Dressing. „Aber welcher Belgier verwendet schon ein Dressing, wenn er Mayo essen will?“, beklagt sich Nicolas Courant, Sprecher der Lebensmittelindustrie, im ORF-Interview.

Mayonnaise in einem Supermarktregal

ORF.at/Guido Tiefenthaler

Auch kleine Märkte bieten mehrere Laufmeter an Mayo in allen Variationen

Es gehe der Industrie schlicht um Chancengleichheit, so Courant. Ausländische Produzenten könnten nämlich ihre Produkte, die durch die Bank weniger als 80 Prozent Fettanteil haben, auch in belgischen Supermärkten als Mayonnaise verkaufen. Möglich machen das die Regeln des EU-Binnenmarkts. An das königliche Edikt aus dem Jahr 1955 sind Länder wie Spanien, Frankreich und Italien hingegen nicht gebunden.

Im Interesse der Konsumenten

Die Bedenken der Belgier, die um die Qualität ihrer Mayonnaise und das gewohnte Geschmackserlebnis bangen, versucht Courant mit einem gesundheitlichen Argument aus dem Weg zu räumen. Auch die Belgier würden immer gesundheitsbewusster und wollten weniger fetthaltig essen. Es sei daher im Interesse der Konsumenten, wenn mehr Light-Produkte angeboten würden.

Und zudem gehe es auch nicht darum, keine 80 Prozent fetthaltige Mayonnaise mehr zu produzieren, so Courant. Diese solle es natürlich weiterhin geben, künftig aber mit der Zusatzbezeichnung „traditionell Belgisch“ kenntlich gemacht. Anders gesagt: Der Industrie geht es um ein Upgrade - belgisches Dressing soll zu Mayonnaise und bisherige Mayonnaise zu „traditionell belgischer Mayonnaise“ aufgewertet werden.

Es sei jedenfalls „eine beinahe irrationale Vorstellung“, dass eine Aufhebung des königlichen Erlasses die Standards senken würde, beklagt FEVIA-Sprecher Courant. Auch den Vorwurf, die Lebensmittelhersteller wollten ihre Gewinnmarge erhöhen, indem sie billiger produzieren, weist Courant zurück.

„Niemals gesund“

Genau hier widersprechen aber Konsumentenschützer und Ernährungswissenschaftler. Sie erklären vor allem das Gesundheitsargument für Humbug. Simon November von der Konsumentenschutzorganisation Test Achats betont, Mayonnaise sei „niemals gesund“.

Belgiens Prämierminister Charles Michel wird mit Mayonnaise angespritzt

picturedesk.com/AFP/Laurie Dieffembacq

Nur äußerlich fett: Premier Charles Michel 2014 im Mayo-Gewitter

Um den Geschmacksverlust, der bei geringerem Fettgehalt eintritt, zu kompensieren, müssten mehr Kohlenhydrate - sprich Zucker - hinzugefügt werden, erklärt die Diätologin Sabrina Mattens gegenüber dem ORF. Genau das würde die Light-Varianten letztlich „noch ungesünder“ machen, so November. Und Mattens betont, dass das Beiwort „light“ schnell dazu verführe, zu glauben, man könne mehr davon essen. Mattens gibt daher klar der fetthaltigeren Mayo den Vorzug.

„Nie jemand danach gefragt“

Trotzdem ist der belgische Lebensmittelverband FEVIA optimistisch. Die Debatte habe es immer wieder gegeben, doch nun werde erstmals ernsthaft zwischen Industrievertretern, Konsumentenschützern und Ministerium über eine Änderung des Gesetzes verhandelt.

An einem der belgischen Hauptumschlagplätze für Mayonnaise, dem bei Einheimischen wie Touristen beliebten Brüsseler Imbissstand Chez Antoine, geht das Hickhack über den Fettgehalt von Mayo spurlos vorbei. In teils langen Schlangen stellen sich hier die Menschen an und warten geduldig auf ihre Tüte Pommes mit Mayo. Und Dominique Bonnier von Chez Antoine macht klar: „In den 15 Jahren, die ich hier arbeite, hat mich noch nie jemand um Light-Mayonnaise gefragt.“

Cornelia Primosch und Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel

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