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„Dieselgate“ zieht immer weitere Kreise

Im Skandal um manipulierte Abgaswerte ist die VW-Aktie nach neuen Vorwürfen aus den USA ins Minus gestürzt. Die Papiere des deutschen Autoherstellers brachen zwischenzeitlich um bis zu 5,1 Prozent ein und bildeten damit das Schlusslicht im Leitindex DAX.

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Am Montagabend, als die deutsche Börse schon geschlossen war, hatte die US-Umweltbehörde EPA Europas größtem Autokonzern vorgeworfen, auch bei Dieselmotoren mit 3,0 Liter Hubraum eine Manipulationssoftware eingesetzt zu haben. Betroffen seien unter anderem der VW Touareg, der Porsche Cayenne und Luxuslimousinen der Tochter Audi wie der A8 der Modelljahre 2014 bis 2016.

Ex-Porsche-Chef Müller unter Druck

„Sollte sich der Vorwurf bewahrheiten, würde dies die Kosten für ‚Dieselgate‘ deutlich in die Höhe treiben“, sagte ein Händler. Habe der Autokonzern den Behörden etwas verheimlicht, würde das die möglichen Strafzahlungen um mehrere Milliarden erhöhen.

Matthias Müller

APA/AFP/Odd Andersen

VW-Chef Müller war bis vor Kurzem Porsche-Chef

Zudem dürfte sich der Druck auf den neuen VW-Chef Matthias Müller erhöhen, sollte auch Porsche in den Skandal verwickelt sein. Müller war vor seinem Wechsel an die VW-Spitze Vorstandsvorsitzender bei Porsche. Seit Bekanntwerden der Abgasmanipulationen Ende September büßten VW-Papiere mehr als 30 Prozent an Wert ein.

Auch andere Hersteller im Minus

„Dieselgate“ machte auch den anderen deutschen Fahrzeugherstellern zu schaffen. Daimler-Aktien verloren zwischenzeitlich 1,5 Prozent, BMW-Papiere büßten 1,3 Prozent ein, obwohl BMW mit den Quartalsergebnissen positiv überrascht hatte. „Die Zahlen sind zwar solide bis stark, zeigen aber eine etwas geringere Dynamik als bei Daimler“, schrieb Equinet-Analyst Holger Schmidt in einem Kommentar.

Porsche Cayenne bei der IAA in Frankfurt

AP/Jens Meyer

Laut US-Behörde ist auch der Porsche-SUV Cayenne betroffen

Kräftig zulegen konnte dagegen der Autozulieferer Dürr, dessen Titel sich mit einem Kursplus von 4,6 Prozent an die Spitze des Nebenwerte-Index MDAX setzten. Dürr hob dank eines starken China-Geschäfts sein Umsatzziel für 2015 um 200 Millionen Euro auf 3,6 bis 3,7 Milliarden Euro an. Der weltweit führende Anbieter von Lackieranlagen rechnet zudem nicht mit einer geringeren Nachfrage nach VW. Der DAX büßte zu Mittag 0,34 Prozentpunkte ein und sank auf 10.913,05 Punkte. Der Euro-Zone-Leitindex EuroStoxx stand 0,10 Prozent tiefer.

VW bestreitet neue Vorwürfe

Bisher hatte sich die Abgasaffäre lediglich um Motoren von bis zu zwei Liter Hubraum gedreht. Wie viele Fahrzeuge von den neuen EPA-Vorwürfen in den USA und weltweit betroffen sind, ist nicht bekannt. In einer ersten Reaktion wies VW die neuen Vorwürfe der EPA zurück. „Die Volkswagen AG betont, dass keine Software bei den 3-Liter-V6-Diesel-Aggregaten installiert wurde, um die Abgaswerte in unzulässiger Weise zu verändern“, teilte ein VW-Sprecher am Montagabend mit. „Volkswagen wird mit der EPA vollumfänglich kooperieren, um den Sachverhalt rückhaltlos aufzuklären.“

Von den Ermittlungen sind wohl etwa 3.000 Dieselfahrzeuge des Sportwagenbauers Porsche betroffen. Diese Zahl bestätigte ein Sprecher der Stuttgarter VW-Tochter am Dienstag auf Anfrage.

