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Widerstand programmiert

In Brüssel verhandelt die EU-Spitze mit Österreich, Deutschland, Ungarn und mehreren Balkan-Ländern gemeinsame Lösungsmöglichkeiten in der Flüchtlingskrise. Es geht vor allem auch um ein Durchwinken, wie es derzeit über Kroatien geschieht.

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Vor dem Treffen, das am Sonntagnachmittag beginnt, machte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch einmal Druck auf die Balkan-Staaten, um deren „Politik des Durchleitens“ in der Flüchtlingskrise zu beenden. „Die Staaten entlang der Westbalkan-Route müssen geordnete Verfahren und Verhältnisse gewährleisten“, sagte Juncker der deutschen „Bild am Sonntag“. Die EU-Kommission erwarte, „dass sich alle an die geltenden Spielregeln halten, wenn wir Schengen nicht infrage stellen wollen“.

Strengere Kontrollen an EU-Grenzen

Juncker kündigte außerdem an, die EU-Außengrenzen besser sichern zu wollen. „Es geht jetzt darum, den Migrationsstrom zu verlangsamen und unsere Außengrenzen unter Kontrolle zu bringen“, sagte der EU-Kommissionspräsident. „Wir müssen auch klarmachen, dass Menschen, die an unseren Grenzen ankommen, aber nicht internationalen Schutz suchen, kein Recht auf Zugang in die EU haben.“

Juncker forderte die Mitgliedsstaaten auf, ihre finanziellen Versprechen einzuhalten: „Es fehlen immer noch an die 2,3 Mrd. Euro aus den nationalen Haushalten.“ Der Appell an die Mitgliedsstaaten, Gelder für die Bekämpfung von Fluchtursachen bereitzustellen, findet bisher kaum Gehör. Die Kommission geht davon aus, dass die EU-Länder einen von ihr zugesagten Betrag von 2,8 Mrd. Euro verdoppeln.

„Jeder Tag zählt“

Der Kommissionspräsident warnte gegenüber der deutschen Zeitung vor einer dramatischen Zuspitzung der Lage in der Flüchtlingskrise, sollten die Bemühungen scheitern. „Jeder Tag zählt. Sonst sehen wir bald Familien in kalten Flüssen auf dem Balkan elendlich zugrunde gehen“, sagte Juncker der Zeitung. An dem Gipfel in Brüssel nehmen Österreich, Deutschland, Slowenien, Kroatien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Griechenland teil, außerdem sind die Nicht-EU-Länder Mazedonien und Serbien vertreten.

Mit dabei sind in Brüssel außerdem UNO-Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres, EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Teilnehmen wird auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Verhandelt wird ein 16-Punkte-Plan.

Kroatien will niemanden aufnehmen

Die Balkan-Staaten ihrerseits erwarten sich von dem Sondergipfel Ergebnisse hinsichtlich einer besseren gemeinsamen Bewältigung der Krise. Allerdings machte etwa schon im Vorfeld Kroatiens Regierungschef Zoran Milanovic klar, dass sein Land Flüchtlinge nicht über längere Zeit aufnehmen werde, anstatt sie wie bisher an Slowenien weiterzureichen. Vordringlich müsse die EU-Außengrenze in Griechenland gesichert werden, betonte er.

Bulgarien, Rumänien und Serbien drohten sogar mit der Schließung ihrer Grenzen für den Fall, dass Deutschland, Österreich oder andere Staaten das tun, sagte der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow.

Deutschland will mehr Afghanen abschieben

Deutschland plant währenddessen laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), deutlich mehr Flüchtlinge aus Afghanistan in ihr Heimatland abzuschieben als bisher. Berlin wolle ein Rücknahmeabkommen mit Afghanistan für abgelehnte Asylwerber. Die EU-Kommission solle zu entsprechenden Gesprächen mit Afghanistan aufgefordert werden.

Hintergrund der Berliner Überlegungen sei die Sorge darüber, dass Afghanen inzwischen nach Syrern die größte und am stärksten wachsende Gruppe von Asylwerbern sind. Faktisch bestehe seit Jahren ein Abschiebungsstopp für Afghanen in Deutschland, obwohl nur knapp die Hälfte von ihnen als schutzbedürftig anerkannt werde.

Tschechien will selbst entscheiden

Tschechien beharrt laut seinem Vizepremier und Finanzminister Andrej Babis darauf, dass es selbst entscheiden werde, wem es humanitäre Hilfe leisten und wer im Land arbeiten werde. „Nicht jemand in Brüssel wird es uns sagen“, erklärte Babis im Interview mit der tschechischen Tageszeitung "Pravo (Samstag-Ausgabe). Es sei ein „Problem“, dass „uns jemand immer wieder Pflichtquoten aufzwingt“.

Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) allerdings warnte vor nationalen Alleingängen. Die Sicherung der EU-Außengrenzen sei wichtig, aber es könne keine Alternative sein, dass jedes Land eine Mauer baue: „Jetzt geht es um ein gemeinsames Europa oder um den leisen Zerfall der EU. Der eine Weg ist mühsam, schwierig und vermutlich langsam, doch der andere führt nur ins Chaos.“

Mikl-Leitner: „So kann’s ja nicht weitergehen“

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) hingegen kritisierte im Interview mit der „Kronen Zeitung“ (Sonntag-Ausgabe), dass Deutschland „aktuell einfach zu wenig Flüchtlinge“ aufnehme. „Wir brauchen deshalb eine Dämpfung des Zustroms an der EU-Grenze in Griechenland.“ Zu slowenischen Überlegungen für einen Grenzzaun zwischen Slowenien und Kroatien sagte die Ministerin: „So kann’s ja nicht weitergehen. Wenn die Dämpfung des Zustroms an der EU-Außengrenze in Griechenland nicht rasch funktioniert, ist der Plan der Slowenen überlegenswert.“

Ähnlich argumentierte zuletzt auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). „Die Frage ist: Will man es tun oder nicht?“ Kurz verwies dabei auf einen seit Jahren bestehenden Grenzzaun zwischen Bulgarien und der Türkei und auf die von Spanien errichteten Zäune in den afrikanischen Exklaven Ceuta und Melilla.

Hahn: Einzelmaßnahmen von Staaten „kurzsichtig“

EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn verlangte zum Auftakt des EU-Sondergipfels hingegen ein koordiniertes Vorgehen der betroffenen Staaten. „Wir können das Problem nur gemeinsam angehen“, sagte Hahn. Einzelmaßnahmen von EU-Staaten wären „kurzsichtig“. Dabei spiele es keine Rolle, ob EU-Mitgliedsländer oder Nicht-EU-Staaten betroffen seien, sagte der EU-Kommissar. Europa sei als Ganzes von der Flüchtlingskrise betroffen. Im Hinblick auf Russlands Militäraktion in Syrien sagte Hahn, diese verschärfe den Migrationsdruck auf Europa. Allein in Aleppo könnten drei Millionen Menschen fliehen.

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