Abwärtsspirale bei Qualität befürchtet
Heimische Nahrungsmittelriesen äußern sich zunehmend skeptisch zum Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP): Für NÖM-Chef Alfred Berger ist es eine einfache Rechnung: „Der österreichische Milchbauer hat durchschnittlich 17 Kühe“, so Berger diese Woche in einer TTIP-Diskussionsrunde. Mit dem Abkommen könnten US-Farmen mit bis zu 32.000 Kühen den europäischen Markt beliefern. Das gehe sich für Österreichs Milchbauern dann nicht mehr aus.
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Nicht nur die Kosten für die Betriebe seien ein Thema: „Die Kleinstruktur in Österreich sichert auch die Qualität der Milch, die bei allen Molkereien im ganzen Land gentechnikfrei ist.“ Mit dem Eindringen von US-Unternehmen könne sich das ändern, so Berger am Mittwoch bei einem TTIP-Expertentalk mit Vertretern von Lebensmittelunternehmen, NGOs und Ernährungsexperten in Wien. Er sehe die Gefahr einer Abwärtsspirale bei der Qualität der Lebensmittel, sollte TTIP Realität werden.
Marktverzerrung durch TTIP
Damit ist Berger nicht alleine: Bernhard Ölz, Geschäftsführer des gleichnamigen Backwarenherstellers, kritisiert den Fokus, durch TTIP ein Mengenwachstum zu erreichen, ohne Rücksicht auf die Herstellung der Produkte: „Ich frage mich, wann wird das Ende der Fahnenstange erreicht sein?“
In Österreich würden pro Kopf durchschnittlich 70 Kilo Getreide- und Mehlerzeugnisse im Jahr konsumiert, so Ölz, das habe sich seit den 70er Jahren nicht verändert. Wenn auf diese 70 Kilo eine enorm höhere Menge gleicher Waren unterschiedlicher Hersteller auf den Markt komme, dann sei eine Marktverzerrung unvermeidbar.
US-Handelsministerin sieht Vorteile
US-Handelsministerin Penny Pritzker wies solche Befürchtungen vor schlechter Qualität und niedrigen Standards durch TTIP unlängst zurück. „TTIP macht es allen Unternehmen leichter, auf beiden Märkten Geschäfte zu machen. Es geht nicht um Deregulierung“, sagte Pritzker vergangene Woche bei der Transatlantischen Wirtschaftskonferenz in Deutschland. Das Abkommen werde die Lebensqualität auf beiden Seiten des Atlantiks erhöhen und die Wirtschaft beleben. Vor allem Mittelständler seien dann wegen geringerer Kosten, eines besseren Marktzugangs und höherer Effizienz im Vorteil, meinte Pritzker.
Kleinunternehmer skeptisch
Genau diese sehen sich aber von TTIP eher bedroht. Bei der überregionalen Onlineinitiative „KMU gegen TTIP“ haben bereits über 1.700 österreichische Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) mit einer Unterschrift gegen TTIP gestimmt – ebenso viele wie in Deutschland.
Ihr Hauptkritikpunkt: Das Freihandelsabkommen TTIP nutze vor allem großen Konzernen. Für klein- und mittelständische Unternehmen sei der österreichische und der europäische Markt der wichtigste. „Deutlich weniger als ein Prozent der österreichischen und europäischen KMU exportieren in die USA“, erklärt die Initiative in ihrem Positionspapier. Für diese seien die von der EU prognostizieren Wachstumschancen durch TTIP stark überzeichnet.
„Nur vier Prozent der österreichischen Exporte in die USA sind Lebensmittel“, sagt Johannes Gutmann, Geschäftsführer des Bioteeherstellers Sonnentor und Mitinitiator von „KMU gegen TTIP“ im Gespräch mit ORF.at. Sollte TTIP kommen, würden sich damit viele Bestimmungen zum Beispiel beim Thema Gentechnik ändern, „TTIP würde dann für uns Klein- und Mittelständler langfristig den Tod bedeuten“, so Gutmann.
Spar-Chef entschieden gegen Abkommen
Spar-Chef Gerhard Drexel sieht eine weitere Gefahr: „Über 1.300 Chemikalien sind in der EU verboten, die in den USA erlaubt sind. Sogar Asbest ist in den USA noch immer nicht verboten.“ Nicht nur in den USA, auch in Europa gibt es Länder, in denen der hochgefährliche Stoff nicht verboten ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat daher dieses Jahr ein Asbestverbot in allen Ländern Europas gefordert. In Österreich ist Asbest bereits seit 1990 verboten.
Neben den Chemikalien liege vor allem in der Verbreitung hochgiftiger Pestizide ein erheblicher Nachteil für die Gesundheit, so Drexel. Nahrungsmittel aus den USA wie Äpfel und Birnen, die mit giftigen und in der EU verbotenen Pestiziden wie Diphenylamin behandelt wurden, könnten durch TTIP dann ganz einfach auf den europäischen Lebensmittelmarkt gelangen.
Ruf nach mehr Selbstbewusstsein
„Die USA sitzen auf Lebensmittelbergen, die sie durch Exporte loswerden möchten“, sagte der Arzt und Ernährungsexperte Markus Metka bei der TTIP-Diskussionsrunde. Gerade der Nahrungsmittelmarkt müsste aus den TTIP-Verhandlungen komplett ausgeklammert werden, so Metka, „die schlechte Qualität der Nahrungsmittel zeigt in den USA langsam, aber sicher ihre Auswirkungen. Die Menschen werden dort vergiftet.“
Die Unternehmer forderten bei der Gesprächsrunde vor allem eines – mehr Selbstbewusstsein bei den Verhandlungen: Nur wenn die EU bei den Gesprächen über Normen und Regularien mit den USA auf Augenhöhe verhandle, gebe es Hoffnung, dass TTIP die österreichische Lebensmittelindustrie nicht komplett überflutet.
Manuela Tomic, ORF.at
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