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Das Individuelle am Kopulieren

Jeder ist darin Experte, doch das Reden über Sex ist eine ganz andere Liga. Die Berliner Regisseure Saskia Walker und Ralf Hechelmann haben für ihre Doku 16 Menschen im Alter zwischen 13 und 74 Jahren zu ihrer Sexualität befragt. „Sprache: Sex” versucht erst gar nicht, das Unfassbare fassbar zu machen. So verrät der Film auch mehr über das Sprechen über Sex, als dass er große Antworten gibt.

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Der 13-jährige Bub verortet das Bedürfnis nach körperlicher Liebe auf einer Wichtigkeitsebene mit Schlafen, Essen und Trinken – das habe er unlängst auf Facebook gelesen, und es klingt für ihn auch ohne einschlägige Erfahrung ziemlich logisch. Ein ungleich älterer Mann stellt sich hingegen die Frage: „Was soll da noch kommen?“ Sein leerer Blick in die Kamera gibt eine deutliche Antwort.

Darsteller aus "Sprache: Sex"

Polyfilm

Achim - redet über Sex

In so einem Moment ist es tröstlich zu wissen, dass viele Wege zum Geschlechtsverkehr führen: Eine junge Frau berichtet davon, dass die anfängliche Euphorie angesichts der 500 Reaktionen, die sie auf ein einschlägiges Kontaktinserat bekommen hat, nur kurz anhielt: Die Sache mit dem unverbindlichen Sex sei in der Theorie dann doch etwas anderes als in der praktischen Umsetzung, gesteht sie, und nimmt die unglücklichen Versuche mittlerweile mit Humor.

Es ist unschwer zu erkennen, und wer über ein Mindestmaß an eigenen Erfahrungswerten verfügt, weiß es ohnehin: Sex und die Lust darauf sind eine ebenso widersprüchliche wie höchst individuell zu betrachtende Angelegenheit.

Film ohne Firlefanz

Vor diesem Hintergrund lässt das Berliner Regisseurpaar Walker und Hechelmann 16 Männer und Frauen über Sex reden. Auf gestalterischen Firlefanz wird dabei 80 Minuten lang gänzlich verzichtet. Das Einzige, was die Protagonisten gemeinsam haben, ist der Wohnort Berlin. Sie geben in ihrem privaten Umfeld oder im Kaffeehaus bereitwillig Auskunft über ihre Sexualität.

Gecastet hat mitunter der Zufall. Wer in ihren Augen etwas zum Thema zu sagen hatte, wurde vor die Kamera geholt, so Walker und Hechelmann in einem offiziellen Statement zum Film. Sie legten darauf Wert, keine Interviews, sondern Gespräche zu führen – und tatsächlich macht dieser Plauderton den eigentlichen Reiz des Films aus. Aber er verleiht ihm mitunter auch eine gewisse Beliebigkeit.

Ein wenig Voyeurismus

„Sprache: Sex” kreist um Themenblöcke wie Scham, Treue und Beziehungsentwürfe und führt in diesem Zusammenhang unvermeidbare Erhebungen wie die Frage nach dem „Wie oft?” durch. Wie die jeweiligen Fragen genau lauten, weiß der Zuseher allerdings nicht. Sie wurden herausgeschnitten. Nicht jedoch die Blicke und Reaktionen der Interviewten währenddessen.

Darsteller aus "Sprache: Sex"

Polyfilm

Mora - redet auch über Sex

Nonverbale Kommunikation

Die Mimik der Befragten und die Suche nach angemessenen Worten sprechen Bände. Denn kommt es generell nicht nur darauf an, was man sagt, sondern vor allem auch darauf, wie man es sagt, so wird das beim Thema Sex, das zu einem beträchtlichen Teil in der Kategorie nonverbale Kommunikation angesiedelt ist, durchaus noch gesteigert.

Ein verschmitztes Lächeln oder ein verunsicherter Blick verrät hier mehr über die Protagonisten als das Gesagte selbst. Sex mag allgegenwärtig sein, doch das Sprechen darüber scheint nach wie vor eine ganz andere Liga zu sein. So viel zur Schau gestellte großstädtische Lockerheit und unverblümte Berliner Schnauze kann es gar nicht geben, um darüber hinwegzutäuschen.

Viel hilft nicht immer viel

Und natürlich lauern beim Thema Sex auch die Klischees. So muss es freilich ein akzentbehafteter und kettenrauchender Franzose sein, der bereitwillig Auskunft über seine sexuellen Eskapaden gibt. Auch er ist zur Erkenntnis gelangt, dass es auf Dauer etwas anstrengend ist, jedem Rockzipfel hinterherzujagen.

Wer sich allerdings darüber wundert, wie es sein kann, dass ein 13-Jähriger dermaßen reflektiert über seine Sexualität redet, wie der Bub im Film, sollte wissen, dass es sich um den Sohn der Regisseurin handelt. Porno finde er langweilig, so sein Outing während des von der eigenen Mutter geführten Interviews. Und da wundert es ebenso wenig, dass der Teenager lediglich alle drei Wochen Hand an sich selbst anlegt. Er wisse, dass das nicht oft ist, fügt er hinzu. Fragt sich bloß woher.

Darsteller aus "Sprache: Sex"

Polyfilm

Es muss nicht immer explizit werden, um intim zu sein

Doku ohne Rahmen

Der Film wolle weder einen repräsentativen Querschnitt durch die Gesellschaft abbilden noch lege er Wert darauf, Allgemeingültiges zu generieren, sagen die Regisseure und verweisen auf Sexualität als höchst individuelle Sache, die der Film unaufgeregt und mit dem Bemühen um Authentizität beleuchten will.

Zwar arbeitet der Film mit thematischen Blöcken, doch er hinterlässt auch das Gefühl einer gewissen Rahmenlosigkeit. Wobei es trotz einiger Längen dennoch verwundert, wie schnell 80 Kinominuten in solch einer formalen Schlichtheit vergehen können.

Johannes Luxner, ORF.at

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