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Tsipras: „Hotspots“ bis Jahresende fertig

Der Sondergipfel zur Flüchtlingskrise in Brüssel hat mit drastischen Warnungen begonnen. Es sei Zeit, dass der Gipfel einen Aktionsplan mit konkreten, unmittelbaren Maßnahmen beschließt, erklärte Sloweniens Premier Miro Cerar. Andernfalls „glaube ich, dass die Europäische Union und Europa als Ganzes anfangen werden zu zerfallen“, sagte Cerar.

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„Die Situation ist sehr ernst“, so Cerar. Viele Länder würden dann Einzelmaßnahmen setzen. „Europa steht auf dem Spiel.“ Werden die Probleme nicht gelöst, „ist das der Anfang vom Ende der EU und Europa als solches“.

Zugleich beschuldigte Cerar neuerlich das Nachbarland Kroatien, Flüchtlinge weiterzuschicken und Slowenien nicht darüber zu informieren. „Ich erwarte, dass sich Kroatien sehr anders verhält.“ Zudem forderte er, dass Polizeikräfte nach Griechenland zum Schutz der EU-Außengrenzen geschickt werden. Slowenien als kleinstes Land mit zwei Millionen Einwohnern habe mehr als 60.000 Migranten aufgenommen, 13.000 an einem Tag. Das wäre so viel, wie wenn eine halbe Million Menschen an einem Tag in Deutschland ankämen. „Das ist absolut untragbar“, so Cerar.

Kroatien „nur das vierte Glied in der Kette“

Kroatiens Premier Zoran Milanovic wies Vorwürfe Sloweniens als „grundlos und, jenseits jeglicher Beschreibung“ zurück. Er erwarte sich vom Sondergipfel zur Balkan-Route in Brüssel „konstruktive Gespräche“, und „nicht die Annahme von gemeinsamen Schlussfolgerungen, die nirgendwohin führen“, sagte Milanovic am Sonntag.

Der Ministerpräsident erklärte, in Wirklichkeit sei Kroatien nur „das vierte Glied in der Kette“. Es könne daher nicht angehen, dass ein Land die Flüchtlinge nicht weiter transferieren dürfe. Der Gipfel dürfe seinem Land nicht weitere Verpflichtungen auferlegen. Milanovic wies darauf hin, dass er wegen des Gipfels eigens seine Wahlkampagne unterbrochen hatte.

Rascherer Informationsaustausch

Der Sondergipfel der Staaten entlang der Balkan-Route soll einen rascheren Informationsaustausch der betroffenen Länder über die Bewegungen der Flüchtlinge schaffen. Ziel sei es, ein System, ein „Netzwerk von Kontaktpunkten“ einzurichten, wo die Behörden der betroffenen Staaten in Echtzeit solche Informationen weitergeben, hieß es am Sonntag in EU-Kommissionskreisen in Brüssel.

Slowenien befürchtet Rekord bei Ankünften

Slowenien befürchtete unterdessen einen neuen Rekord bei den Neuankünften von Flüchtlingen. Nachdem am Sonntag bis 18.00 Uhr bereits mehr als 9.000 Flüchtlinge ins Land gekommen sind, kündigte Kroatien die Ankunft weiterer Züge und Busse an. Damit würde die Gesamtzahl an einen Tag insgesamt 15.000 Flüchtlinge erreichen, teilte das slowenische Innenministerium am Abend mit.

Flüchtlinge überqueren Felder

APA/EPA/Igor Kupljenik

Flüchtlinge bei Rigonce an der kroatisch-slowenischen Grenze

Viele Flüchtlinge setzten ihre Reise Richtung Deutschland am Nachmittag fort. Angespannt bleibt die Lage auch an der Grenze zwischen Slowenien und Österreich. Mit rund 4.300 Flüchtlingen ist am Sonntag ein Spitzenwert in der Sammelstelle Spielfeld in der Steiermark gezählt worden. Kurz nach Mittag waren etwa 2.500 Menschen von Sentilj eingereist - mehr dazu in osterreich.ORF.at

