Die Ästhetik des Widerstands
Starkino für Teenager, Schauspielerkino für Erwachsene, bombastische Action, elender Kitsch und eine schöne Botschaft der Ambivalenz: All das bietet die „Tribute von Panem“-Filmreihe im Finale. Zum letzten Mal darf Jennifer Lawrence als Katniss Everdeen gegen den Faschismus und für ein erfülltes Liebesleben kämpfen.
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Die dystopische Romantrilogie der US-amerikanischen Schriftstellerin Suzanne Collins wurde in vier Teilen verfilmt. Das dritte Buch der Reihe bot genügend Action für zwei Abende mit Popcorn und Cola. Nun läuft also „Mockingjay Teil 2“ in den Kinos an - und nach zweieinhalb Stunden weiß man endlich, ob die Abenteuer von Katniss ein gutes oder ein böses Ende finden. Mockingjay ist ein Wort, das sich im Englischen cool anhört, auf Deutsch aber viel sperriger „Spottdrossel“ heißt.

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Ein letztes Mal Jennifer Lawrence mit Pfeil und Bogen als Katniss Everdeen
Der Vogel ist das Symbol von Katniss. Und Katniss, die Spottdrossel, wurde ihrerseits im Panem-Faschismus zum Symbol des Widerstands wider Willen. Kurz zur Erinnerung: Die Regierung von Präsident Snow (Donald Sutherland) führt vom Kapitol aus die 13 Distrikte des Landes mit harter Hand. Jedes Jahr werden gladiatorenähnliche Hungerspiele abgehalten, bei denen einzelne Teenager als „Tribute“ ihres Bezirks in einer ausgeklügelten Arena der Gewalt gegeneinander antreten müssen. Nur einer überlebt, und das übermächtig inszenierte Spektakel wird live im TV übertragen.
Zu wertvoll als Kanonenfutter
Katniss wird die zweifelhafte Ehre zuteil, in der Arena um ihr Leben zu kämpfen. Von den Make-up-Artists, Kostümdesignern und Regisseuren wird sie in der Show so effektvoll inszeniert, dass sie von Anfang an das Publikum auf ihrer Seite hat. Umso schlimmer für das System, dass sich Katniss als widerspenstig entpuppt und nicht so einfach töten und ihr Leben riskieren will. Und so wird sie zum Symbol der Widerstandsbewegung, von der sie noch nicht einmal wusste, dass sie existiert.

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Die Helden des Widerstands planen den Umsturz
Im letzten Teil nun läuft alles auf das große Finale zu: Die 13 Distrikte schließen sich zusammen, um gegen das Kapitol zu revoltieren. Katniss möchte an vorderster Front mitkämpfen, aber der Anführerin der Rebellen (Julianne Moore) und ihrem Chefberater (der 2014 verstorbene Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Rolle) ist sie zu wertvoll als Kanonenfutter. Hinter der Frontlinie soll Katniss gemeinsam mit den anderen Helden der Guerillabewegung Propagandavideos drehen, die den Kampfgeist der Truppen stärken und die Soldaten der Gegner zum Überlaufen bewegen sollen.
Die moralische Front bröckelt
Wer Katniss schon knappe zehn Kinostunden lang kennt, der weiß: Trockenübungen für Propagandazwecke sind nicht das ihre. Die schöne Botschaft für Teenager: Mediale Inszenierung ist nicht alles, ob in Reality-Shows oder auf Instagram. Irgendwann muss man nicht nur irgendetwas repräsentieren, sondern ganz einfach etwas tun und etwas sein. Von diesem Punkt an wird es kompliziert - dank der Buchautorin Collins erfreulich kompliziert. Die moralischen Fronten Gut gegen Böse beginnen zu bröckeln.
Aber niemand muss sich fürchten, dass „Die Tribute von Panem“ im Finale zur politikwissenschaftlichen Vorlesung ausartet. Der Parcours der Rebellen durch die Stadt Richtung Zentrum ist von der Regierungsarmee mit grausamen und gleichzeitig fantasievoll-gefinkelten Fallen gespickt. Katniss darf einen Köcher voller Pfeile in hässlichen Monstern versenken. Und natürlich pendelt sie noch immer zwischen ihren zwei „Love Interests“ hin und her.

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Anstand im Teenager-Action-Fach
Ohne etwas vom Ende verraten zu wollen, sei hier eine Frage gestellt, die man erst nach dem Kinobesuch verstehen wird: Ist die Kleinfamilie wirklich dann am schönsten, wenn sie im Stil von Zeichnungen des „Wachtturms“ dargestellt wird? Aber vielleicht ist selbst das noch eine ausgefuchste Volte im Spiel mit der Ästhetik von Propaganda. Und auch wenn die letzten zwei Minuten dem einen oder anderen den Abschied von Katniss erleichtern werden: Die Verfilmung der Romantrilogie ist gelungen. Unterhaltung mit Anstand, das ist im Teenager-Action-Fach nicht unbedingt die Regel.
Simon Hadler, ORF.at
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