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Cazeneuve: Eine „entscheidende Rolle“

Der getötete Islamist Abdelhamid Abaaoud hat nach Worten von Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve nach derzeitigen Erkenntnissen „eine entscheidende Rolle“ bei den verheerenden Anschlägen von Paris gespielt. Die Ermittlungen würden „die genaue Beteiligung“ Abaaouds klären, sagte Cazeneuve am Donnerstag in Paris.

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Cazeneuve machte den getöteten mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge von Paris auch für geplante weitere Angriffe verantwortlich. Abaaoud könnte in den vereitelten Angriff auf den Thalys-Zug Ende August im belgisch-französischen Grenzgebiet verwickelt gewesen sein, erklärte Cazeneuve weiter. Auch für das geplante Attentat auf zwei Kirchen in Villejuif im Süden von Paris sei er mitverantwortlich. Insgesamt sei Abaaoud wohl für vier von insgesamt sechs vereitelten Anschlägen in Frankreich seit dem Frühling verantwortlich, so Cazeneuve.

Razziaeinsatz in Saint-Denis, Paris

APA/AP

Der Zugriff in Saint-Denis begann in den frühen Morgenstunden und dauerte sieben Stunden

Genaue Rolle noch unklar

Bisher ist aber wenig über die Rolle bekannt, die Abaaoud bei den Anschlägen von Paris mit 129 Toten und mehr als 350 Verletzten spielte. Der Belgier hatte marokkanische Wurzeln und soll für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien gekämpft haben. Abaaoud war eigentlich in Syrien vermutet worden. Wie der berüchtigte Islamist unerkannt nach Europa zurückkehren konnte, ist noch unklar.

Abaaoud wurde bei einem stundenlangen Anti-Terror-Einsatz am Mittwoch im Pariser Vorort Saint-Denis getötet. Der Tod Abaaouds bei der Razzia in einem Wohnhaus wurde laut Staatsanwaltschaft durch Fingerabdrücke bestätigt. „Es war die Leiche, die wir in dem Gebäude gefunden haben“, hieß es in der Erklärung der Staatsanwaltschaft. Sie sei von Kugeln durchsiebt gewesen. Die Staatsanwaltschaft untersucht allerdings auch, ob er sich selbst in die Luft gesprengt hat, hieß es am Donnerstag.

Mutmaßlicher Terrordrahtzieher von Paris ist tot

Der mutmaßliche Drahtzieher der Terroranschläge von Paris, Abdelhamid Abaaoud, wurde bei der Polizeirazzia in Saint-Denis getötet.

Wie kam Abaaoud nach Paris zurück?

Der französische Ministerpräsident Manuel Valls forderte Donnerstagabend eindringlich schärfere Kontrollen an den EU-Außengrenzen. Sollte die EU ihrer Verantwortung nicht gerecht werden, sei die Reisefreiheit im Schengen-Raum bedroht, sagte Valls am Abend im Fernsehsender France 2. Die Nachbarländer Frankreichs rief er auf, ihren jeweiligen Zuständigkeiten „angemessen“ nachzukommen. Valls sagte weiter, einige Attentäter hätten „die Flüchtlingskrise genutzt“, um unbemerkt nach Frankreich zu kommen.

Sicherheitsexperte Neumann bemängelt Geheimdienstkoordination

Terrorismusforscher Peter Neumann sieht ein kapitales Versagen in der Kommunikation und Zusammenarbeit der EU-Geheimdienste im Zusammenhang mit dem Terror von Paris.

Ermittler: Abaaoud-Cousine sprengte sich in die Luft

Bei der während des Polizeieinsatzes getöteten Frau handelt es sich offenbar um die Cousine von Abaaoud. Das verlautete am Donnerstag aus Ermittlerkreisen in Paris. Die 26-Jährige hatte am Mittwoch einen Sprengstoffgürtel gezündet, als Sondereinheiten die Wohnung stürmten. Am Donnerstag fand im Haus der Mutter der jungen Frau in der nordöstlich von Paris gelegenen Stadt Aulnay-sous-Bois eine Razzia statt. Die gesamte Nachbarschaft sei abgesperrt worden, sagte ein Anrainer. Das Haus ihres Vaters in der ostfranzösischen Gemeinde Creutzwald war nach Angaben aus Ermittlerkreisen bereits am Mittwochabend durchsucht worden.

Laut Aussage ihres Bruder hatte sich die junge Frau im vergangenen halben Jahr radikalisiert und angefangen, einen Ganzkörperschleier zu tragen. Vor drei Wochen sei sie in den Pariser Vorort Drancy gezogen. Dort lebte auch der frühere Busfahrer Samy Amimour, der am vergangenen Freitag mit zwei weiteren Angreifern 89 Menschen in der Pariser Konzerthalle Bataclan tötete.

Valls: Mögliche weiteren Zellen

Valls würdigte kurz nach Bekanntwerden der Nachricht vom Tod Abaaouds die „außergewöhnliche Arbeit unserer Geheimdienste und der Polizei“. Damit sei „einer der Drahtzieher“ der Anschläge tot. „Wir wissen heute, dass sich Abaaoud, das Gehirn dieser Anschläge - eines der Gehirne, denn wir müssen besonders vorsichtig sein und kennen die Bedrohungen -, unter den Toten befand“, so Valls am Donnerstag. Valls warnte dann auch am Abend vor möglicherweise weiter aktiven Zellen von Attentätern. Man wisse nicht, ob es noch weitere aktive Gruppen oder Personen aus dem Umfeld der Attentäter von Paris gebe, sagte Valls.

