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Identität noch unklar

In der bei einem Anti-Terror-Einsatz gestürmten Wohnung im Pariser Vorort Saint-Denis, bei der auch der mögliche Drahtzieher der Anschläge mit 130 Toten, Abdelhamid Abaaoud, getötet wurde, ist ein weiterer weiblicher Leichnam gefunden worden. Die Identität der Toten sei noch unklar, sagte die Pariser Staatsanwaltschaft am Freitag.

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Damit gab es bei dem Einsatz am Mittwoch drei Tote. Dabei sprengte sich vermutlich eine Frau selbst in die Luft, allerdings müssen in diesem Fall die Untersuchungen noch letzte Klarheit schaffen. Es soll sich um eine Cousine Abaaouds namens Hasna Ait Boulahcen handeln, verlautete am Donnerstag aus Ermittlerkreisen in Paris. Die Frau hatte am Mittwoch einen Sprengstoffgürtel gezündet, als Sondereinheiten die Wohnung stürmten.

Laut Aussage ihres Bruder hatte sich die junge Frau im vergangenen halben Jahr radikalisiert und angefangen, einen Ganzkörperschleier zu tragen. Vor drei Wochen sei sie in den Pariser Vorort Drancy gezogen. Dort lebte auch der frühere Busfahrer Samy Amimour, der am Freitag vergangener Woche mit zwei weiteren Angreifern 89 Menschen in der Pariser Konzerthalle Bataclan tötete.

Polizei bei der Stürmung der Wohnung

APA/EPA/Ian Langsdon

Die Gegend war während des Einsatzes abgeriegelt

Abaaoud nach Anschlägen von Metrokamera erfasst

Abaaoud wurde am Abend der Attacken in einer Metrostation östlich der französischen Hauptstadt erfasst. Der Sender BFMTV veröffentlichte am Freitag ein Foto, das den 28-Jährigen am Freitag vergangener Woche in der Metrostation Croix de Chavaux in Montreuil zeigen soll. Nach Informationen des Senders France Info wurde Abaaoud von einer Kamera der Verkehrsgesellschaft RATP erfasst, als er um 22.14 Uhr die U-Bahn-Station betrat. Kurz zuvor waren Cafes und Restaurants im Osten von Paris attackiert worden. Unweit der Station der Linie M9 hatten Ermittler einen schwarzen Seat sichergestellt, aus dem heraus die Attentäter die Cafes und Restaurants beschossen hatten.

Anwältin des Vaters spricht

Der Vater von Abaaoud hielt seinen Sohn nach Angaben seiner Anwältin für einen „Teufel“. Omar Abaaoud sei „erleichtert“ gewesen, als er vom Tod des 28-Jährigen erfahren habe, sagte Nathalie Gallant am Freitag dem US-Sender CNN. „Der Vater wusste seit etwa einem Monat, dass sein Sohn mit Terrorakten in Europa in Verbindung gebracht wurde“, sagte Gallant. Es sei schwer für ihn gewesen, erkennen zu müssen, dass sein Sohn erneut etwas Furchtbares getan hatte.

Omar Abaaoud habe erstmals 2013 die Radikalisierung des Sohnes bemerkt. Damals habe Abdelhamid den Vater immer wieder für die liberale, europäisch geprägte Erziehung der jüngeren Geschwister kritisiert. Das Verhalten des Sohnes sei das eines „Psychopathen“ gewesen, „für ihn war er zu einem Teufel geworden“, zitierte Gallant den Vater.

Zugriff dauerte sieben Stunden

Staatsanwalt Francois Molins sagte am Mittwochabend, Auslöser des Einsatzes in dem Pariser Vorort am Mittwoch sei ein Hinweis gewesen, dem zufolge sich Abaaoud in Saint-Denis aufhalte. Am Mittwoch hatte die Polizei in Saint-Denis nach Angaben der Staatsanwaltschaft ein terroristisches „Kommando“ zerschlagen. Der Einsatz hatte Abaaoud gegolten. Spezialkräfte hatten bei dem dramatischen siebenstündigen Zugriff acht Menschen festgenommen.

Karte von Paris

APA/ORF.at

Der Einsatz begann gegen 4.20 Uhr. Die Bewohner des Apartments lieferten dem Einsatzkommando der Elitepolizeieinheit RAID einen rund siebenstündigen Nervenkrieg. Laut Staatsanwalt wurden dabei allein von der Polizei 5.000 Schüsse abgegeben. Den ganzen Vormittag über waren Explosionen zu hören. Anrainer wurden teilweise im Pyjama aus ihren Wohnungen geholt und in Sicherheit gebracht. Insgesamt waren 110 Elitepolizisten an dem Einsatz beteiligt, sechs von ihnen wurden leicht verletzt.

Ermittlungen sollen Details zu Abaaoud klären

Der getötete Islamist Abaaoud spielte nach Worten von Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve nach derzeitigen Erkenntnissen „eine entscheidende Rolle“ bei den verheerenden Anschlägen von Paris. Die Ermittlungen würden „die genaue Beteiligung“ Abaaouds klären, sagte Cazeneuve am Donnerstag in Paris.

