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Mehr als Marilyn und McCarthy

Als Paradeschriftsteller des linksliberalen Amerikas ist Arthur Miller mit Stücken wie „Hexenjagd“ von Anhängern gefeiert und von Kommunistenjägern der McCarthy-Ära verfolgt worden. Der Autor aus verarmten Verhältnissen führte ein filmreifes Leben: Er heiratete Marilyn Monroe, schüttelte Michail Gorbatschow die Hand, dinierte mit Mafia-Boss Charles „Lucky“ Luciano und schimpfte über George W. Bush.

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Der am 17. Oktober 1915 in New York City geborene Miller fühlte sich zeitlebens in seiner Familie unwohl und als „second base“, wie er in seinen 1987 veröffentlichten Memoiren „Zeitkurven“ schrieb. Durch seinen dunkleren Teint, ein Erbstück der Mutter, und die abstehenden Ohren unterschied er sich von seinen gutaussehenden Geschwistern ebenso wie vom Vater. Sätze wie „Vorsicht, ein Tunnel! Zieh die Ohren ein!“ prägten den Heranwachsenden. Anregungen zum Schreiben holte er sich aus den eigenen Lebenserfahrungen, etwa dem Niedergang seiner Familie, der schwierigen Ehe mit Marilyn Monroe und den Erfahrungen mit dem Kommunismus.

US-Schriftsteller Arthur Miller und seine zweite Ehefrau US-Schauspielerin Marilyn Monroe

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Arthur Miller mit seiner Ehefrau Marilyn Monroe

„Sie hat seine Arme vollgekotzt“

Durch den Börsencrash von 1929 verloren Millers Eltern Isidore und Augusta ihr gesamtes Vermögen. Die Spazierfahrten der Mutter mit den Kindern in der Limousine mit einem Chauffeur zur väterlichen Kleiderfabrik gehörten plötzlich der Vergangenheit an. Einer seiner Figuren legte Miller in dem Theaterstück „Der Preis“ Folgendes zur selbst erlebten Situation in den Mund: „(...) und dann sagte er, wir sollten uns alle hinsetzen, und teilte uns mit, dass er alles verloren hatte. Und da hat sie sich übergeben. Sie hat seine Arme vollgekotzt. Seine Hände. Und es hörte nicht auf, als wollte sie fünfunddreißig Jahre ihres Lebens auskotzen.“

Die Heirat von Millers Eltern wurde aufgrund wirtschaftlicher Interessen beschlossen. So wurde Augusta kurz nach ihrem „Cum laude“-Highschool-Abschluss an ihren Zukünftigen „verschachert“. „Wie eine Kuh!“, soll Millers Mutter diesen Handel später kommentiert haben. Die anfänglich mit allerlei Annehmlichkeiten verbundene Zweckehe geriet nach dem Börsenkrach in Schieflage, da Augusta ihrem Mann die Schuld am Verlust des Vermögens gab.

Erste Erfolge

Das Studium finanzierte sich Miller mit Gelegenheitsjobs und verfasste in dieser Zeit seine ersten Stücke. Für „No villain“ erhielt er 1936 den mit 250 Dollar dotierten Avery Hopwood Award. 1940 heiratete er Mary Grace Slattery, mit der er zwei Kinder bekam. Über Mary erfährt man in seinen Memoiren kaum etwas. Bei den Stücken „Der Mann, der das Glück gepachtet hat“ (1944) und „Alle meine Söhne“ (1947) soll jedoch die Schwiegermutter beide Male als Ideengeberin Pate gestanden sein.

Mit „Alle meine Söhne“ feierte Miller seinen ersten großen Broadway-Erfolg. Darin thematisierte der Autor die Sehnsucht nach familiärem Glück und das Streben nach Wohlstand auf Kosten anderer. Der Kampf gegen den kapitalistischen Vater und die Korruption bringen im Stück das Gefüge einer Familie in Unordnung, und eine schwere Schuld gerät zum Sprengsatz der Lebensentwürfe. Miller galt zeitlebens als Beobachter und Kritiker des „American Way of Life“ und stellte den Kampf des Einzelnen gegen das Scheitern in den Fokus seines schriftstellerischen Wirkens.