Serbien will keine Zäune errichten

Serbien wird nach Angaben von Ministerpräsident Aleksandar Vucic auch dann nicht seine Grenzen für Flüchtlinge schließen, wenn nach Ungarn auch die EU-Staaten Kroatien und Slowenien einen Zaun bauen sollten. Am Rande des Sondertreffens in Brüssel sagte Vucic: „Serbien wird keinen Zaun bauen.“ Mit Blick auf die EU-Staaten Ungarn und Kroatien fügte er hinzu: „Wir haben auch kein Tränengas und Knüppel benutzt.“

„Auch wenn wir alle Zäune bauen würden, Tausende von Kilometern, wird das nichts bringen“, sagte Vucic. Die Zäune führten nur dazu, dass ein oder zwei Länder den Zustrom um sich herum leiten könnten. Die Menschen verdienten anständig behandelt zu werden. Das werde Serbien tun. Solange Länder wie Deutschland und Österreich Flüchtlinge weiter aufnehmen würden, werde Serbien die Migranten durchleiten.

Faymann: Schutz der EU-Grenze „entscheidend“

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) bezeichnete indes den gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenze als „entscheidenden Punkt“ des Brüsseler Sondertreffens zur Flüchtlingskrise auf der Balkan-Route. Es gelte zu „verhindern, dass jeder eine Mauer baut“, und auch ein Eingangstor für Menschen mit Asylrecht zu bauen, sagte der Kanzler am Sonntag. Das schaffe Ordnung und Menschlichkeit.

Flüchtlinge in Slovenien

AP/Petr David Josek

Flüchtlinge marschieren bei Sentilj in Richtung österreichische Grenze

Wenn die Staaten daran scheitern, hätten rechte Nationalisten ein leichtes Spiel, warnte Faymann. Die Europäer müssten sich genau wie in der Finanzkrise so oft wie nötig treffen. Dann könne jedes Mal ein Fortschritt gemacht werden. Es gehe um Menschenleben von Menschen, die vor einem Krieg flüchten, und um Vertrauen der Bevölkerung, „ob wir das gemeinsam lösen, oder ob die einzige Idee darin besteht, Menschen zum Nachbarn zu schieben, damit man die Probleme nicht selber hat“.

„Es steht viel auf dem Spiel“, daher sei der Sondergipfel eine wichtige Sitzung. Die Zusammenarbeit Österreichs mit Deutschland bezeichnete Faymann als „hervorragend“. Faymann dankte der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür, „dass sie ihre klare Haltung auch immer öffentlich gemacht hat“. Bei der täglichen Abwicklung komme es vor, dass mehr Flüchtlinge aus Kroatien und Slowenien hereinkommen, als Österreich mit den deutschen Behörden zur Weiterreise vereinbaren könne. „Es gibt diese Engpässe“, räumte Faymann ein. Mehr als 60.000 Asylwerber würden in Österreich bleiben, bis zu 20.000 versorge Österreich vorübergehend.

Entwurf: Stärkerer Schutz der EU-Außengrenzen

Der Schutz der Außengrenzen ist eines der zentralen Themen der Zusammenkunft. Mehrere EU-Staaten und die Kommission wollen den Schutz der Außengrenzen auf dem Balkan verstärken. Aus dem Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfeltreffens geht hervor, dass der Grenzschutz zwischen Griechenland und der Türkei verstärkt werden soll.

Außerdem soll die EU-Grenzschutzagentur Frontex auch die Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien sowie Albanien besser absichern. Dazu sollten 400 Grenzschützer anderer EU-Staaten zusätzlich auf dem Balkan eingesetzt werden, heißt es in dem der Nachrichtenagentur Reuters vorliegenden Entwurf. Afghanen, Iraker und andere Asiaten ohne Bleiberecht sollen schneller abgeschoben werden. Zudem soll das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) stärker einbezogen werden.

Druck auf Griechenland

Eine Schlüsselrolle beim Schutz der Außengrenzen der Union kommt Griechenland zu. Die fünf Erstaufnahmezentren für Flüchtlinge auf den griechischen Inseln sollen nach Angaben von Ministerpräsident Alexis Tsipras bis Jahresende fertig sein. Auf Lesbos sei der „Hotspot“ bereits errichtet, während die Einrichtungen auf vier weiteren Inseln bis spätestens Anfang Dezember folgen sollten, sagte Tsipras.

