„Weitere Klarstellungen“ erwartet
Die Abgaskrise beim deutschen Autohersteller Volkswagen (VW) ruft nun auch die EU-Kommission auf den Plan. In einem geharnischten Brief forderte EU-Energiekommissar Miguel Arias Canete VW-Chef Matthias Müller am Montag auf, innerhalb der nächsten zehn Tage „weitere Klarstellungen“ über die CO2-Emissionen von VW-Fahrzeugen zu liefern. Das berichtete das „Wall Street Journal“ („WSJ“).
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Denn neben der Manipulation von Dieselabgaswerten bei rund 8,5 Millionen Fahrzeugen räumte der Konzern inzwischen auch ein, dass bei 800.000 Autos zu niedrige CO2-Werte angegeben und damit falsche Versprechen beim Verbrauch gemacht wurden. Während die Limits von Stickoxiden auf nationaler Ebene der EU-Mitgliedsstaaten geregelt sind, kommt der EU bei den CO2-Emissionen eine stärkere Rolle zu - nicht zuletzt wegen deren Beitrages zum Klimawandel. Entsprechend kontrolliert die EU-Kommission jedes Jahr den CO2-Ausstoß der Autohersteller.
In seinem Brief forderte Canete dem „WSJ“ zufolge detaillierte Informationen über Art und Zahl der betroffenen Modelle und darüber, in welchem Ausmaß die Werte zu niedrig angegeben wurden. Eine klare Information wünscht sich die EU-Kommission dem Bericht zufolge auch, bis wann die Fahrzeugdokumente mit den korrekten CO2-Emissionen aktualisiert werden können.
Prüfverfahren begonnen
Mit dieser Frist setzte die EU ein Prüfverfahren in Gang, das hohe Strafen für VW nach sich ziehen kann, sollten die Werte tatsächlich über dem vorgegebenem Limit gewesen sein. Bisher lag VW bei den CO2-Emissionen nach Angaben eines EU-Beamten meist bei zehn Prozent unter dem angegebenen Grenzwert.
Erlaubt ist ein CO2-Ausstoß von maximal 130 Gramm pro Kilometer im Durchschnitt. Gerechnet werden die Emissionen quer über die gesamte Fahrzeugflotte eines Autoherstellers - umweltfreundlichere Autos können dadurch die Belastung durch andere Fahrzeuge ausgleichen. Ist das Limit ausgereizt, drohen allerdings hohe Strafen. Das erste Gramm mehr an CO2-Ausstoß kostet fünf Euro pro Kilometer, das zweite 15 Euro, das dritte 25 Euro. Jedes weitere Gramm zu viel an CO2 bringt eine Strafe von 95 Euro pro Kilometer. Von VW selbst gab es bisher keinen Kommentar zu dem Brief. Man habe ihn noch nicht erhalten, könne dazu also auch nichts sagen, berichtete das „WSJ“ aus dem Konzern.
Auch Kraftfahrt-Bundesamt setzte Fristen
Auch weitere Fristen wurden gesetzt: Der VW-Konzern muss bis spätestens 30. November dem deutschen Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auch einen Lösungsvorschlag für die manipulierten 1,2-Liter-Motoren präsentiert haben. Das sagte ein Sprecher der Behörde am Dienstag der dpa. Für die mittelgroßen Dieselmotoren mit 1,6 Liter Hubraum ist der Stichtag der 15. November.
Am Montag hatte das deutsche Verkehrsministerium unter Berufung auf das KBA mitgeteilt, dass in Deutschland für 540.000 Wagen des VW-Konzerns neben einer Softwarelösung auch neue Bauteile hermüssen. Nach aktuellem Stand sind davon nur die 1,6-Liter-Motoren betroffen, für die Maschinen mit 2,0 und 1,2 Litern reicht ein bloßes Software-Update am Computer ohne den Einbau neuer Teile aus.
Der KBA-Sprecher betonte aber den „ständigen Informationsfluss“ bei dem Thema. „Es ist noch nichts in Stein gemeißelt“, sagte er. Bisher ist nur der Stichtag für 2,0-Liter-Motoren (21. Oktober) abgelaufen. Die Fristen für die Motoren mit 1,6 (15.11.) und 1,2 Liter (30.11.) enden um Mitternacht. Fest steht bereits, dass die Rückrufe im Jänner 2016 mit den 2,0-Liter-Motoren beginnen sollen und für die mittleren Maschinen (1,6 Liter), die Bauteile benötigen, erst im Herbst 2016.
