Sieben Festnahmen bei Anti-Terror-Einsatz
Nach dem blutigen Anti-Terror-Einsatz Mittwochvormittag in Saint-Denis bei Paris dringen weitere Details an die Öffentlichkeit. Ermittlern zufolge hätten zumindest einige der sieben Festgenommenen einen Angriff auf das Pariser Geschäftsviertel La Defense geplant. „Das ist eine neue Zelle“, sagte ein Insider der Nachrichtenagentur Reuters.
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Zwei Personen wurden bei der insgesamt sechstündigen Razzia getötet, wie Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve bestätigte. Bei einer Getöteten handelt es sich um eine Frau, die beim Zugriff der Spezialkräfte eine Sprengstoffweste zündete. Bei dem Einsatz wurden zudem fünf Polizisten verletzt und ein sieben Jahre alter Polizeihund getötet.
Präsident Francois Hollande dankte den involvierten Sicherheitskräften nach ihrem Einsatz: „Unsere ganze Dankbarkeit gilt den Polizisten, die an diesem riskanten Einsatz beteiligt waren“, so das Staatsoberhaupt. Frankreich sei stolz auf seine mächtigen Streitkräfte. Hollande beschwor einmal mehr die Einigkeit der Franzosen.

APA/AP/Peter Dejong
Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz
Der Einsatz in der Rue du Corbillon 8 in Saint-Denis galt dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschlagserie in der französischen Hauptstadt, dem Belgier Abdelhamid Abaaoud. Wie der Pariser Staatsanwalt Francois Molins bestätigte, wurden die Ermittler durch die Auswertung von überwachten Telefongesprächen auf die Wohnung aufmerksam. Ob sich Abaaoud unter den Festgenommen oder Toten befindet, sagte Molins nicht.
Toter Terrorist in Wohnung gefunden
Die Ermittlungen hätten den Verdacht nahegelegt, dass sich Abaaoud in einer „konspirativen Wohnung“ in Saint-Denis aufhalte, sagte Molins. Bei dem Zugriff von Sondereinheiten sprengte sich eine junge Frau in die Luft. Außerdem wurde dem Staatsanwalt zufolge in der Wohnung ein toter „Terrorist“ gefunden, der von „Projektilen und Granaten“ getroffen wurde. Der Staatsanwalt will sich im Verlauf des Nachmittags erneut zu dem Einsatz äußern. Der Einsatz wurde am späten Vormittag offiziell beendet. In dem Gebäude werde aus Sicherheitsgründen aber noch nach weiteren möglichen Verdächtigen gesucht, sagte ein Polizist.

APA/ORF.at
Tausende Stadtbewohner saßen fest
Bei der Erstürmung der Wohnung wurden drei Verdächtige festgenommen. Ihre Identität sei noch unklar, teilte Molins mit. Ebenfalls im Gebäude wurden am Vormittag zwei weitere Personen verhaftet. Nahe der Wohnung wurden zudem ein weiterer Mann und eine Frau von der Polizei in Gewahrsam genommen.
Während des Polizeieinsatzes saßen nach Einschätzung eines Stadtverantwortlichen Tausende Einwohner von Saint-Denis in ihren Wohnungen fest. „15.000 bis 20.000 Personen wohnen in dem Viertel des historischen Zentrums und dürfen derzeit ihre Wohnungen nicht verlassen“, sagte der beigeordnete Bürgermeister Stephane Peu am Mittwochvormittag noch während des Einsatzes der Zeitung „Le Parisien“.
ORF-Korrespondentin Twaroch berichtet aus Paris
ORF-Korrespondentin Eva Twaroch berichtet aus Paris über die Hintergründe des Polizeieinsatzes im Pariser Vorort Saint-Denis.
Anrainer werden psychologisch betreut
Er berichtete von einem fast ununterbrochenen Schusswechsel, der eineinviertel Stunden gedauert habe. Etwa 15 Menschen, darunter Kinder, seien aus dem von den Spezialkräften gestürmten Gebäude in Sicherheit gebracht worden. Sie seien von Sanitätern unter Polizeischutz ins Rathaus gebracht worden und dort von Psychologen betreut worden. „Es gibt keine Verletzten unter den Bewohnern“, so Peu.
Insgesamt seien etwa 60 bis 80 Anrainer aus der unmittelbaren Nachbarschaft des am Mittwochvormittag gestürmten Hauses auf psychotherapeutische Hilfe angewiesen, sagte Jean-Marc Agostinucci vom französischen Roten Kreuz. „Der Lärm der Explosionen und Schüsse hat sie zutiefst verstört.“
„Es wirkt wie im Krieg“
Der Einsatz hatte in den frühen Morgenstunden unweit des Stade de France begonnen, wo sich am Freitag drei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatten. Sicherheitskräfte riegelten das Gebiet weiträumig ab, Hubschrauber überflogen die Gegend. Auch rund 50 Soldaten waren zur Sicherung der Gegend im Einsatz, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten.

