Koalition einigt sich auf Asylpaket
Die Spitzen der deutschen Koalition haben sich auf ein Asylpaket mit Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise geeinigt. Die Asylverfahren sollen insgesamt beschleunigt werden, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einem Treffen mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer am Donnerstagabend in Berlin.
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Das Verfahren werde nach dem Vorbild des bereits in Deutschland geltenden Flughafenverfahrens für Asylwerber aufgebaut. Die Koalition peilt an, dass solche Schnellverfahren innerhalb von drei Wochen abgeschlossen werden. Merkel sagte, man sei „einen guten und wichtigen Schritt vorangekommen“.
Beschleunigte Verfahren
Innerhalb von einer Woche soll nach den Worten Merkels bei Bewerbern mit wenig Aussicht auf ein Bleiberecht in Deutschland das Verwaltungsverfahren abgeschlossen werden. Falls Flüchtlinge gegen eine Ablehnung ihres Asylantrages Rechtsmittel einlegen wollen, soll dieses juristische Verfahren innerhalb von zwei Wochen abgeschlossen sein.
Das beschleunigte Verfahren soll laut Merkel unter anderem für Bewerber aus sicheren Herkunftsländern wie den Balkan-Staaten und für Flüchtlinge mit einer Wiedereinreisesperre gelten. Es gelte auch für Menschen, die Folgeanträge stellen oder keine gültigen Ausweispapiere haben.
Auswirkungen auf Lage an den Grenzen
Wie wirkt sich der Beschluss der deutschen Regierung auf die Situation an den Grenzen aus? ORF-Korrespondent Andreas Jölli berichtet aus Berlin.
Für die genannte Flüchtlingsgruppe sollen bundesweit drei bis fünf Registrierzentren eingerichtet werden, in denen eine „verschärfte Residenzpflicht“ gelte. Wer im Zentrum unterkomme, dürfe sich nur im Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde bewegen. Verstöße gegen die Vorschrift sollten „erhebliche Auswirkungen“ haben, sagte Merkel. Wer sich nicht an die Residenzpflicht halte, verliere seinen Anspruch auf soziale Leistungen, zudem ruhe der Asylantrag. Bei einem zweifachen Verstoß gegen die Residenzpflicht soll eine sofortige Ausweisung erfolgen.
Keine Transitzonen
SPD-Chef Gabriel sieht die Einrichtung spezieller Aufnahmestellen für Flüchtlinge ohne Chancen auf Asyl als guten Weg zu einem geordneteren Verfahren. Er sei froh, dass es nicht zu Transitzonen, extraterritorialen Einrichtungen und einer Inhaftierung von Asylwerbern komme, sagte Gabriel. Dass für die Menschen in diesen Einrichtungen nun eine Residenzpflicht gelten solle, sei eine „durchaus angemessene Maßnahme“. Schließlich sei eine solche Regelung früher für alle Flüchtlinge in Deutschland Normalität gewesen.
Seehofer erwartet mehr Abschiebungen
CSU-Chef Seehofer erwartet mehr Abschiebungen durch die in der Koalition vereinbarten beschleunigten Asylverfahren. Wenn diese schnell durchgeführt würden, sei eine realistische Chance für Rückführungen gegeben, sagte der bayrische Ministerpräsident. Das schaffe automatisch mehr Kapazitäten für die wirklich Schutzbedürftigen. Dabei gehe es um rechtsstaatlich einwandfreie Verfahren. „Ich bezeichne das, was wir vereinbart haben, als gut“, betonte Seehofer. Nun komme es auf die Umsetzung an, auf die die Bevölkerung warte. Dann bestehe „die große Chance, für diese Politik das Vertrauen der Menschen zu gewinnen“.
Ausweis für Flüchtlinge und Asylwerber
Merkel kündigte zudem einen einheitlichen Ausweis für Flüchtlinge und Asylwerber an. Nur wer künftig ein solches Papier vorlegen kann, soll Leistungen erhalten. Mit dem einheitlichen Papier soll die bisherige Vielzahl von Registrierungen und Erfassungen der hilfesuchenden Menschen gebündelt werden. Zudem soll eine Datenbank eingerichtet werden, damit die unterschiedlichen staatlichen Stellen einen besseren Überblick über die Ankommenden erhalten.

Reuters/Fabrizio Bensch
Seehofer, Merkel, Gabriel (v. l.): Flüchtlinge erhalten speziellen Ausweis
Änderungen gibt es auch beim Familiennachzug. Für eine bestimmte Flüchtlingsgruppe soll für zwei Jahre der Nachzug von Angehörigen ausgesetzt werden. Das gilt für Menschen, die nicht nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder dem Asylgrundrecht anerkannt werden, aber in Deutschland bleiben dürfen.