Einigung mit Betriebsratschef
Erst am Montag brachte VW eine Aufsichtsratssitzung hinter sich, um einen Ausweg aus der Krise zu suchen. Auch wenn die Stimmung laut Teilnehmern „scheiße“ gewesen sei, brachte die Sitzung immerhin eine Einigung zwischen VW-Chef Müller und dem mächtigen Betriebsratschef Bernd Osterloh. Beide wollen nach Unstimmigkeiten bei der Bewältigung der Abgaskrise nun doch zusammenarbeiten.

APA/EPA/Julian Stratenschulte
Betriebsrat Osterloh (l.) und VW-Chef Müller wollen nun in Krise kooperieren
Osterloh hatte den Vorstand am Freitag scharf kritisiert und ihm Verstöße gegen die Mitbestimmung vorgeworfen. Er kritisierte, das Management verkünde Sparmaßnahmen einseitig und lasse den Betriebsrat dabei bewusst außen vor. „Wir erleben derzeit, wie der Vorstand agiert und dabei die Interessen der Beschäftigten vollkommen außer Acht lässt“, sagte Osterloh zu Reuters.
Ganz anders klang der mächtige Arbeitnehmervertreter am Montag: „Matthias Müller wird sich persönlich um die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Betriebsrat kümmern. Dies ist ein starkes Signal für die Belegschaft“, betonte Osterloh. Die Herausforderungen der Abgaskrise seien „enorm, aber die Belegschaft steht hinter dem Unternehmen, sofern es uns gelingt, eine ausgewogene Planung zwischen Investitionen, Sparmaßnahmen und Zukunftsprojekten zu verabreden“.
Offenbar bisher sieben Manager suspendiert
Nichts Neues wurde vorerst über den Ermittlungsstand bei der Aufklärung des Abgasskandals bekannt. Die mit der Suche nach den Verantwortlichen beauftragte Anwaltskanzlei Jones Day habe dem 20-köpfigen Kontrollrat zwar ihre bisherigen Erkenntnisse vorgetragen, sagte ein Insider. Zwischenstände würden jedoch nicht veröffentlicht. Bisher sollen sieben Manager suspendiert worden sein.
Zugleich wurde am Montag bekannt, dass wegen des VW-Abgasskandals wohl bei 540.000 Dieselfahrzeugen in Deutschland größere technische Änderungen als ein Austausch der manipulierten Software nötig werden. Davon sei nach Angaben des deutschen Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) derzeit auszugehen, teilte das deutsche Verkehrsministerium am Montag mit. Die Rahmenbedingungen für diese Hardwareänderungen sollen den betroffenen Wagenhaltern von VW mitgeteilt werden.
Individuelle „Maßnahmenpakete“
Einkaufsgutscheine wie sie Kunden in den USA erhalten, will der Konzern Betroffenen in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern aber zunächst nicht bieten. Die Möglichkeit, getäuschte Kunden über Gutscheine zu entschädigen, gelte „ausschließlich für die USA und Kanada“, sagte ein VW-Sprecher am Montag in Wolfsburg in Deutschland.
VW entwickle individuell für jeden Markt ein „Maßnahmenpaket“ für Kunden, um auf den Manipulationsskandal zu reagieren. Der Konzern bestätigte, dass Betroffene in den USA Gutscheine im Wert von bis zu 1.000 Dollar erhalten werden. 500 Dollar könnten in VW-Autohäusern eingelöst werden, der Rest sei als Prepaid-Guthaben beim Kreditkartenanbieter Visa frei verfügbar, hieß es. Darüber hinaus will Volkswagen drei Jahre lang rund um die Uhr kostenlos Pannenhilfe anbieten.
Brief an Finanzministerium
In Österreich will VW offenbar auf Kunden und Händler zugehen. Mögliche höhere Steuern, die aus den falsch angegebenen Emissionswerten resultieren könnten, will VW übernehmen. Der neue VW-Chef Müller schrieb dazu einen Brief an alle 28 EU-Finanzminister. Im österreichischen Finanzministerium wurde am Sonntag gegenüber der APA bestätigt, dass VW Kontakt aufgenommen habe.
In Österreich erfolgt die Besteuerung des CO2-Ausstoßes über die Normverbrauchsabgabe (NoVA). Diese wird vom Autohändler eingehoben, der daher auch abgabenpflichtig ist - im Falle einer Steuernachzahlung ist daher der Händler der Ansprechpartner für die Finanzbehörden. Rund 60 Prozent der VW-Händler in Österreich stehen aber ohnehin im Besitz des deutschen Autokonzerns. Anders ist das bei Eigenimporten, hier haftet der Autobesitzer, der das Auto eingeführt hat.
Links: