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Berufung auf EU-Vertrag

Nach den blutigen Anschlägen in Paris will Frankreich im Kampf gegen den Terrorismus die europäischen Partner in die Pflicht nehmen. Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian forderte dazu am Dienstag die militärische Unterstützung der anderen EU-Staaten.

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Le Drian sagte laut Diplomaten beim Treffen mit seinen EU-Kollegen am Dienstag in Brüssel, Frankreich wünsche auf bilateraler Ebene und „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ Unterstützung der EU-Länder im Kampf gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). Er berief sich dabei auf Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags.

Darin heißt es: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats schulden die anderen Mitgliedsstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung, im Einklang mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen. Das lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedsstaaten unberührt.“

EU-Länder sichern Hilfe zu

Laut der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini versicherten bereits alle EU-Partner Frankreich ihres Beistands. Welche Art von Unterstützung sich Frankreich konkret vorstellt, ist noch offen. Über die Gestalt der Hilfe würden die Länder bilateral mit Frankreich klären, so Mogherini während des Verteidigungsministertreffens.

So ist auch noch offen, wie sich Österreich an dem von Frankreich erbetenen militärischen Beistand beteiligen kann und wird. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) nannte am Dienstag nach dem Ministerrat auf Nachfrage keine konkreten Maßnahmen. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) werde entsprechende bilaterale Gespräche mit Frankreich führen, sagte Faymann.

Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian

APA/AFP/Stephane de Sakutin

Verteidigungsminister Le Drian will seine EU-Kollegen um Hilfe bitten

Zuvor hatte bereits Deutschland erklärt, Frankreich umfassende Hilfe leisten zu wollen. „Wir werden sehr genau hinhören, was Frankreich uns zu sagen hat, und aufmerksam auch analysieren, worum Frankreich uns bittet“, sagte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen vor dem Treffen mit ihren EU-Amtskollegen in Brüssel. Es sei selbstverständlich, dass Deutschland „alles in unserer Macht Stehende“ tun werde, um Hilfe und Unterstützung zu leisten.

Dass die Regierung eine aktivere Beteiligung von EU-Staaten im Kampf gegen den IS im Irak und Syrien einfordert, wurde im Vorfeld des Treffens für eher unwahrscheinlich gehalten. Auch wenn der IS die Anschläge von Paris in Auftrag gegeben habe, werde Frankreichs Präsident Francois Hollande mit seinen Forderungen vermutlich nicht so weit gehen, hieß es. Schon jetzt beteiligten sich die meisten EU-Staaten an der US-geführten internationalen Allianz im Kampf gegen den IS. Auch Österreich hat sich dem Bündnis angeschlossen, beteiligt sich aufgrund der Neutralität jedoch nur mit humanitärer Hilfe.

Frankreich verfehlt EU-Ziel für Staatsdefizit

Darüber hinaus wird Frankreich in den kommenden Tagen wohl noch eine weitere Bitte gegenüber der EU vorbringen - auch wenn das nicht die Aufgabe Le Drians sein wird, sondern eher in das Ressort von Finanzminister Michel Sapin fällt: Wie Regierungschef Manuel Valls am Dienstag gegenüber dem Radiosender France Inter sagte, werde das Land wegen steigender Ausgaben für die nationale Sicherheit das EU-Ziel für das Staatsdefizit verfehlen.

Valls kündigte eine deutliche Aufstockung der Mittel für Polizei, Gendarmerie und Geheimdienst an. Den Sicherheitsbehörden müssten „noch nie da gewesene Mittel“ gegeben werden, so der Regierungschef. Im Gegenzug solle aber nicht bei anderen Ressorts gekürzt werden. „Wir müssen das annehmen, und Europa muss das verstehen“, sagte Valls.

EU-Kommission zeigt Verständnis

Und Europa scheint zu verstehen: Die Sicherheit habe „absolute Priorität. Da können Sie sicher sein, dass die Kommission dafür Verständnis hat“, sagte EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici am Dienstag in Brüssel. Auf die Frage, was passiere, wenn Frankreich zur Erhöhung der Sicherheit das Drei-Prozent-Defizitziel überschreite, wollte sich Moscovici nicht konkret festlegen.

„Eines ist deutlich: Das ist ein schrecklicher Moment. Der Schutz und die Sicherheit der Bürger Frankreichs haben natürlich absolute Priorität.“ Die finanziellen Auswirkungen „müssen wir uns erst anschauen“. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt seien ja gerade deswegen geschaffen worden, damit die Staaten auch in ihren Budgets einen Spielraum schaffen können, damit auf unvorhergesehene Ereignisse reagiert werden könne.