Homeland Security warnte vor Abaaoud

Das US-Ministerium für Heimatschutz, Homeland Security, warnte im Mai in einem Bericht vor Abaaoud. Der achtseitige, nicht vertraulich gestempelte Bericht analysiert die Folgen aus einem im Jänner im belgischen Verviers vereitelten Anschlag. Überschrift: „Künftige IS-Operationen im Westen könnten dem unterbundenen belgischen Plot ähneln“. Er entstand in Zusammenarbeit mit dem FBI und dem nationalen Anti-Terror-Zentrum.

Bild.de zitierte am Donnerstag aus dem Bericht. Zuvor hatten Fox, CNN und die „Daily Mail“ darüber berichtet. Im Jänner erschossen Sondereinsatzkräfte im belgischen Verviers zwei mutmaßliche Dschihadisten. Abaaoud sei Kopf dieser Zelle gewesen, heißt es in dem Bericht. Er habe sie von Athen aus gesteuert und sich frei durch Europa bewegt.

Wörtlich schreibt Homeland Security, zwar habe die Gruppe von Verviers wohl Anschläge in Belgien geplant. Bei den Ermittlungen über ihre Aktivitäten seien aber mehrere europäische Länder aufgetaucht, darunter Griechenland, Spanien, die Niederlande - und Frankreich.

Cazeneuve: Nicht von EU-Ländern informiert

Cazeneuve erklärte am Donnerstag, seine Regierung sei nicht von anderen europäischen Staaten über Abaaouds Aufenthalt in Frankreich informiert worden. Möglicherweise sei der Islamist über diese Länder eingereist. „Erst am 16. November, nach den Pariser Angriffen, signalisierte uns ein nicht europäischer Nachrichtendienst, dass ihm sein Aufenthalt in Griechenland bekannt sei.“

ORF-Korrespondentin Eva Twaroch aus Paris

Die Nationalversammlung in Frankreich stimmte am Donnerstag mit großer Mehrheit der Verlängerung des Ausnahmezustands um drei Monate zu. Eva Twaroch berichtete.

Hinweis auf Deutschland

Abaaoud war mindestens einmal in Deutschland. Er sei am 20. Jänner vergangenen Jahres auf dem Flughafen Köln/Bonn von der deutschen Bundespolizei kontrolliert worden, sagte am Donnerstag ein Sprecher des Präsidiums der Behörde in Potsdam. „Es gab keinen Hinweis an die Bundespolizei, dass wir die Reise untersagen oder ihn festnehmen sollten“, fügte er hinzu.

Als belgischer Staatsbürger habe für Abaaoud die Freizügigkeit im europäischen Reiseverkehr gegolten. Den Angaben zufolge gab Abaaoud bei der Kontrolle an, nach Istanbul weiterreisen zu wollen. Über eine Rückkehr nach Deutschland sei nichts bekannt, sagte der Sprecher.

Anti-Terror-Einsatz in Saint-Denis

Staatsanwalt Francois Molins sagte, Auslöser des Einsatzes in dem Pariser Vorort am Mittwoch sei ein Hinweis gewesen, dem zufolge sich Abaaoud in Saint-Denis aufhalte. Am Mittwoch hatte die Polizei in Saint-Denis nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft ein terroristisches „Kommando“ zerschlagen. Der Einsatz hatte Abaaoud gegolten.

Spezialkräfte hatten bei dem dramatischen siebenstündigen Zugriff acht Menschen festgenommen. Dabei gab es neben Abaaoud noch einen weiteren Toten. Vermutlich sprengte sich eine Frau mit einer Sprengstoffweste selbst in die Luft - die Obduktion wird darüber noch Klarheit schaffen müssen. Seit der Mordserie, zu der sich der IS bekannte, gab es in Frankreich mehrere hundert Hausdurchsuchungen mit Festnahmen.

Polizei gab 5.000 Schüsse ab

Der Einsatz am Mittwoch begann gegen 4.20 Uhr in der Innenstadt von Saint-Denis. Die Bewohner des Apartments lieferten dem Einsatzkommando der Elitepolizeieinheit RAID einen rund siebenstündigen Nervenkrieg. Laut Staatsanwalt wurden dabei allein von der Polizei 5.000 Schüsse abgegeben. Den ganzen Vormittag über waren Explosionen zu hören. Anrainer wurden teilweise im Pyjama aus ihren Wohnungen geholt und in Sicherheit gebracht. Insgesamt waren 110 Elitepolizisten an dem Einsatz beteiligt, sechs von ihnen wurden leicht verletzt.

Karte von Paris

APA/ORF.at

Nach der Erstürmung der Wohnung wurden zwei Verdächtige sofort festgenommen. Zwei weitere wurden gefasst, nachdem sie sich laut Staatsanwalt Molins „unter dem Schutt“ der bei der Erstürmung teilweise zerstörten Wohnung versteckt hatten. Und noch zwei weitere Verdächtige wurden in der Umgebung festgenommen, darunter der Mann, dem die Wohnung gehörte. Kurz bevor ihm Handschellen angelegt wurden, sagte er der Nachrichtenagentur AFP, er habe lediglich einem Freund helfen wollen, der ihn gebeten habe, Bekannte bei sich aufzunehmen.

Fünf Tage nach Anschlägen

Der Anti-Terror-Einsatz ereignete sich fünf Tage nach den Anschlägen von Paris. Nach neuen Erkenntnissen bildeten die Attentäter drei Kommandos mit je drei Mitgliedern. Ein Kommando sollte das Stade de France angreifen, eines tötete in der Konzerthalle Bataclan 89 Menschen, ein drittes schoss vor Cafes und Restaurants wahllos auf Menschen. Sieben Attentäter starben bei den Anschlägen. Der IS bekannte sich zu den Anschlägen.

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