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Vorwürfe und finanzielle Forderungen

Der EU-Sondergipfel zur Flüchtlingsfrage hat einige neue Ansätze zum Krisenmanagement gebracht. Aber allein die zentrale Botschaft von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, wonach Staaten zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten sollten, wird wohl so einfach nicht umzusetzen sein. Zumindest einige erste Reaktionen lassen das vermuten.

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Zwar haben die am Gipfel teilnehmenden EU-Länder, darunter Österreich, sowie mehrere Balkan-Staaten vereinbart, in Europa 100.000 neue Quartiere zu schaffen, doch Griechenland äußerte bereits große Zweifel. Wie im Land 50.000 Flüchtlinge untergebracht werden sollen (zu diesem Ergebnis war der Gipfel gekommen), scheint völlig unklar.

„Monsterlager wird es nicht geben“

„Ein Monsterlager für 50.000 Menschen wird es nicht geben“, sagte der für Migration zuständige Vizeminister Ioannis Mouzalas dem griechischen Nachrichtensender „Vima FM“ am Montag. 20.000 Menschen sollten in Wohnungen untergebracht werden. Die Mieten dafür sollten vom UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) gezahlt werden, sagte Mouzalas.

Athen hatte sich verpflichtet, seine Kapazitäten bis zum Jahresende auf 30.000 Flüchtlinge zu erhöhen. Mouzalas sagte dazu dem griechischen Nachrichtensenders „Skai“, Kapazitäten für 30.000 Menschen könnten nur dann geschaffen werden, wenn Brüssel auch das dafür nötige Geld zur Verfügung stelle. „Sonst ist dieses Ziel nicht realistisch“, fügte er hinzu.

5,9 Mio. Euro für Griechenland

Und Geld aus Brüssel kommt: Die EU-Kommission unterstützt Griechenland mit zusätzlichen 5,9 Mio. Euro. Das Geld soll dem Land dabei helfen, die große Zahl der ankommenden Flüchtlinge auf den griechischen Inseln in der Ostägäis zu versorgen. Griechenland könne damit die geplanten „Hotspots“ einrichten. Die Summe solle auch die Kosten für den Transport von mindestens 60.000 Asylwerbern zum Festland in einem Zeitraum von vier Monaten decken, teilte die EU-Kommission am Montag in Brüssel mit. Die Unterstützung sei strikt auf Personen begrenzt, die per Fingerabdruck registriert seien.

Hilfsorganisationen rügen Gipfelbeschlüsse

Hilfsorganisationen rügten die Brüsseler Beschlüsse unterdessen als unzureichend. Der Balkan-Koordinator von CARE, Felix Wolff, forderte am Montag, die Europäische Union könne und müsse mehr tun. Man könne nur hoffen, dass es nicht zu Tragödien wie vor Kälte und Erschöpfung sterbenden Flüchtlingen mitten in Europa komme. CARE forderte von der EU drei dringende Maßnahmen: sichere und planbare Zugangswege für Asylsuchende, legale und zügige Möglichkeiten, Asyl zu beantragen, sowie eine Aufstockung der humanitären Hilfe sowohl in den Herkunftsländern als auch auf dem Balkan, sagte Wolff.

Stefano Argenziano, Leiter der Nothilfeprojekte von Ärzte ohne Grenzen auf dem Balkan und in Griechenland, bilanzierte, die bisherige europäische Flüchtlingspolitik sei geprägt von guten Absichten, aber auch andauerndem Missmanagement. „Seit Monaten fordern wir menschenwürdige Aufnahmebedingungen. Jetzt erwarten wir, dass sie dringend in den kommenden Tagen umgesetzt werden.“ Menschen, die fliehen, um ihr Leben zu retten, könnten nicht länger darauf warten, „bis Europa sein kaputtes Asylsystem repariert hat“.

Slowenien sieht positive Signale

Die slowenische Regierung begrüßte den Plan des Brüsseler Flüchtlingsgipfels am Montag und forderte seine „vollständige“ Umsetzung. Regierungssprecher Bojan Sefic äußerte die Hoffnung auf eine „verbesserte Zusammenarbeit“ der betroffenen Länder. Mehrere Maßnahmen zur Eindämmung des Chaos entlang der Balkan-Route der Flüchtlinge nannte der Sprecher „beachtlich“ - so den Austausch von Informationen über eigens benannte Ansprechpartner in jedem Land und die von der EU-Kommission zugesagte wöchentliche Bewertung des Plans.

