„Wir wussten, was kommen würde“
Die Flüchtlingssituation in Europa verschärft sich. Nun schlug die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR), Melissa Fleming, Alarm: Allein am Montag seien mehr als 8.000 Menschen aus der Türkei auf die griechischen Ägäis-Inseln gekommen, teilte sie in Genf mit. Sie sieht einen „neuen dramatischen Höhepunkt“ erreicht.
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Seit Jahresbeginn seien damit mehr als eine halbe Million Flüchtlinge nach Griechenland gelangt, die Gesamtzahl der Mittelmeer-Flüchtlinge in diesem Jahr sei auf 643.000 gestiegen. Viele der Neuankommenden seien „fest entschlossen, rasch weiterzuziehen, denn sie fürchten, dass die vor ihnen liegenden Grenzen bald geschlossen werden“.

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Tausende Menschen erreichten auch am Dienstag das griechische Festland
Derzeit seien 27.500 Menschen in Transiteinrichtungen. „Wir wussten, was kommen würde, aber jetzt sehen wir den Höhepunkt bei den Neuankünften in Griechenland.“ Fleming forderte, dass die Aufnahmebedingungen in Europa angemessen sein müssten. „Ohne dieses entscheidende Element wird das Flüchtlingsverteilprogramm, das die EU im September beschlossen hat, in ernsthafte Gefahr geraten und scheitern“, warnte Fleming.
An Bord von zwei Fähren kamen Dienstagfrüh nach Angaben der Küstenwache 2.336 Flüchtlinge von den Inseln Lesbos und Chios in Piräus auf dem griechischen Festland an. Weitere zwei Fähren mit rund 5.000 Menschen an Bord wurden am Nachmittag in Piräus erwartet. Die griechische Küstenwache rettete binnen 24 Stunden 541 Menschen aus den Fluten der Ägäis.
„Keine realistischen Vorstellung“
Viele Flüchtlinge haben nach UNO-Einschätzung keine realistischen Vorstellungen von dem, was sie in Europa erwartet. „Die meisten glauben, dass ihre einzige Chance auf ein neues Leben in der Flucht nach Deutschland, Österreich oder Schweden besteht“, so Fleming.

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Die meisten in Piräus ankommenden Flüchtlinge wollen so rasch wie möglich weiter Richtung Norden reisen
Daher sei es wichtig, die Menschen in den betroffenen Ländern besser über Situation in Europa zu informieren, so Fleming. Die UNHCR-Sprecherin verwies darauf, dass in Österreich und Deutschland Tausende Flüchtlinge in Zelten und anderen notdürftigen Unterkünften leben müssten, weil es kaum noch solide Unterbringungsmöglichkeiten für sie gebe.
Lage in Spielfeld spitzt sich zu
In der Steiermark kamen allein am Dienstagnachmittag über 4.000 Menschen in Spielfeld an. In der Sammelstelle in Spielfeld waren den ganzen Tag über schon mehrere hundert Flürchlinge angekommen. Bis 14.00 Uhr waren es zusammen mit Bad Radkersburg etwa 1.400 Schutzsuchende. Doch gegen 17.00 Uhr seien laut Polizeisprecher Wolfgang Braunsar plötzlich und „relativ massiv“ etwa 4.000 Leute vor den Barrieren gestanden - mehr dazu in steiermark.ORF.at.
In der Dullnighalle in Klagenfurt, wo derzeit Flüchtlinge untergebracht sind, kam es in der Nacht auf Dienstag zu einer Auseinandersetzung und Tumulten. Ein Dolmetscher wurde leicht verletzt - mehr dazu in kaernten.ORF.at.
TV: Menschen kommen über Obstgärten
An der Grenze zwischen Serbien und Kroatien gerät die Situation laut Medienberichten zunehmend außer Kontrolle. Während der serbische staatliche TV-Sender berichtete, dass die kroatische Polizei am Grenzübergang Berkasovo-Babska kleinere Gruppen sporadisch einreisen lasse, meldete der Sender N1, dass Flüchtlinge mittlerweile durch Obstgärten die Grenze unkontrolliert überquerten. Sie hätten die Geduld verloren, berichtete der TV-Sender.
Alle Flüchtlinge, die die Nacht auf Dienstag an dem serbisch-kroatischen Grenzübergang Berkasovo-Babska ausgeharrt hatten, wurden bis Dienstagmittag auf das kroatische Gebiet durchgelassen, wie serbische Medien berichteten. Der Grenzübergang wurde daraufhin erneut gesperrt. Am frühen Nachmittag warteten wieder rund hundert Personen auf der serbischen Seite der Grenze.

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Die Weiterreise auf der Balkan-Route gerät immer wieder ins Stocken
Erneut Tausende in Kroatien angekommen
Ungeachtet eines großen Polizeiaufgebots kamen seit Wochenbeginn erneut Tausende Flüchtlinge über die serbisch-kroatische Grenze. Allein am Dienstag sind Agenturberichten zufolge 5.000, in den vergangenen 48 Stunden 9.500 Menschen am Grenzübergang Berkasovo-Babsko nach Kroatien gekommen. Serbiens Grenzpolizei rechnet laut dem serbischen TV-Sender B-92 am Dienstag noch mit rund 3.500 weiteren Grenzübertritten.
Erneut überquerten Tausende Flüchtlinge auch die kroatisch-slowenische Grenze. Allein bis zum Mittag seien am Dienstag 6.000 Menschen eingereist, teilte der Staatssekretär im Innenministerium, Bostjan Sefic, in Ljubljana mit. Die Mehrheit will ihre Reise so schnell wie möglich Richtung Mittel- und Nordeuropa fortsetzen.
Slowenien schickt Armee an Grenze
Angesichts steigender Flüchtlingszahlen will Slowenien nach Worten von Präsident Borut Pahor die EU um zusätzliche Polizisten bitten. Man brauche noch mehr Hilfe, sagte der Politiker am Dienstag nach einem Treffen mit Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Brüssel. Das EU- und Schengen-Land will zudem die Vollmachten der Streitkräfte ausweiten, um die Arbeit der Polizei zu unterstützen. Slowenien muss laut Ministerpräsident Miro Cerar reagieren, weil Kroatien nicht kooperiere. „Der Zustrom von Flüchtlingen in den vergangenen drei Tagen hat alle beherrschbaren Möglichkeiten überschritten.“

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA
„Kein Ausnahmezustand“
Eine Gesetzesnovelle, mit der die Armee „bestimmte zusätzliche Aufgaben“ bekommen wird, werde am Dienstag im Parlament eingebracht, hieß es. Innerhalb von zwei Tagen könnte die Armee die neuen Aufgaben bereits erfüllen. Nach Angaben der slowenischen Behörden ist die Armee mit rund 100 Soldaten bereits seit Montag an der Grenze zu Kroatien im Einsatz, um der Polizei Assistenz bei der Logistik zu leisten.
Allerdings kann die Armee derzeit die Aufgaben nicht selbstständig durchführen sondern nur in Begleitung von Polizeibeamten, hieß es. Cerar sagte, die angestrebte Neuregelung bedeute keinen „Ausnahmezustand“. Slowenien appellierte erneut an die EU, bei der Bewältigung der Krise zu helfen.
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