Zudem wurde beschlossen, dass Asylwerber, die voraussichtlich in Deutschland bleiben können und deshalb Sprach- und Integrationskurse besuchen dürfen, einen Teil der Kosten selbst zahlen müssen.
Gipfeltreffen EU - Türkei gefordert
Die deutschen Regierungsparteien drängen auf die rasche Einberufung eines EU-Türkei-Gipfels, bei dem eine Agenda beschlossen werden soll. Unter anderem soll es eine finanzielle Unterstützung der Türkei zur besseren Versorgung der Flüchtlinge geben. Die deutsche Regierung will sich für die Eröffnung neuer Kapitel bei den laufenden EU-Beitrittsverhandlungen einsetzen. Zudem soll es ein legales Kontingent von Flüchtlingen geben, die aus der Türkei in die gesamte EU kommen dürfen.
Daneben soll laut der deutschen Regierung der derzeit nicht gewährleistete Schutz der EU-Außengrenzen wiederhergestellt werden. Noch in diesem Jahr sollen die beschlossenen Registrierzentren in Griechenland und Italien funktionsfähig sein. Gemeinsam mit den USA will sich Deutschland zudem weiter an der Stabilisierung Afghanistans beteiligen.
Opposition übt Kritik
Scharfe Kritik am Asylpaket kommt indes von der deutschen Opposition. „Die SPD hat sich wieder einmal dem Asylverschärfungskurs der CSU untergeordnet“, sagte Grünen-Chefin Simone Peter am Donnerstag zu Reuters. „Schnellverfahren, eine verschärfte Residenzpflicht und weitere Leistungseinschränkungen sind nicht hinnehmbare Schikanen und ein Angriff auf die Rechte von Asylbewerbern.“ Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, sprach von einem „faulen Kompromiss“.
Auch die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl kritisierte die beschlossenen Maßnahmen zu Asylverfahren als „gravierenden Einschnitt in das Asylrecht“. Der Beschluss stelle eine „weitgehende Beschneidung des Zugangs zu einem fairen Asylverfahren für Tausende Menschen“ dar, so Pro Asyl am Freitag. Die NGO warf der Koalition vor, mit ihren Beschlüssen vor allem auf afghanische Flüchtlinge zu zielen. „Deutschland setzt auf Entrechtung und Abschreckung. Der Sommer des Mitfühlens ist einer Politik der Kälte gewichen“, so Geschäftsführer Günter Burkhardt.
Schäuble will weiter ohne Schulden auskommen
Trotz milliardenschwerer Zusatzausgaben wegen der Flüchtlingskrise ist ein Bundeshaushalt ohne neue Schulden nach Angaben von Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch weiterhin realistisch. „Wir sind in der Lage, aus heutiger Sicht, den Haushalt 2016 ohne Neuverschuldung zu schaffen“, sagte Schäuble am Donnerstag in Berlin bei der Vorstellung der neuen Steuerschätzung. Der Bund müsse 2016 mit Mindereinnahmen rechnen, die aber bereits einkalkuliert seien.
„Bund, Länder und Kommunen sind solide finanziert und handlungsfähig“, hob Schäuble hervor. Aufgrund der guten Haushaltslage im laufenden Jahr sei es auch gelungen, für 2016 wegen der Flüchtlingskrise eine Rücklage zu bilden. Der Minister äußerte dabei die Erwartung, dass im kommenden Jahr weniger als 800.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden. Für die Jahre danach ließen sich jedoch finanzielle Auswirkungen noch nicht abschätzen. Es könne schon sein, dass „die Spielräume geringer werden“.
Juncker: Deutschlands Leistung „grandios“
Unterdessen hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der deutschen Regierung in der Flüchtlingskrise den Rücken gestärkt und sie als Vorbild für andere präsentiert. Die Leistung Deutschlands sei „grandios“, sagte Juncker am Donnerstag. Berlin sei in Europa mit seinem Vorgehen keineswegs isoliert, sondern übernehme Verantwortung. Das müssten andere auch tun, betonte Juncker. Eine Reihe von EU-Staaten hat ihre in Brüssel gemachten Zusagen bisher nicht eingehalten.
Der EU-Kommission zufolge fehlen von den versprochenen 5,6 Milliarden Euro noch immer fast 2,3 Milliarden Euro, mit denen die EU afrikanische Länder, Anrainerstaaten Syriens und das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR unterstützen will.
Seit voriger Woche sind aus den 28 EU-Staaten insgesamt nur rund drei Millionen Euro hinzugekommen. Auch bei der Bereitstellung von Plätzen für die 160.000 Flüchtlingen, die vornehmlich aus Italien und Griechenland verteilt werden sollen, bewegen sich die Mitgliedsländer weiter zögerlich: So haben nach Angaben der EU-Kommission 14 Staaten 2.284 freie Plätze gemeldet - lediglich rund 900 mehr als vorige Woche.
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