„Mehr Transparenz auf Arbeitsmarkt“
Von Melbourne und Chennai über Brüssel, Genf und Paris bis nach New York City: Mit zahlreichen Events über den ganzen Globus verstreut haben Praktikanten am Dienstag beim International Interns’ Day versucht, auf ein tatsächlich weltweites Phänomen aufmerksam zu machen: Junge Menschen, nach einer oft überdurchschnittlichen Ausbildung, finden häufig keinen Job, sondern bestenfalls ein Praktikum.
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Und dann sollen die Praktikanten oft unbezahlt, ohne Arbeitsvertrag und Rechte alle möglichen Arbeiten in Institutionen und Unternehmen erledigen, die nichts mit der Ausbildung zu haben und genau das, was ein Praktikum eigentlich sein sollte, nicht bieten. Nämlich die Möglichkeit, nach der theoretischen Ausbildung die nötige berufliche Praxis zu sammeln, um in künftigen Jobs den Herausforderungen gewachsen zu sein.
Schwarze Bilanz
Sechs von zehn Praktikanten bekommen keinerlei Geld für ihre Tätigkeit. 40 Prozent erhalten auch keine Arbeitsverträge. Und in 30 Prozent lernen Praktikanten nicht einmal etwas dazu, so das düstere Fazit der Interns’-Day-Organisatoren.
„Passiert einiges“
Nicholas Wenzel, der selbst mehrere Praktika absolvierte und nun Mitbetreiber des Webservice InternsGoPro ist, hat nach eigenen Angaben den Eindruck, dass gerade „einiges passiert“: In Deutschland gelte der neue gesetzliche Mindestlohn auch für Praktikanten mit abgeschlossenem Studium. Frankeich habe eine Quotenregelung beschlossen, wie viele Praktikanten ein Unternehmen maximal einstellen darf. Und die EU-Kommission habe einen Framework of Quality Internships ausgearbeitet - im Grunde Empfehlungen an die Mitgliedsländer, wie sie die Situation für Praktikanten verbessern können, so Wenzel im Interview mit ORF.at.
Der Jungunternehmer fordert vor allem „mehr Transparenz auf dem Arbeitsmarkt“. Denn heute könnten viele Junge vor Antritt eines Praktikums die Qualität dessen, was ihnen dort geboten wird, überhaupt nicht einschätzen. Sein Unternehmen habe daher, gemeinsam mit anderen Gruppen, ein Gütesiegel entwickelt. Ein Zertifikat für Unternehmen mit besonders guten Praktikastellen. Es gibt demnach 23 Qualitätsindikatoren - von Arbeitsvertrag über Bezahlung bis hin zur begleitenden Betreuung. Dazu kommt ein Kontrollsystem in Form eines Ratings - Praktikanten können im Nachhinein online beurteilen, ob das Unternehmen sich an die eingegangene Selbstverpflichtung hält.

ORF.at/Guido Tiefenthaler
Protest vor EU-Parlament: Ein Redner lässt Praktikanten im Chor rufen: „Wir wollen Bezahlung!“
Verlorene Idee
Die ursprüngliche Idee des Praktikums sei „leider verloren gegangen“. Anstatt Platz für das Sammeln beruflicher Praxis zu geben, würden Arbeitgeber in Praktikanten meist nur noch billige Arbeitskräfte sehen. Das sei „hochproblematisch“, weil Praktikanten damit normale Arbeitskräfte verdrängten. Und die Praktikanten fühlten sich auch ausgenutzt. Für Wenzel ist das eine Art „Marktversagen“: Weil die Nachfrage nach Praktikaplätzen so groß und das Angebot vergleichsweise klein ist, könnten es sich Arbeitgeber „leisten“, die jungen Bewerber auszunutzen.
Wenn Eltern es nicht „richten“ können
Längst sind Praktika zumindest für Absolventen von Unis und Hochschulen zum fast unumgänglichen Ritual geworden - und das nicht nur während des Studiums, sondern vor allem auch anschließend, wenn sie versuchen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. In vielen Sektoren ist es fast unmöglich, einen Job zu bekommen, ohne ein oder mehrere Praktika absolviert zu haben. Dass diese Praktika sich im Graubereich oder ganz klar jenseits all dessen, was arbeitsrechtlich zulässig ist, abspielen, kommt erschwerend hinzu. Und es ist eine doppelte Diskriminierung für all jene, für die es nicht die Eltern „richten“ können - also die es sich schlicht nicht leisten können, unbezahlt zu arbeiten.
Hauptstadt der Praktikanten
Brüssel ist nicht nur die EU-Zentrale, sondern auch die europäische Praktikantenhochburg: Neben den EU-Institutionen wie Kommission und Parlament arbeiten auch in zahlreichen Thinktanks, Vertretungen und Unternehmen permanent Tausende Praktikanten. Aber selbst hier gibt es ein starkes Gefälle bei Bezahlung und Umgang mit den jungen Leuten. Und im EU-Parlament gibt es noch immer Abgeordnete, die ihre Praktikanten nicht bezahlen.
Eigene NGOs
In einigen Ländern haben sich zuletzt NGOs gebildet, um die Interessen von Praktikanten zu vertreten, etwa auch in Australien. In Österreich gibt es seit 2006 die Plattform Generation Praktikum.
Die grüne Vizechefin des EU-Parlaments, Ulrike Lunacek, ist überzeugt, die EU-Institutionen müssten Vorbild sein, umso mehr, als die rund 2.000 Praktikantinnen und Praktikanten jährlich ihrer Meinung nach „mit ihrer Arbeit wesentlich zum Funktionieren der Institutionen“ beitrügen. Lunacek fordert daher „Berufseinstiegsjobs mit längerfristigen Perspektiven“, eine soziale Absicherung und klare rechtliche Regelungen.
Im Sommer hatte ein 22-jähriger neuseeländischer UNO-Praktikant vor den Gebäuden seines vorübergehenden Arbeitgebers in Genf gezeltet und behauptet, er könne sich keine Unterkunft leisten. Auch wenn sich dies kurz darauf als Mediengag erwies - der Neuseeländer hatte die Aufmerksamkeit auf das Problem gelenkt.
„Praktikanten aller Länder, vereinigt euch!“
Zu drängend und präsent sind derzeit allerdings andere Probleme. Und die Solidarität unter den Praktikanten war bisher auch oft enden wollend. Viele versuchen vielmehr, selbst möglichst rasch diesem Schwebezustand zu entkommen. Der Schlachtruf „Praktikanten aller Länder, vereinigt euch!“ funktioniere noch nicht, so Wenzel. Doch das ändert sich mittlerweile: Durch NGOs und Initiativen wie InternsGoPro, die die Praktikatauglichkeit von Arbeitgebern beurteilen, bekommt der Widerstand der „Generation Praktikum“ gegen die prekären Arbeitsverhältnisse einen längeren Atem. Und den wird diese und auch folgende wohl noch brauchen.
Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel
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