Eintauschprämie statt Nachbesserung?
Die Rückrufaktion nach dem Skandal um manipulierte Abgaswerte gestaltet sich für Volkswagen schwierig. Aufgrund der vielen betroffenen Dieselmodelle werden zehntausend Lösungen notwendig sein, meldete die Nachrichtenagentur dpa am Dienstag unter Berufung auf Konzernkreise. Die enorme Anzahl ergebe sich aus der Zahl der verschiedenen Motorenvarianten.
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Die Motoren unterscheiden sich nicht nur beim Hubraum (2,0, 1,6 und 1,2 Liter), sondern etwa in der Auslegung auf Getriebe (Automatik, fünf, sechs Gänge), unterschiedliche Marken (etwa Volkswagen-Pkw, Seat, Skoda, Audi), Modelljahre und Märkte weltweit, so die dpa. Verkompliziert wird die Situation zudem durch die Tatsache, dass manche der Dieselmodelle für einige Märkte speziell angepasst wurden. So wurde die PS-Zahl der Fahrzeuge in einigen Ländern aus steuerlichen Gründen begrenzt.
Softwarelösungen und neue Bauteile
Der Konzern hatte Mitte Oktober erklärt, „mit Hochdruck“ an den technischen Lösungen zu arbeiten. Ab 2016 soll laut Plan mit den Nachbesserungen begonnen werden. „Alle Maßnahmen werden zunächst den zuständigen Behörden vorgestellt“, erklärte VW. „Danach werden die Halter dieser Fahrzeuge von Volkswagen in den nächsten Wochen und Monaten darüber informiert.“
Den Anfang machen im Jänner zunächst Fahrzeuge mit einer Zweilitermaschine. Die in der Kritik stehende Software zur Motorsteuerung für die 2,0-Liter-Motoren stamme von Bosch, die für die kleineren Motoren von Continental, berichtete die deutsche „Welt“. In beiden Fällen habe VW eingeräumt, für die Manipulationen voll verantwortlich zu sein.
Bei den kleineren Modellen - jenen mit 1,6 Liter Hubraum - wird neben einem Software-Update auch der Einsatz neuer Bauteile nötig sein. Das macht die Reparatur aufgrund des Materialeinsatzes und der zusätzlichen Arbeitsstunden besonders teuer. Betroffene Fahrzeuge werden aus diesem Grund erst ab September 2016 zurückgerufen.
Anreize für Neukauf
Um die Kosten für die Umrüstung bei den 1,6-Liter-Motoren möglichst gering zu halten, erwägt VW offenbar die Einführung einer Eintauschprämie. Händler könnten den betroffenen Wagen in Zahlung nehmen und weitere Anreize für einen Neukauf anbieten, berichtete die dpa unter Berufung auf Konzernkreise und VW-Partner. Vorbild sei die vor Jahren bezahlte staatliche deutsche Abwrackprämie.
„Es werden mehrere Maßnahmen diskutiert, aber Entscheidungen sind noch nicht gefallen“, sagte eine Quelle aus dem Konzern der Nachrichtenagentur Reuters. Ob es zu einer Rücknahme oder anderen Vergünstigungen komme, hänge davon ab, ob der Absatz von VW zurückgehe. „Das ist bislang noch nicht der Fall.“ Für den Rückruf der weltweit bis zu elf Millionen betroffenen Autos hat VW 6,5 Milliarden Euro zur Seite gelegt.
Erster Quartalsverlust seit Jahren
Angesichts der milliardenschweren Kosten für den Abgasskandal dürfte der VW-Konzern am Mittwoch den ersten Quartalsverlust seit vielen Jahren ausweisen. Die roten Zahlen im dritten Jahresviertel scheinen ausgemacht, nachdem der Konzern in seiner Bilanz rund 6,5 Milliarden Euro als Reserve für Kosten des Abgasskandals zurückgestellt haben.
Die Summe schlägt im dritten Quartal voll zu Buche, wie VW bereits angekündigt hatte. Nach Schätzungen von Finanzanalysten dürfte der Konzern daher tief in der Verlustzone landen, obwohl es gleichzeitig ein Gegengewicht geben könnte: VW trennte sich Ende August endgültig von seinem früheren Partner Suzuki. Der Verkauf der milliardenschweren Anteile könnte, so schätzen die meisten Analysten, im dritten Quartal als positiver Sondereffekt verbucht werden. Dennoch dürfte das Bild in der Endabrechnung einen milliardenschweren Verlust ergeben.