US-Schauspieler  Lee J. Cobb als Willy Loman in "Death of a Salesman"

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US-Schauspieler Lee J. Cobb als Willy Loman in „Death of a Salesman“

Beeindruckende Publikumsreaktionen

Kunst müsse ein Mittel zur Veränderung der Gesellschaft sein, war der Autor überzeugt. In seiner Autobiografie verzeichnete er über die Uraufführung von „Tod eines Handlungsreisenden“ („Death of a Salesman“) am 10. Februar 1949: „Wie bei manchen späteren Vorstellungen gab es bei der ersten Aufführung nach dem Schlussvorhang keinen Applaus. Unter den Zuschauern ereigneten sich merkwürdige Dinge. Als der Vorhang fiel, standen einige auf, zogen ihre Mäntel an und setzten sich wieder; andere, besonders Männer, saßen vorgebeugt und vergruben das Gesicht in den Händen, andere weinten unverhohlen.“ Es verging eine kleine Ewigkeit, so der Autor, bis der erlösende Applaus einsetzte, der lange nicht abebbte.

Für das Drama erhielt der erst 33-Jährige den Pulitzer-Preis. Lee J. Cobb, Hauptdarsteller des von Elia Kazan inszenierten Stücks, hatte Miller bereits vorab prophezeit: „Dieses Stück ist eine Wasserscheide. Das amerikanische Theater wird nicht mehr dasselbe sein.“ Die Geschichte um den alternden Vertreter Willy Loman gilt als Millers Meisterwerk. Neben der Kritik am amerikanischen Traum beinhaltet es, wie viele seiner Stücke, einen Vater-Sohn-Konflikt und ist ein Appell an die Menschlichkeit.

Hexenjagd und Kommunistenhatz

Vier Jahre später geriet Miller mit „Hexenjagd“ ins Visier der Kommunistenjäger. Das unter dem Einfluss der politisch aufgeheizten McCarthy-Ära produzierte Stück galt vielen als Antwort auf die Verfolgung des linken bzw. kommunistischen Lagers. Denn der Autor griff in seiner Dramatisierung der Salemer Hexenprozesse von 1692 indirekt den McCarthyismus und die Massenhysterie rund um das Komitee für unamerikanische Aktivitäten an. Über die Publikumsreaktionen der Premiere berichtete Miller: „Über ihren Köpfen bildete sich eine unsichtbare Eisschicht, auf der man hätte Schlittschuh laufen können. Im Foyer gingen Leute aus der Branche an mir vorbei, als wäre ich unsichtbar.“

Nach einem Monat Spielzeit begannen die Zuschauerzahlen zu sinken, das Ensemble wollte jedoch auch ohne Gage weiterspielen, so Miller. Grund dafür sei eine Vorstellung gewesen, bei der die Zuschauer am Ende des Stücks bei der Hinrichtungsszene geschlossen aufgestanden waren und einige Minuten mit gesenkten Köpfen geschwiegen haben sollen. Diese Aktion galt Ethel und Julius Rosenberg. Die beiden wurden zu jenem Zeitpunkt wegen Atomspionage für die Sowjetunion im New Yorker Staatsgefängnis Sing Sing auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Verfahren und Hinrichtung des Ehepaares erschienen vielen als grausamer Höhepunkt der McCarthy-Ära.

Der Intellektuelle und die Sexbombe

Millers erste Ehe ging in die Brüche. Beim Scheidungsanwalt wurde er von einem Untersuchungsbeamten des Komitees für unamerikanische Aktivitäten aufgespürt und erhielt eine Vorladung. Noch in der Anwaltskanzlei bot ihm ein Fremder an, ihn in einem leerstehenden Haus in Texas, in welchem bereits Dashiel Hammett untergetaucht war, zu verstecken. Miller lehnte das Angebot ab. 1956 weigerte er sich, vor dem Ausschuss Kollegen und Freunde zu denunzieren, weshalb er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Nach eingelegter Berufung wegen Irreführung durch den Komiteevorsitzenden wurde der Schuldspruch aufgehoben und Miller rehabilitiert.