AP/Francois Mori
Neben der Polizei waren auch Soldaten in Saint-Denis im Einsatz
Anrainer waren zwischenzeitlich aufgefordert worden, ihre Wohnungen nicht zu verlassen. Die Schulen im Stadtzentrum von Saint-Denis blieben geschlossen, der Nahverkehr in der Gegend wurde eingestellt.
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Polizei im Großeinsatz
Die Razzia im Pariser Vorort Saint-Denis begann in den frühen Morgenstunden. Die Gegend um den Einsatzort wurde von der Polizei großräumig abgeriegelt.
„Das wirkt wie im Krieg“, sagte ein Augenzeuge. „Ich hätte nie gedacht, dass sich hier Terroristen verstecken könnten. Ich hätte eine Kugel abbekommen können.“ Eine Anrainerin sagte der Nachrichtenagentur AFP, sie habe „Schüsse gehört, ‚Bumm‘-Geräusche wie Granaten und dann immer wieder Schüsse“.
„Sie wollten nur Wasser und beten“
Jener Mann, der in Saint-Denis festgenommen wurde, sagte der AFP, er habe auf Bitte eines Freundes „zwei seiner Kumpel“ aus Belgien in seiner Wohnung untergebracht. Der Mann sagte unter der Bedingung, dass sein Name nicht genannt wird, er habe ihnen seine Wohnung überlassen. „Ich sagte, ich habe keine Matratzen. Sie sagten: ‚Das ist nicht schlimm.‘ Sie wollten nur Wasser und beten. Ich habe meinen Freund zurückgerufen. Er sagte, sie kämen aus Belgien“, sagte der Mann.

Reuters
Der Dschihadist und mutmaßliche Paris-Drahtzieher Abdelhamid Abaaoud
Er habe einen Gefallen tun wollen und nicht gewusst, dass es „Terroristen“ waren, sagte der Mann äußerst erregt. Er wurde anschließend von der Polizei in Handschellen abgeführt. Eine Freundin des Festgenommenen sagte der AFP, der Mann habe die Tür zu der Wohnung aufgebrochen. Es handle sich also um eine „Art besetzte Wohnung“. Ihren Angaben zufolge waren die Besucher aus Belgien „vor zwei Tagen“ gekommen. Das würde bedeuten, dass sie seit Montag in der Wohnung sind - drei Tage nach den blutigen Anschlägen von Freitagabend in Paris.
Die Polizei fahndet nach mindestens einem flüchtigen Verdächtigen, dem 26-jährigen Salah Abdeslam. Laut Polizei ist er möglicherweise bewaffnet. Nach ihm wird auch in Belgien gesucht. Am Dienstagabend tauchte ein Video auf, das auf einen möglichen weiteren flüchtigen Attentäter hindeutet. Ob es sich dabei um Abaaoud handelt, ist noch unklar.
128 Razzien an einem Tag
Nach den Anschlägen läuft auch die Fahndung nach einem als mutmaßlicher achter Attentäter gesuchten Mann auf Hochtouren. In Frankreich war die Polizei allein am Dienstag mit 128 Razzien gegen Islamisten vorgegangen. Auch Belgien verschärfte seine Sicherheitsmaßnahmen erneut. Abdeslams Bruder Mohammed appellierte am Dienstag in einem Radiointerview an den 26-Jährigen, sich der Polizei zu stellen.
Salah Abdeslam hatte zwei Autos angemietet, die nach den Anschlägen vom Freitagabend in Paris gefunden worden waren. Die Ermittler vermuten, dass er mit einem weiteren Bruder, Brahim, das Attentäterkommando bildete, das in Paris vor Restaurants und Cafes mehrere Menschen erschoss. Brahim sprengte sich schließlich vor einem Cafe in die Luft. Die Polizei durchsuchte am Dienstag ein Hotel in Alfortville bei Paris, in dem einen Tag vor den Anschlägen mit Abdeslams Kreditkarte zwei Zimmer gemietet worden waren. Das Hotel könnte den Attentätern als Stützpunkt gedient haben.
Wie am Mittwoch bekanntwurde, war der Gesuchte im Februar für kurze Zeit in den Niederlanden festgenommen worden. Bei einer Routineverkehrskontrolle sei bei ihm eine „begrenzte“ Menge Haschisch gefunden worden, teilte eine niederländische Polizeisprecherin mit. Nach Zahlung eines Bußgeldes von 70 Euro habe er seine Fahrt fortsetzen können. Er sei in einem Fahrzeug mit belgischem Kennzeichen unterwegs gewesen. Im Auto hätten sich zudem einer seiner Brüder sowie ein weiterer Begleiter befunden.
Mutmaßlicher Attentäter war in Österreich
Abdeslam hielt sich im September auch in Deutschland und Österreich auf. Er sei am 9. September zusammen mit zwei Männern von Deutschland kommend nach Österreich eingereist, teilte das Wiener Innenministerium mit. Bei einer Verkehrskontrolle habe er angegeben, dass er einen einwöchigen Urlaub in Österreich verbringen wolle - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Spur führt auch nach Österreich
Einer der Verdächtigen der Pariser Anschläge war im September in Österreich. Vor allem in Wien und Graz wurden in den letzten Tagen mehr als hundert mutmaßliche IS-Sympathisanten verhört.
Bisher wurden vier der sieben bei den Anschlägen getöteten Attentäter identifiziert. Es handelt sich allesamt um französische Staatsbürger. Neun Menschen aus dem Umfeld von zwei der Attentäter saßen am Dienstag weiter in Untersuchungshaft. In Belgien wurden Strafverfahren gegen zwei Verdächtige wegen Beteiligung an den Anschlägen von Paris eingeleitet, die Abdeslam in der Nacht zum Samstag in Paris abgeholt und nach Brüssel gebracht haben sollen.
Alle Opfer identifiziert
Am Mittwoch teilte der Elyseepalast mit, dass mittlerweile alle 129 Todesopfer der Terroranschläge identifiziert wurden. Bis Ende der Woche sollten auch alle Autopsien abgeschlossen sein. Jeweils nach der Autopsie stelle die Staatsanwaltschaft die nötigen Papiere für die Beisetzung der Toten aus.
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