Hollande hofft auf weltweite Anti-IS-Koalition

Hollande hatte am Montag erklärt, dass er auch den UNO-Sicherheitsrat anrufen und eine weltweite Koalition gegen den IS bilden wolle. Dazu möchte er sich mit US-Präsident Barack Obama und Kreml-Chef Wladimir Putin treffen, um eine einheitliche Strategie in Syrien und gegen den IS zu erreichen. Die USA reagierten allerdings zurückhaltend.

Das US-Verteidigungsministerium lehnte es am Montagabend ab, sich beim Kampf gegen den IS mit Moskau abzustimmen: „Wir koordinieren unsere Operationen nicht mit den Russen, und wir kooperieren nicht mit ihnen“, sagte Pentagon-Sprecher Peter Cook im CNN-Fernsehen. Kreml-Chef Putin hatte beim G-20-Gipfel im türkischen Belek erklärt, er hoffe weiter auf eine große internationale Koalition gegen den Terrorismus in Syrien.

US-Verteidigungsminister sieht Europa gefordert

US-Verteidigungsminister Ashton Carter forderte hingegen die europäischen Verbündeten zu mehr Anstrengungen im Kampf gegen die radikalislamische IS-Miliz auf. „Wir wollen mehr tun. Wir halten Ausschau nach jeder Gelegenheit, die wir kriegen können, um den IS anzugehen. Aber es ist für uns wichtig, dass auch andere mitmachen“, sagte Carter am Montag auf einer Veranstaltung des „Wall Street Journal“. „Ich hoffe, dass diese Tragödie den Effekt haben wird, andere wachzurütteln, so wie sie die Franzosen wachgerüttelt hat“, fügte er hinzu.

Auch US-Außenminister John Kerry schlug am Dienstag in Paris in dieselbe Kerne. „Jeder wird verstehen, dass wir angesichts der Attacken im Libanon, angesichts dessen, was in Ägypten passiert, in Ankara, der Türkei und jetzt in Paris unsere Bemühungen intensivieren müssen, sie im Kern zu treffen. Dort, wo sie diese Dinge planen“, so Kerry. Er war am Vormittag mit Hollande zusammengetroffen.

Rouhani sichert Unterstützung des Iran zu

Ebenfalls am Dienstag telefonierte der französische Präsident mit seinem iranischen Gegenüber Hassan Rouhani. Der iranische Präsident sicherte dabei Fankreich die Unterstützung zu. „Die Vernichtung der Terroristen ist die höchste Priorität, und wir sollten in dieser Hinsicht zusammenarbeiten“, sagte Rouhani. Die „widerlichen Angriffe“ von Paris waren laut Rouhani zwar sehr bitter, hätten aber zu mehr internationaler Solidarität und der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns geführt.

Der Iran sei für eine gemeinsame Front gegen den IS und diesbezüglich auch bereit, eine aktive Rolle zu spielen. Der Iran, schiitische Vormacht in der Region, hatte die Terrorangriffe der sunnitischen IS-Miliz in Paris scharf verurteilt. Wegen der Angriffe musste Rouhani den für diese Woche geplanten Staatsbesuch in Paris absagen. Er soll aber bald nachgeholt werden.

Frankreich setzt Luftangriffe auf IS fort

Die französische Luftwaffe flog unterdessen in der Nacht auf Dienstag erneut einen Angriff auf die Dschihadistenhochburg al-Rakka im Norden Syriens. Wie das französische Militär mitteilte, wurden dabei ein Kommandoposten und ein IS-Trainingszentrum zerstört. Es sei der zweite Angriff auf den IS in al-Rakka binnen 24 Stunden, hieß es. Frankreichs Präsident Francois Hollande hatte am Montag angekündigt, sein Land werde die Luftangriffe gegen den IS in Syrien verstärken.

Am Donnerstag werde der Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ in Richtung östliches Mittelmeer auslaufen, so Hollande. „Das wird unsere Handlungsfähigkeit verdreifachen.“ An Bord des „Charles de Gaulle“ befinden sich 26 Kampfjets. Sie kommen zu den zwölf französischen Kampfflugzeugen hinzu, die derzeit von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Jordanien aus Angriffe auf den IS in Syrien fliegen. Durch die Stationierung des Flugzeugträgers im östlichen Mittelmeer verringert sich die Entfernung zwischen den Kampfjets und ihrem Einsatzgebiet deutlich.

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