Razziaeinsatz in Saint-Denis, Paris

APA/AP

Der Zugriff in Saint-Denis begann in den frühen Morgenstunden und dauerte sieben Stunden

Cazeneuve machte den getöteten mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge auch für geplante weitere Angriffe verantwortlich. Abaaoud könnte in den vereitelten Angriff auf den Thalys-Zug Ende August im belgisch-französischen Grenzgebiet verwickelt gewesen sein, so Cazeneuve weiter. Auch für das geplante Attentat auf zwei Kirchen in Villejuif im Süden von Paris sei er mitverantwortlich. Insgesamt sei Abaaoud wohl für vier von insgesamt sechs vereitelten Anschlägen in Frankreich seit dem Frühling verantwortlich, so Cazeneuve.

Genaue Rolle noch unklar

Bisher ist aber wenig über die Rolle bekannt, die Abaaoud bei den Anschlägen von Paris spielte. Der Belgier hatte marokkanische Wurzeln und soll für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien gekämpft haben. Abaaoud war eigentlich in Syrien vermutet worden. Wie der berüchtigte Islamist unerkannt nach Europa zurückkehren konnte, ist noch unklar.

Mutmaßlicher Terrordrahtzieher von Paris ist tot

Der mutmaßliche Drahtzieher der Terroranschläge von Paris, Abdelhamid Abaaoud, wurde bei der Polizeirazzia in Saint-Denis getötet.

Wie kam Abaaoud nach Paris zurück?

Der französische Ministerpräsident Manuel Valls forderte Donnerstagabend eindringlich schärfere Kontrollen an den EU-Außengrenzen. Sollte die EU ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, sei die Reisefreiheit im Schengen-Raum bedroht, sagte Valls am Abend im Fernsehsender France 2. Die Nachbarländer Frankreichs rief er auf, ihren jeweiligen Zuständigkeiten „angemessen“ nachzukommen. Valls sagte weiter, einige Attentäter hätten „die Flüchtlingskrise genutzt“, um unbemerkt nach Frankreich zu kommen.

Sicherheitsexperte Neumann bemängelt Geheimdienstkoordination

Terrorismusforscher Peter Neumann sieht ein kapitales Versagen in der Kommunikation und Zusammenarbeit der EU-Geheimdienste im Zusammenhang mit dem Terror von Paris.

Valls: Mögliche weitere Zellen

Valls würdigte kurz nach Bekanntwerden der Nachricht vom Tod Abaaouds die „außergewöhnliche Arbeit unserer Geheimdienste und der Polizei“. Damit sei „einer der Drahtzieher“ der Anschläge tot. „Wir wissen heute, dass sich Abaaoud, das Gehirn dieser Anschläge - eines der Gehirne, denn wir müssen besonders vorsichtig sein und kennen die Bedrohungen -, unter den Toten befand“, so Valls am Donnerstag. Valls warnte dann auch am Abend vor möglicherweise weiter aktiven Zellen von Attentätern. Man wisse nicht, ob es noch weitere aktive Gruppen oder Personen aus dem Umfeld der Attentäter von Paris gebe, sagte Valls.

US-Heimatschutz warnte vor Abaaoud

Das US-Ministerium für Heimatschutz warnte im Mai in einem Bericht vor Abaaoud. Der achtseitige, nicht vertraulich gestempelte Bericht analysiert die Folgen aus einem im Jänner im belgischen Verviers vereitelten Anschlag. Überschrift: „Künftige IS-Operationen im Westen könnten dem unterbundenen belgischen Plot ähneln“. Er entstand in Zusammenarbeit mit dem FBI und dem nationalen Anti-Terror-Zentrum.

Bild.de zitierte am Donnerstag aus dem Bericht. Zuvor hatten Fox, CNN und die „Daily Mail“ darüber berichtet. Im Jänner erschossen Sondereinsatzkräfte im belgischen Verviers zwei mutmaßliche Dschihadisten. Abaaoud sei Kopf dieser Zelle gewesen, heißt es in dem Bericht. Er habe sie von Athen aus gesteuert und sich frei durch Europa bewegt.

Wörtlich schreibt Homeland Security, zwar habe die Gruppe von Verviers wohl Anschläge in Belgien geplant. Bei den Ermittlungen über ihre Aktivitäten seien aber mehrere europäische Länder aufgetaucht, darunter Griechenland, Spanien, die Niederlande - und Frankreich.

Cazeneuve: Nicht von EU-Ländern informiert

Cazeneuve sagte am Donnerstag, seine Regierung sei nicht von anderen europäischen Staaten über Abaaouds Aufenthalt in Frankreich informiert worden. Möglicherweise sei der Islamist über diese Länder eingereist. „Erst am 16. November, nach den Pariser Angriffen, signalisierte uns ein nicht europäischer Nachrichtendienst, dass ihm sein Aufenthalt in Griechenland bekannt sei.“

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