Der Sondergipfel zur Flüchtlingskrise in Brüssel will offenbar, dass Griechenland zusätzliche „beträchtliche Kapazitäten“ für die Aufnahme von etwa 50.000 Flüchtlingen schafft. Damit solle verhindert werden, dass Flüchtlinge entlang der Balkan-Route einfach weiterziehen, hieß es am Sonntag in Delegationskreisen. Tsipras soll sich weigern, dem Plan zuzustimmen, hieß es weiters.

Angela Merkel und Alexis Tsipras

AP/Virginia Mayo

Griechenlands Premier Tsipras mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel

Kritik an Fehlen der Türkei

Zudem warnte Tsipras davor, dass die Hotspots allein das Problem nicht lösen würden. Er kritisierte in diesem Zusammenhang, dass die Türkei zu dem Treffen in Brüssel nicht eingeladen worden sei. Ohne Absprachen mit der Türkei werde es aber schwierig, Lösungen zu finden. Kurz zuvor hatten mehrere Regierungschefs Tsipras dafür kritisiert, zu wenig zur Eindämmung der Flüchtlingsbewegung über den Westbalkan Richtung Mitteleuropa zu tun.

EU-Ratspräsident Donald Tusk ging indirekt auf die Kritik des griechischen Premiers ein. Er habe einige „Zweifel“ von den EU-Hauptstädten über das Format des Sondertreffens gehört, sagte Tusk. Er wolle sich jetzt aber nicht auf Formalitäten konzentrieren, sondern darauf, wie zu helfen sei. „Wir brauchen Dialog und Gespräche, auch unter unseren Balkan-Spitzenpolitikern, um unnötige Missverständnisse und Spannungen in der Region zu vermeiden.“ Tusk warnte zudem vor einer „wirklich dramatischen und brutalen Entwicklung“ an der EU-Außengrenze.

Orban „nur Beobachter“

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte vor dem Gipfel erneut gefordert, man müsse „in den Süden gehen“ und dort die Außengrenzen von Griechenland schützen helfen. Orban kritisierte Europas Grenzschutz-Politik, die gegen die Schengen-Vorgaben sei. „Wir müssen in Zukunft zu unserem Wort stehen“, forderte der Ministerpräsident am Sonntag in Brüssel. Der ungarische Regierungschef sagte, er sei grundsätzlich „nur als Beobachter hier“. Sein Land sei derzeitig nicht betroffen. Auf die Frage, ob er auch anderen EU-Staaten zu Grenzzäunen rate, antwortete Orban, dass „ich nicht dafür bezahlt werde, um anderen Tipps zu geben“.

Juncker gegen „Politik des Durchleitens“

Bereits im Vorfeld des Treffens machte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch einmal Druck auf die Balkan-Staaten, um deren „Politik des Durchleitens“ in der Flüchtlingskrise zu beenden. „Die Staaten entlang der Westbalkan-Route müssen geordnete Verfahren und Verhältnisse gewährleisten“, sagte Juncker der deutschen „Bild am Sonntag“. Die EU-Kommission erwarte, „dass sich alle an die geltenden Spielregeln halten, wenn wir Schengen nicht infrage stellen wollen“.

Zudem forderte Juncker die Mitgliedsstaaten auf, ihre finanziellen Versprechen einzuhalten: „Es fehlen immer noch an die 2,3 Mrd. Euro aus den nationalen Haushalten.“ Der Appell an die Mitgliedsstaaten, Gelder für die Bekämpfung von Fluchtursachen bereitzustellen, findet bisher kaum Gehör. Die Kommission geht davon aus, dass die EU-Länder einen von ihr zugesagten Betrag von 2,8 Mrd. Euro verdoppeln.

An dem Gipfel in Brüssel nehmen Österreich, Deutschland, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Griechenland teil, außerdem sind die Nicht-EU-Länder Mazedonien und Serbien vertreten. Mit dabei sind in Brüssel außerdem UNO-Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres, EU-Ratspräsident Tusk und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, nimmt teil. Verhandelt wird ein 16-Punkte-Plan.

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