Möglicherweise teure Folgen für VW-Bank
Allerdings wird sich der Abgasskandal womöglich auf die Bilanz der Finanztochter des Konzerns schlagen. Im Portfolio der Volkswagen-Financial-Services AG finden sich bis zu eine Million der von der Rückrufaktion betroffenen Dieselautos. Das geht aus einem Brief der Finanztochter an Geschäftspartner von Dienstag hervor.
Für die VW-Bank könnte das teure Folgen haben, denn der Skandal schmälert möglicherweise den Wert dieser Fahrzeuge, die VW etwa am Ende der Leasinglaufzeit wieder zurücknehmen muss. Die Finanztochter soll 400.000 der betroffenen Fahrzeuge (vor allem aus Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien) in den Bilanzen haben. Steigt die Zahl auf 600.000, dann ist die Finanztochter indirekt betroffen - etwa, weil sie VW-Autohäuser finanziert, bei denen die Wagen als Leasingrückläufer landen werden.
Unklar ist jedoch noch, ob sich das derzeit nur theoretische Restwertrisiko für den Vertragsbestand der VW-Finanztochter überhaupt in der Realität bewahrheitet. Die VW-Finanztochter betonte in dem zitierten Schreiben, dass sie 2015 „ein substanziell positives Ergebnis“ zur Konzernbilanz beisteuern werde. Zudem sei bereits mit der VW-Konzernmutter ausgehandelt, dass sie und nicht die Bank die finanziellen Folgen der Dieselrückrufe übernehme.
Ermittlungen gegen VW-Mitarbeiter
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat unterdessen gegen mehrere Mitarbeiter des Autoherstellers Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das sagte eine Sprecherin der Behörde am Dienstag und bestätigte damit einen Bericht der Branchenzeitung „Automobilwoche“. Bisher hatte es zwar ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Betrug gegeben, zunächst jedoch ohne konkrete Beschuldigte.
Über die Identität der Beschuldigten wollte die Sprecherin keine Angaben machen, es gehe allerdings nicht um die erste Führungsriege des Konzerns. Das Verfahren könne sich aber noch ausweiten. „Tendenziell werden es mehr als weniger Beschuldigte, je tiefer wir graben“, sagte ein Sprecher der dpa.
Merkel auf heikler Mission in China
Der Skandal wird auch Thema beim Besuch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in China sein. Teil der Wirtschaftsdelegation, die Merkel begleitet, wird auch Neo-VW-Chef Matthias Müller sein. Der gemeinsame Besuch sei ein Versuch auszuloten, wie die politische Führung in Peking auf den Abgasskandal reagiert, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“). China ist einer der wichtigsten Absatzmärkte für den deutschen Konzern. VW hält einen Marktanteil von 19 Prozent.
In China muss der Konzern zwar nur 1.950 Dieselautos zurückrufen. Allerdings hat das chinesische Umweltministerium eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt. Trotz Milliardeninvestitionen in China habe VW bereits vor zwei Jahren leidvolle Erfahrungen mit der Führung in Peking gemacht, berichtete die „SZ“. Damals habe das Staatsfernsehen VW wegen angeblich minderwertiger Getriebeboxen öffentlich an den Pranger gestellt.
Deutscher Verkehrsminister in USA
Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt will mit den US-Behörden bei der Aufklärung des Skandals kooperieren. „Ich habe der US-Regierung angeboten, sie regelmäßig auf den neuesten Stand zu bringen“, sagte Dobrindt am Dienstag nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Anthony Foxx in Washington. „Zudem habe ich Fachleute der US-Behörden nach Deutschland eingeladen, die Technik unserer Nachprüfungen zu betrachten.“
Rückruf auch bei Bentley
Unterdessen wurde bekannt, dass auch die britische VW-Tochter Bentley weltweit mehr als 27.000 Fahrzeuge überprüfen lassen muss. Aufgrund eines möglichen Problems mit dem Batterieanschluss der Luxusautos habe man vorsorglich einen Rückruf gestartet, teilte ein Sprecher am Dienstag mit.
Betroffen seien alle zwischen Februar 2011 und Juni 2014 gebauten Fahrzeuge der Typen Continental GT, Continental GT Convertible und Flying Spur sowie neuere Flying-Spur-Modelle. Grund für den Rückruf sei die Schraubenverbindung für ein Batteriekabel, die in einigen Fällen lose sein könne. Von 2011 bis 2014 hat Bentley 36.653 Autos ausgeliefert.
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