Beweismittel zerstört?
Zwei Wochen nach dem US-Luftangriff auf das letzte funktionierende Krankenhaus in der nordafghanischen Provinzhauptstadt Kunduz mehren sich die Vorwürfe, der Beschuss sei keineswegs versehentlich erfolgt. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur AP wussten die US-Streitkräfte bei der Bombardierung genau, dass sie das Spital im Visier hatten.
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Schon Tage vor dem Angriff sollen die US-Spezialkräfte taktische Informationen über das Krankenhaus gesammelt haben. Das deute auf eine gut vorbereitete, bewusste Attacke hin. Grund für den Angriff sei die Vermutung gewesen, pakistanische Geheimagenten nutzten das Spital als Kommandozentrale zur Koordinierung der Taliban-Aktivitäten, so die AP. Auch sei das Gebäude im Verdacht gestanden, als Versteck für schwere Waffen zu dienen.
Der neue Vorwurf birgt besondere Brisanz. Denn Pakistan ist ein wichtiger Verbündeter der USA in der Region beim Kampf gegen die Taliban. Allerdings ist das Verhältnis von beiderseitigem Misstrauen beeinträchtigt. Die Regierung in Washington hat von Pakistan wiederholt einen verstärkten Einsatz gegen die Taliban verlangt. Teilen des pakistanischen Militärgeheimdienstes Inter-Services Intelligence (ISI) wird schon lange nachgesagt, mit den afghanischen Taliban zusammenzuarbeiten.

Grafik: APA/ORF.at
Auch MSF spricht von präzisem Beschuss
Bereits zuvor hatte Ärzte ohne Grenzen (MSF) berichtet, der Angriff sei gezielt abgelaufen, und hatte schwere Vorwürfe erhoben. Das Spital sei sehr präzise getroffen worden, benachbarte Gebäude seien fast unbeschädigt geblieben. Sofort nach Beginn des nächtlichen Angriffs habe man zudem das amerikanische und afghanische Militär kontaktiert, so MSF. Dennoch habe das Bombardement noch mehr als 30 Minuten angehalten.
Panzer rollte durch Ruine
Der britische „Guardian“ berichtete nun zudem, dass vor wenigen Tagen ein Panzer der US-Armee auf dem Gelände des völlig zerstörten Krankenhauses gesichtet worden sei. Damit könnten die USA versucht haben, Beweismittel für eine mögliche Untersuchung wegen Kriegsverbrechen zu vernichten, so der Vorwurf von MSF. „Ihr unangekündigtes und gewaltsames Eindringen hat unser Eigentum beschädigt, mögliche Beweise zerstört und Stress und Angst ausgelöst“, so MSF.
24 Zivilisten getötet
Das Krankenhaus, das von MSF betrieben wurde, war am 3. Oktober von einem US-Kampfflugzeug vom Typ Lockheed AC-130 zerstört worden. Dabei wurden laut Angaben von MSF mindestens 24 Menschen getötet, 14 MSF-Mitarbeiter und zehn Patienten. Nach dem Angriff war zunächst von 22 Toten die Rede gewesen. Mittlerweile wurden zwei weitere Ärzte für tot erklärt, wie MSF am Mittwoch mitteilte. Von neun Patienten fehle zudem immer noch jede Spur. Zum Zeitpunkt des Angriffs hatten sich 105 Patienten, Angehörige und rund 80 Mitarbeiter im Krankenhaus aufgehalten.

AP/Medecins Sans Frontieres
Das Krankenhaus brannte bei dem Angriff nahezu komplett ab
Zu dem Beschuss laufen bereits drei Untersuchungen - eine der US-Armee, eine der afghanischen Behörden und eine der NATO. Zuletzt hatte die Internationale Humanitäre Ermittlungskommission (IHFFC) am Mittwoch in Bern erklärt, sie sei als unabhängige Kommission zu einer Untersuchung des Vorfalls bereit. Vor der Aufnahme der Ermittlungen sei aber die Zustimmung der betroffenen Staaten nötig - und die stehe noch aus. Nach Angaben von IHFFC-Vizepräsident Thilo Marauhn wurden die USA und Afghanistan angeschrieben und um Zustimmung zu einer Untersuchung gebeten. Es habe aber noch keine Antwort gegeben.
Koordinaten waren allen Konfliktparteien bekannt
Ärzte ohne Grenzen habe nach dem Beschuss „Entschuldigungen und Beileidsbekundungen (unter anderen von US-Präsident Barack Obama, Anm.) erhalten“, aber das sei nicht genug, so MSF-Präsidentin Joanne Liu am Mittwoch. „Wir tappen noch immer im Dunkeln, warum ein bekanntes Krankenhaus voller Patienten und Personal über eine Stunde lang wiederholt bombardiert wurde.“ Die Organisation müsse wissen, „was passiert ist und warum“.
Nach Angaben von MSF war die Lage des Krankenhauses in Kunduz allen Konfliktparteien bekannt. Die afghanischen und die US-Streitkräfte waren demnach über die GPS-Koordinaten des Krankenhauses informiert, das seit vier Jahren in Betrieb war. Es handelte sich um die einzige Klinik im Nordosten Afghanistans, die schwere Kriegsverletzungen behandeln konnte.
Entschädigung für Familien der Opfer
Neben der Entschuldigung kündigte die US-Regierung an, Entschädigungszahlungen an die Familien der Opfer zu bezahlen. Auch für den Wiederaufbau der Klinik sollen Gelder zur Verfügung gestellt werden, so das Verteidigungsministerium in Washington. Über die Beträge wolle das Pentagon mit den Betroffenen sprechen.
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