1956 sorgte die Heirat mit Filmstar Monroe für großes mediales Aufsehen. Miller verfasste das Drehbuch von „Misfits – Nicht gesellschaftsfähig“ für seine Frau, das 1960 unter der Regie von John Huston verfilmt wurde. Während der Dreharbeiten in der 50 Grad heißen Wüste von Nevada zerbrach die schwierige Ehe. Bereits einige Jahre zuvor hatte Marilyn im offen liegenden Tagebuch ihres Mannes gelesen, dass er sie für eine „unberechenbare, hilflose Kindfrau“ halte. Diese Kränkung nagte an ihr. Der Versuch, die Eheprobleme mit einem Kind zu heilen, scheiterte ebenso wie das Bemühen, Monroes Tabletten- und Alkoholkonsum einzudämmen. Die Beziehung zu seiner berühmten Frau verarbeitete Miller wenig schmeichelhaft in der zweiaktigen Bühnenbeichte „Nach dem Sündenfall“, wofür er heftige Kritik der amerikanischen Öffentlichkeit einstecken musste.

US-Schriftsteller Arthur Miller gemeinsam mit seiner dritten Ehefrau Inge Morath

APA/Franz Neumayr

Miller und seine dritte Ehefrau Inge Morath

Moralische Instanz auf Abwegen

Am Set von „Misfits“ lernte der Autor seine spätere dritte Ehefrau kennen, die österreichische Fotografin Inge Morath. Sie heirateten 1962 und hatten zwei Kinder. Tochter Rebecca ist mit dem Schauspieler Daniel Day-Lewis verheiratet, der in der „Hexenjagd“-Verfilmung von 1996 mitspielte. 1990 erhielt Day-Lewis für die Verkörperung des schwerbehinderten Christy Brown in „Mein linker Fuß“ einen Oscar als bester Hauptdarsteller. Angeblich soll Day-Lewis dafür gesorgt haben, dass sich die Millersche Familie, allen voran Arthur, zum jüngsten Sohn Daniel bekannte.

Denn Miller hatte das mit dem Downsyndrom geborene Kind kurz nach dessen Geburt 1966 in ein Heim abgeschoben. Diese damals durchaus übliche Praxis wurde häufig von den behandelnden Ärzten unterstützt. Während seine Frau den Buben jeden Sonntag besucht haben soll, tat Miller das nie und ließ ihn auch in seinen Memoiren unerwähnt. Kurz vor seinem Tod setzte der Schriftsteller den jahrzehntelang verschwiegenen Sohn noch als vollberechtigten Erben ein.

Zehren vom frühen Erfolg

Der fulminante Erfolg des Stücks „Tod eines Handlungsreisenden“, das mit seiner zeitlosen Sozialkritik und menschlichen Botschaft heute als amerikanischer Klassiker gilt, hatte auch seine Schattenseiten. Denn Millers späte, experimentellere Werke sind kaum bekannt. In seinen Memoiren beschreibt er nicht nur seine persönlichen sowie dichterischen Katastrophen und Erfolge, sondern auch die politischen Umwälzungen, die ihn und seine Zeit beschäftigten. So schüttelte der Dramatiker nicht nur Gorbatschow die Hand, sondern saß auch mit dem nach Italien abgeschobenen Mafia-Boss Luciano an einem Tisch in Palermo.

Der vielfach ausgezeichnete Dramatiker, der 2005 im Alter von 89 Jahren verstarb, trotzte erfolgreich dem McCarthyismus und seinen Anklägern, unterstützte in den 1960er Jahren als Vorsitzender des internationalen Schriftstellerverbandes PEN sowjetische Schriftsteller und scheute sich nicht, gegen den Vietnam-Krieg und die US-Politik von George W. Bush zu wettern. In Erinnerung bleiben wird Miller der breiten Öffentlichkeit dennoch als Erfinder der Figur des Willy Loman und als Ehemann von Marilyn Monroe.

Carola Leitner, ORF.at

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