VW-Abgasskandal weitet sich aus

Die US-Umweltagentur EPA beschuldigt VW, auch Motoren mit drei Liter Hubraum manipuliert zu haben. Der VW-Konzern bestreitet die Vorwürfe.

Porsche entwickelt nur Benzinmotoren selber und greift für Dieselmotoren auf die Vorarbeit von Audi und VW zurück. In der Regel werden die Diesel für den Sportwagenhersteller angepasst, etwa mit ein paar zusätzlichen PS. Im Kern bleiben die Selbstzünderantriebe aber markenübergreifend identisch.

Merkel: „Made in Germany“ nicht infrage gestellt

Der Abgasskandal stellt das gute Image der deutschen Industrie in der Welt nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht infrage. „Made in Germany“ sei ein Gütezeichen, sagte die CDU-Chefin am Dienstag beim Tag der deutschen Industrie in Berlin. „Daran ändern auch die Vorfälle bei Volkswagen nichts.“ Allerdings müsse man auf einer transparenten und schnellen Aufklärung bestehen, sagte sie.

Grüne attackieren Dobrindt

Die deutschen Grünen kritisierten angesichts der neuen Vorwürfe die Rolle von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Der grüne Verkehrspolitiker Oliver Krischer sprach von einem „Armutszeugnis für die Bundesregierung“. Noch vor wenigen Wochen habe Dobrindt den vermeintlichen Chefaufklärer gemimt. Doch erneut sei es die US-Behörde, die weiter aufdecke: „Dobrindt gerät damit immer stärker in Erklärungsnot und versinkt im Abgassumpf.“

VW seit 20 Jahren erstmals in roten Zahlen

Die US-Umweltbehörde hatte den Skandal um geschönte Abgaswerte bei VW Mitte September ins Rollen gebracht. Sie wies nach, dass Dieselwagen aus dem VW-Konzern über eine Software die Situation auf einem Prüfstand erkennen und in eine Art Abgasschonmodus schalten, um so strikte Emissionsvorgaben einzuhalten. Im Normalbetrieb auf der Straße soll der Schadstoffausstoß dagegen deutlich höher sein. Der im September aufgedeckte Abgasskandal hat VW erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder in die roten Zahlen gebracht. Im dritten Quartal musste der Konzern wegen der hohen Rückstellungen für die Folgen der Manipulationen einen Milliardenverlust ausweisen.

Regelverstöße bei Unfallstatistik?

Unabhängig vom Softwareskandal muss VW in den USA weitere Probleme fürchten. Dabei geht es um Fehler bei Pflichtmeldungen zu Unfällen mit Verletzungen und Todesfällen an die US-Verkehrsaufsicht (NHTSA). Die Regulierer waren aufmerksam geworden, weil VW in der Unfallstatistik verglichen mit anderen Herstellern ungewöhnlich selten auftauchte. Der Finanzdienst Bloomberg hatte nach eigenen Recherchen in der NHTSA-Datenbank bereits im Oktober über verdächtige Unregelmäßigkeiten berichtet.

Am Montag legte Bloomberg nach: Anhand von Gerichtsdokumenten sei zu belegen, dass VW in Klagen zu Unfällen mit mindestens drei Verletzten und einem Todesfall verwickelt gewesen sei, die der Verkehrsaufsicht nicht gemeldet worden seien. Sie könne einzelne Fälle nicht kommentieren, sagte eine VW-Sprecherin auf Nachfrage.

Die Wolfsburger sind nicht der erste Autokonzern, den sich die NHTSA wegen solcher Regelverstöße vorknöpft. Gegen Fiat Chrysler wird ebenfalls ermittelt. Honda brummte die Behörde im Jänner eine Strafe von 70 Millionen Dollar wegen mehr als 1.700 nicht vorschriftsgemäß gemeldeten Unfällen auf.

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