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„Bescheidene Verlängerung“

US-Präsident Barack Obama hat den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan vorerst auf Eis gelegt. Die afghanischen Sicherheitskräfte seien „noch nicht so stark, wie sie sein müssen“, und die Sicherheitslage am Hindukusch sei „noch immer sehr fragil“, sagte Obama am Donnerstag im Weißen Haus.

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Daher werde die aktuelle Truppenstärke von 9.800 US-Soldaten „den Großteil des nächsten Jahres“ beibehalten. Anschließend werde die US-Präsenz in Afghanistan auf rund 5.500 Soldaten reduziert. Bis zum Ende von Obamas Amtszeit Anfang 2017 hätte die Truppenstärke nach den bisherigen Plänen eigentlich auf rund tausend Soldaten sinken sollen, die vor allem die Botschaft in Kabul schützen sollten.

„Kann einen echten Unterschied machen“

„Diese bescheidene, aber bedeutende Verlängerung unserer Präsenz (...) kann einen echten Unterschied ausmachen“, sagte Obama. An der Mission des US-Militärs werde sich nichts ändern. Die US-Einheiten würden keine Kampfrolle einnehmen, sondern „zwei begrenzte Aufgaben“ erfüllen: den Kampf gegen das Terrornetzwerk Al-Kaida sowie die Ausbildung und Unterstützung der afghanischen Sicherheitskräfte.

„Ich werde als Oberbefehlshaber nicht zulassen, dass Afghanistan von Terroristen als Rückzugsort genutzt wird, um unsere Nation erneut anzugreifen“, sagte Obama, der an der Seite von Vizepräsident Joe Biden, Verteidigungsminister Ashton Carter und Generalstabschef Joseph Dunford vor die Kameras trat. Der deutliche Schwenk wird teuer - pro Jahr kostet der Einsatz die hoch verschuldeten USA 14,6 Milliarden Dollar (12,8 Mrd. Euro).

Kehrtwende für Obama

Obama vollzieht mit dem Schritt eine Kehrtwende in seiner Afghanistan-Politik. Eigentlich wollte er als Präsident in die Geschichte eingehen, der die US-Soldaten aus dem Irak und Afghanistan heimgeholt hat. Nun überlässt er das faktisch seinem Nachfolger.

Der Präsident erklärte, er habe seine Entscheidung nach Beratungen mit seinem nationalen Sicherheitsteam, dem US-Kongress, den internationalen Partnern und der afghanischen Regierung getroffen. „Unsere NATO-Verbündeten und Partner können weiter eine unverzichtbare Rolle spielen, Afghanistan bei der Stärkung seiner Sicherheitskräfte zu helfen“, sagte Obama.

Afghanischer Präsident begrüßt Abzugsstopp

Der afghanische Präsident Ashraf Ghani begrüßte die US-Entscheidung, die nach monatelangen Gesprächen von Obama mit Ghani gefällt worden sei, so der Präsidentenpalast in Kabul in der Nacht auf Freitag mit. Die afghanische Regierung sei „mehr denn je entschlossen, die Verbindungen im Bereich des Kampfes gegen den Terrorismus zu stärken“. Gruppen wie die Taliban „sollten wissen, dass ihr Krieg gegen die Nationalen Sicherheitskräfte zu keinem anderen Ergebnis führen wird als zur Niederlage“, hieß es in der Mitteilung weiter. Die Tür für Friedensverhandlungen bleibe aber offen.

„Dschihad, bis letzter Besatzer vertrieben ist“

Die islamistischen Taliban kündigten in einer unmittelbaren Reaktion an, die US-Truppen bis zu deren endgültigem Abzug vom Hindukusch bekämpfen. Der Talibansprecher Sabihullah Mudschahid sagte am Donnerstag: „Wenn die Angriffe gegen die Besatzer zunehmen und diese sehen, dass sie mehr Geld in ihren sinnlosen Krieg pumpen müssen, werden sie gezwungen sein, ihre unterdrückerische Politik zu ändern.“ Der Dschihad werde „so lange weitergehen, bis der letzte Besatzer vertrieben“ sei.

