Fünf Wege zum Höchstgericht
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) gehört zum „Urgestein“ der Europäischen Union. Bereits zum Schlichten von Vertragsstreitigkeiten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl wurde der supranationale Gerichtshof geschaffen. Seit den Römischen Verträgen 1957 ist er für alle Rechtsstreitigkeiten aufgrund der Verträge zuständig.
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In geografischer Distanz zum Brüsseler EU-Geschehen legen die Höchstrichter in zwei goldfarbenen Türmen und in einem flachen schwarzen Geviert nahe der Altstadt von Luxemburg europäisches Recht aus. 28 Richter (pro Mitgliedsland einer) und elf Generalanwälte sprechen europäisches Recht und haben de facto mittlerweile die Funktion eines europäischen Verfassungsgerichts inne.
Der Generalanwalt ist dabei nicht einem Staatsanwalt vergleichbar. Vielmehr soll er den Richtern bei der Urteilsfindung helfen. Im Gros der Fälle folgt der EuGH dem Generalanwalt, wenn dieser zu einer offiziellen Stellungnahme aufgefordert wurde.
Entlastung durch Europäisches Gericht
Zur Entlastung des Höchstgerichts gibt es seit 1989 ein Gericht Erster Instanz, genannt Europäisches Gericht. Auch dieses setzt sich bisher aus je einem Richter jedes Mitgliedslandes zusammen. Darüber hinaus wurde - für EU-Beamte - auch ein Gericht für den öffentlichen Dienst (mit sieben Richtern) beim EuGH angesiedelt. Unausgewogenheit wird verhindert, indem Richter grundsätzlich nicht über Fälle, die aus ihrem Heimatland kommen, befinden dürfen.
Fünf Möglichkeiten
Aufgabe der Richter ist es, „die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ zu sichern. Dies geschieht durch fünf Verfahren:
- Vertragsverletzungsverfahren: Dieses Rechtsmittel steht der Kommission und den Mitgliedsländern zur Verfügung. Fast immer gewinnt solche Fälle die Kommission - Experten betonen, das habe auch damit zu tun, dass die Kommission sich vorher genau überlege, in welchen Fällen sie Siegeschancen hat. Ein verurteiltes Land muss den Missstand sofort beheben, sonst droht ein Bußgeldverfahren.
- Vorabentscheidungen: Nationale Gerichte können sich an den EuGH wenden, wenn sie sich bei der Auslegung von EU-Recht unsicher sind - oder wenn sie glauben, dass ein nationales Gesetz EU-Recht widerspricht.
- Annullierung von EU-Rechtsakten: Entspricht einer Nichtigkeitsklage. Der Kläger sieht einen Verstoß gegen einen EU-Rechtsakt (etwa eine Richtlinie) oder gegen die EU-Verträge. Rat, Kommission und - in manchen Bereichen - das Parlament können klagen. Wenn einzelne EU-Bürger direkt betroffen sind, können sie ebenfalls eine solche Klage einreichen.
- Untätigkeitsklagen: Damit können Entscheidungen von Parlament, Rat und Kommission erzwungen werden.
- Strafmaßnahmen gegen EU-Institutionen: EU-Bürger oder Unternehmen können sich - wenn sie sich durch Handlungen der EU geschädigt fühlen, an den EuGH wenden.
Richter als Berichterstatter
Jedes Verfahren hat grundsätzlich einen schriftlichen und optional einen mündlichen Teil. Im schriftlichen Verfahren geben alle beteiligten Parteien schriftliche Stellungnahmen ab. Diese werden von einem Richter, der zuvor zum Berichterstatter nominiert wurde, gesammelt und in einem Bericht zusammengefasst. Dieser wird in der Generalversammlung des Gerichts erörtert.
Dort wird auch beschlossen, in welcher Zusammensetzung das Gericht verhandelt - drei, fünf oder 15 Richter, abhängig von der Komplexität (und Bedeutung) des Falls. Meist sind es fünf Richter. Die Generalversammlung entscheidet auch, ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird und ob der Generalanwalt zuerst eine offizielle Stellungnahme abgibt.
Im mündlichen Verfahren tragen beide Parteien ihre Argumente vor den Richtern und dem Generalanwalt vor. Eine Stellungnahme des Generalanwalts erfolgt in der Regel einige Wochen nach der Anhörung. Nach derselben beraten die Richter über das Urteil.
Guido Tiefenthaler, ORF.at aus Brüssel
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