Sollte der Plan nicht komplett angewandt und die Zusagen nicht eingehalten werden, müsse Ljubljana „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, fügte der Sprecher hinzu. Allerdings gebe es „erste positive Signale“. Beispielsweise hätten die kroatischen Behörden am Montag „rechtzeitig“ die Ankunft von zwei Zügen mit Flüchtlingen in Slowenien angekündigt. Bisher hatte die slowenische Regierung die mangelnde Koordinierung auf der kroatischen Seite beklagt.

Weiter Streit zwischen Kroatien und Slowenien

Die verbesserte Kommunikation zwischen den Staaten ist auch im Abschlussdokument des Gipfels festgehalten. Während die slowenische Seite erste Fortschritte sieht, hat Kroatien den nördlichen Nachbarn am Montag neuerlich kritisiert. Slowenien sei immer noch schlecht organisiert und zu langsam beim Weitertransport Tausender Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland, sagte der kroatische Innenminister Ranko Ostojic der wichtigsten slowenischen Zeitung „Delo“ (Montag-Ausgabe).


Jean-Claude Juncker mit dem Kroatischen Premier Zoran Milanovic

Reuters/Eric Vidal

Der kroatische Innenminister Ostojic mit Juncker beim EU-Gipfel

Mikl-Leitner sieht „wichtigen Schritt“

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hat sich am Montag mit den Ergebnissen des EU-Sondertreffens zur Flüchtlingsproblematik entlang der Balkan-Route zufrieden gezeigt: Es handle sich um einen „wichtigen Schritt in die richtige Richtung“, sagte sie am Rande der Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag.

Unterdessen nominierte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) seinen Europa- und Außenpolitischen Berater Raphael Sternfeld als Kontaktperson für die bessere Zusammenarbeit europäischer Staaten. Im Rahmen des Sondertreffens in Brüssel wurde entschieden, dass alle Länder entlang der Westbalkan-Route und auch die Europäische Kommission eine Kontaktperson melden, die die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Staaten bei der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise vereinfachen und verbessern soll.

„Nationale Alleingänge müssen Ende haben“

Juncker hatte das Treffen auf Bitte der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel einberufen, da es „gelte, der dramatischen Situation Herr zu werden“. Die meisten Flüchtlinge wollen nach Deutschland und dort bleiben. „Es kann nicht sein, dass im Jahr 2015 Menschen auf Feldern schlafen müssen“, daher würden in Griechenland - teils mit Hilfe des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) - und entlang der Westbalkan-Route je 50.000 Unterkünfte für die Flüchtlinge geschaffen.

Um „die Migrationsströme in den Griff“ zu bekommen, was den zweiten Hauptpunkt des Gipfels ausgemacht habe, forderte der EU-Kommissionspräsident die Registrierung der Flüchtlinge ein. Die Politik des Durchwinkens der Flüchtlinge auf dem Balkan und nationale Alleingänge müssten ein Ende haben, sagte Juncker.

Faymann: Türkei weiter Schlüsselstaat

Faymann betonte nach dem Treffen, die Türkei sei weiterhin ein Schlüsselstaat zur Bewältigung der Flüchtlingskrise. Die getroffenen Maßnahmen würden nicht helfen, „wenn wir nicht auch mit der Türkei eine Vereinbarung schaffen, die EU-Außengrenzen zu schützen“. Die Verhandlungen mit Ankara liefen derzeit „auf vollen Touren“. Der Kanzler erklärte, er könne nicht garantieren, dass in der EU keine neuen Zäune gegen Flüchtlinge errichtet würden. Niemand könne aber garantieren, dass diese dann nicht trotzdem überwunden würden, wie zwischen den USA und Mexiko. Zur Stärkung von Frontex gebe es konkrete finanzielle und personelle Beschlüsse.

Diskussionen bei Gipfel teils „unzumutbar“

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn appellierte an die Europäer, sich ihrer Werte zu besinnen und das Flüchtlingsproblem gemeinsam zu lösen. „Wir haben das zu schaffen. Wir müssen das schaffen“, sagte er am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Zugleich warnte er: „Wenn politisch der Wille nur besteht, Zäune zu bauen oder Mauern zu bauen, dann ist Europa, das Europa, das wir kennen, auf einer Schleife, wo es dann in kurzer Zeit in sich zusammenbricht. Das müssen wir verhindern.“

Asselborn berichtete, der Gipfel habe aus zwei Halbzeiten bestanden. „Die erste Halbzeit war zum Teil unzumutbar. Man hat Uneuropäisches gehört.“ Einigen Ländern am Tisch sei es mehr darum gegangen, was man tun müsse, um sich abzuschotten, statt sich den Herausforderungen zu stellen. „Das Problem ist ja, mit solchen Einstellungen gewinnt man Wahlen.“ Die zweite Halbzeit des Treffens sei „rationaler“ und „europäischer“ gewesen, schilderte Asselborn.

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