Sicherheitslage nicht unter Kontrolle

Zum Jahreswechsel war der NATO-geführte Kampfeinsatz in dem Land nach 13 Jahren zu Ende gegangen. Die Folgemission „Resolute Support“ legt den Schwerpunkt auf die Ausbildung und Beratung der afghanischen Armee und Polizei, die für die Sicherheit im Land nun selbst verantwortlich sind. Insgesamt sind noch etwa 13.000 NATO-Soldaten im Land.

Die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechterte sich zuletzt allerdings zusehends. Ende September eroberten Taliban-Kämpfer in einer Blitzoffensive die nordafghanische Provinzhauptstadt Kunduz. Die afghanischen Sicherheitskräfte konnten die Stadt erst nach mehreren Tagen mit internationaler Unterstützung zurückerobern.

Angesichts der jüngsten Offensive der radikalislamischen Taliban hatte sich der US-Oberkommandeur in Afghanistan, John Campbell, schon zuvor für einen langsameren Abzug ausgesprochen. Nach den bisherigen Plänen hätte die US-Armee nach seiner Einschätzung für die Zeit nach 2016 nur „sehr begrenzte Fähigkeiten“ in Afghanistan.

NATO prüft notwendige Einsatzstärke und -dauer

Ähnlich auch der Tenor der NATO-Partner in den vergangenen Wochen: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, das Bündnis werde die Lage in Afghanistan ebenso wie die Notwendigkeit der Militärpräsenz dort überprüfen und sich auch die Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte anschauen. „Wir haben noch nicht abschließend darüber entschieden, wie lange der Einsatz noch dauern wird, wie viele Soldaten dort bleiben sollen und wo sie stationiert sein werden“, sagte Stoltenberg.

Die NATO werde die Afghanen aber auf jeden Fall weiter unterstützen - entweder über den bisherigen Einsatz zur Ausbildung und Beratung der Sicherheitskräfte oder über einen neuen, zivil geführten Einsatz mit militärischen Elementen. Zudem werde die Allianz die afghanischen Sicherheitskräfte weiter finanziell unterstützen. Eine Rückkehr zum Kampfeinsatz ist für die NATO so gut wie ausgeschlossen. Selbst mit zeitweise rund 130.000 Soldaten war es nicht gelungen, das Land zu befrieden.

Deutschland gegen Abzug „nach starrem Kalender“

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüßte Obamas Entscheidung zum Stopp des Abzugs. „Wir wollen mit unseren Partnern ein Zeichen setzen, dass wir beharrlich an einer Stabilisierung Afghanistans arbeiten“, sagte sie der „Bild“-Zeitung. „Jetzt können wir mit unseren Partnern der Mission ‚Resolute Support‘ die nächsten Schritte beraten.“

Schon zuvor sprach sie sich gegen die Festlegung auf einen Abzugstermin aus. Sie werde bei ihren Amtskollegen dafür werben, „dass wir den Rückzug aus Afghanistan nicht nach einem starren Kalender vornehmen“. Die zeitweilige Eroberung der Stadt Kunduz durch die Taliban habe gezeigt, dass der gemeinsame Weg mit den Afghanen zur Stabilisierung ihres Landes noch nicht zu Ende gegangen sei, „sondern dass wir ihn noch länger gehen müssen“, so von der Leyen. „Wir müssen schauen, wie wir weitermachen und ob wir länger bleiben sollten.“

Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Änderungen am Abzugsplan kamen am Donnerstag postwendend aus Moskau, berichtete die russische Staatsagentur. Man bezweifle, dass die Verlängerung des Einsatzes die Situation in Afghanistan verbessern könne, hieß es laut Agentur aus dem Außenministerium.

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