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Grenzwert um Vielfaches überschritten

Mit dem Beginn der Wintersaison hat sich die Luftverschmutzung in China dramatisch verstärkt. Nach den amtlichen Statistiken kletterten die Werte für PM2.5-Feinstaub Anfang dieser Woche in Changchun, der Hauptstadt der nordostchinesischen Provinz Jilin, auf 860 Mikrogramm und in Schenyang, der Hauptstadt der Nachbarprovinz Liaoning, sogar auf 1.157 Mikrogramm pro Kubikmeter.

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Das ist mehr als 50-mal so hoch wie der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Grenzwert von durchschnittlich 25 Mikrogramm pro Kubikmeter. Massiv überschrittene Grenzwerte wurden von der staatlichen „People’s Daily“ auch aus anderen Städten gemeldet. Allein in der Provinz Liaoning seien neun Städte massiv betroffen. Die Sichtweite sei, wie etwa der „Guardian“ berichtet, teilweise auf hundert Meter gesunken.

Menschen

APA/EPA/Allen Mei

Im Smog versunken: Die chinesische Provinzstadt Schenyang

PM2.5-Feinstaubpartikel sind hochriskant für die menschliche Gesundheit. Sie können bis in die Lungenbläschen gelangen. In China wird die zunehmende Umweltverschmutzung inzwischen für Hunderttausende Todesfälle verantwortlich gemacht, etwa durch Herzerkrankungen, Schlaganfälle und Lungenkrebs.

Heizungen als Ursache vermutet

Die Verwaltung von Schenyang führte die extrem hohe Feinstaubbelastung darauf zurück, dass das Heizsystem der Stadt in diesen Tagen hochgefahren worden sei. Die Stadtverwaltung von Changchun teilte mit, angesichts der aktuellen Luftverschmutzung würden Dringlichkeitsmaßnahmen ergriffen, etwa der Verzicht auf schulische Freiluftaktivitäten und die Aufforderung an die Bürger, umweltfreundliche Verkehrsmittel zu nutzen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua bezeichnete derartige Dringlichkeitsmaßnahmen angesichts des Ausmaßes der Umweltverschmutzung als „nutzlos“. In einem Xinhua-Bericht wurde ein Einwohner Schenyangs mit den Worten zitiert: „Wenn man nach draußen geht, fühlt man, wie die Luft in den Augen brennt, wie der Rachen schmerzt. Dann geht man und kauft sich eine Atemmaske - aber es bleibt unklar, was wir eigentlich tun sollen.“

CO2-Ausstoß offenbar weit höher als gedacht

Weit höher als bisher gedacht liegt in China nach Angaben der „New York Times“ („NYT“) unterdessen auch der Ausstoß von Treibhausgasen. Unter Berufung auf bisher nicht veröffentlichte Daten eines Energiejahrbuchs Chinas aus dem Jahr 2013 schreibt die Zeitung, das Land verbrenne jährlich 17 Prozent mehr Kohle als bisher angenommen.

Allein dadurch entstehe mehr CO2, als die gesamte deutsche Wirtschaft jährlich durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas ausstoße. China produziert bereits weltweit mit Abstand die meisten Treibhausgase. Nach „NYT“-Angaben liegt der Ausstoß in Wirklichkeit eine Milliarde Tonnen höher: „Auch für ein Land von der Größe Chinas ist diese Korrektur immens.“

„Sämtliche Daten müssen überprüft werden“

Die neuen Werte könnten die Verhandlungen auf dem bevorstehenden Weltklimagipfel in Paris erschweren. Ende November kommen in Paris die Vertreter von rund 190 Staaten zusammen. Sie wollen durch eine verbindliche Senkung der Treibhausgase die globale Erwärmung begrenzen.

Staatspräsident Xi Jinping hatte angekündigt, sein Land wolle bis zum Jahr 2030 den CO2-Ausstoß gemessen am Wirtschaftswachstum um bis zu zwei Drittel herunterfahren. Dieses Ziel könnte nun infrage stehen.

Der „NYT“-Bericht zitiert chinesische Energiebeamte und -forscher: Sämtliche Daten und Voraussagen müssten überprüft werden. Die Abhängigkeit Chinas von Kohle sei gravierend unterschätzt worden, vor allem gelte das für Kraftwerke sowie die Stahl- und Zementproduktion. China steht vor dem Problem, seine Wachstumsziele zumindest mit einer Deckelung der Umweltverschmutzung in Einklang bringen zu müssen. Immer wieder haben ganze Regionen mit gravierendem Smog zu kämpfen.

Umweltminister: Smog bedroht sozialen Frieden

Der Unmut vieler Chinesen über die Luft- und Wasserverschmutzung bedroht nach Ansicht des neuen chinesischen Umweltministers nicht nur die Gesundheit, sondern auch den sozialen Frieden. Wenn die Verärgerung nicht ernst genommen werde, könnten daraus gesellschaftliche und politische Probleme erwachsen, sagte Chen Jining im März während der Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses.

Nach dreijähriger Beratung war vergangenes Jahr erstmals seit 1989 das Umweltschutzgesetz verschärft worden. Statt einmaliger Strafen dürfen Behörden von Unternehmen künftig täglich Strafzahlungen einfordern, wenn sie gegen die Umweltvorgaben verstoßen. Bisher liegen noch keine Zahlen über Strafen für konkrete Umweltsünder vor.

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