Das Meer und die Beute des Wahnsinns
„Mein Mädel, wenn nich Südwind wär, käm nimmer ich zu dir.“ So hoffnungsvoll und schicksalsergeben singt der Steuermann zu Beginn von Richard Wagners „Fliegendem Holländer“, einer, wie es der Komponist nennt, „romantischen Oper in drei Aufzügen“. Doch Romantik im Sinn einer freien Bestimmung des Liebesauftrages, selbst wenn es eben romantisch kompliziert werden sollte, ist mit Wagner nicht zu haben. Sehnsucht nach Schicksal schwebt über dem Werk, das man just am Theater an der Wien, nicht gerade ein klassisches Wagner-Opernhaus, umso konsequenter „lesen“ will.
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Brauchen Geschichten einen Anfang und ein Ende? Eigentlich nicht, wenn man eine Konstellation in den Blick nimmt. Da ist ein auf den Meeren herumirrender Seemann, der Holländer, und eine potenzielle Braut, die von Anfang an mehr von einem Bild besessen ist als der Zuneigung zu ihrem realen Geliebten ergeben. Der Holländer muss erlöst werden - und Erlösung heißt hier, den Tod finden zu können durch den Bund mit einer Frau, die ihm ewige Treue verspricht (und nicht notwendigerweise hält). So weit, so absurd, so Wagner.

Werner Kmetitsch
Der Holländer (Samuel Youn, an der Tür) verspricht Donald (Lars Woldt) und dem Steuermann (Manuel Günther) alle Schätze, die er hat, bekommt er nur eine Frau. Man muss nicht lange raten, in welchem Stereotypenkasten sich Wagner für dieses Motiv bedient hat.
All das soll dem Holländer gegeben werden durch den Kaufmann Donald, der für Reichtumsversprechen seine Tochter Senta nur zu gerne ziehen lässt und der noch weniger ein Herz hat für die Beziehung seiner Tochter zum Jäger (!) Georg als diese selbst. Denn Senta ist von allem Anfang an ein Kind des Wahns: Dauernd ruft sie das Bild des Holländers herbei, der durch eine Frau erlöst werden müsse. Sie evoziert dieses Wahnbild so sehr, dass ihre Dienerinnen verzweifeln und auch ihr Geliebter vom Holländer und dieser Botschaft träumt, um letztlich bei der Erzählung des Traumes vor der Geliebten zu sagen: „Es ist also wahr!“
Theater an der Wien gibt „Der Fliegende Holländer“
Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ ist ein Opern-Klassiker, dennoch ist die Inszenierung im Theater an der Wien eine Besondere: es wird nämlich auf Instrumenten aus der Zeit Richard Wagners gespielt.
Die Erlösung lässt kurz auf sich warten
So kommt der Holländer mit dem Vater von den Weiten der Meere her - und bekommt tatsächlich die Tochter. Und damit alles nicht nach zwei, sondern erst drei nach Akten vorbei ist, sträubt sich noch viel in Senta, muss der Holländer zwischenzeitlich doch verzweifeln (und der Ewigkeit statt des erhofften Todes ins Auge blicken), bevor beide in den dunklen Abgrund der Vereinigung und des Schicksals - und vielleicht der Erlösung - springen.

Werner Kmetitsch
Knapp vor Ende baumeln die toten Seemänner beim Freudenfest von der Decke
Regisseur Olivier Py bringt in Wien die Urfassung der Oper aus dem Jahr 1840 auf die Bühne, die vor allem ein gerafftes Ende und eben nicht die Reprise der Ouverture aufnimmt - damit soll vor allem die Erlösungsperspektive unterlaufen werden. Bei Py hat der Teufel (getanzt von Pavel Strasil) seine Finger deutlich im Spiel (am Ende lässt er noch sein Gemächt wirksam Richtung Auditorium schlenkern). „Erlösung“ wird am Anfang auf die Bretterwände der dunklen Bühneanordnung von Pierre-Andre Weitz geschrieben. Alles ist in diesem eckigen Bretterverhau gefangen, der Schiffsrumpf und Schicksalskammer sein könnte. Eindrucksvoll funktioniert die Lichtführung von Bertrand Killy.
Archetypen statt Pschychogramm
Alles dreht sich von Beginn an schicksalshaft schnell. Hier sollen keine einzelnen Figuren ausgeleuchtet werden, sondern Archetypen in den Raum treten. So sehen einander auch der Kaufmann Donald (Lars Woldt) und der Holländer (Samuel Youn) zum Verwechseln ähnlich. Dramaturgisch simplifiziert könnte man sagen: Zwei Baritone brummen sich an und erkennen einander.

Werner Kmetitsch
Schicksal im Schiffsbauch mit wenig Hoffnung auf Erlösung
Spannend wird es in dem Moment, als Senta (klar artikuliert von Angela Brimberg) die Bühne betritt, denn hier fällt die Oper musikalisch zunächst nicht nur in die Struktur der Grand Opera retour - sondern ihr ganzer Auftrag wird deutlich: Wahn - Leitmotiv - Musikdrama. Vorbei die Zeit der Nummernrevue, eine Idee muss bis zum bitteren Ende verwirklicht werden, und hier setzt die Inszenierung auf den Geist des Originals und macht das Ende überdeutlich und die Beziehung zwischen Senta und Georg (Bernhard Richter) klein. Im engen Guckkasten wird deutlich, warum der romantische Georg an der wahnhaften Senta scheitern muss. Der hell aufgestellte Tenor wird besiegt von der Düsternis, die kommt: Musikalisch deutet an dieser Stelle schon viel auf den „Ring“. Und geopfert wird vor allem: der Part der Heldenstimme.
Wagner in der Opernwerkstatt
Bis zu diesem Zeitpunkt laufen Inszenierung und musikalische Leitung durch Marc Minkowski mit den Musiciens du Louvre samt Arnold Schönberg Chor atemberaubend klar und dicht ineinander. Die Musiklehrstunde zu Wagner ist an jeder Stelle so klar wie kurzweilig - was kippt, als Senta und der Holländer einander treffen. Plötzlich taucht ein übergroßer Totenschädel im Raum auf, auf den Senta klettert, sodass man froh sein muss, dass sie ihm nur in die Augenhöhlen und nicht in die Nase steigt.
Hinweis
„Der fliegende Holländer“ steht noch bis 24. 11. auf dem Spielplan des Theaters an der Wien. Am 24. wird die Aufführung live via Sonostream.tv gezeigt.
Wozu diese Überverdeutlichung am Stoff sein soll, bleibt rätselhaft wie die dunklen, vom Teufel geworfenen Wellen aus dünner Plastikfolie, in die der Holländer und Senta steigen. Das Publikum hätte wohl alles auch ohne die Forcierung bildlicher Zeichen entschlüsselt und vielleicht frenetischer eine der spannendsten Opernbearbeitungen gewürdigt, die man im Theater an der Wien gesehen hat, seit es sich als Opernhaus definiert.
Gerald Heidegger, ORF.at
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