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Leben mit der Krankheit

Henning Mankell ist seinem Krebsleiden erlegen. Wo sonst verschämt von einer „langen schweren Krankheit“ die Rede ist, weil Krebs noch immer ein Tabu zu sein scheint, hatte noch zu Lebzeiten Mankell selbst für Offenheit gesorgt. In seinem Buch „Treibsand“, das dieser Tage erschienen ist, schrieb er über das Leben mit der Krankheit.

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An einem Tag kurz nach dem Neujahrstag 2014 änderte sich für Mankell alles. Der Krebs hatte seinen Körper unheilbar befallen. Ein scheinbar harmloser Schmerz im Nacken rührte von einer Metastase her, ein Tumor saß in der Lunge. Die Nachricht riss dem schwedischen Bestsellerautor für einen Moment den Boden unter den Füßen weg. In seinem Buch „Treibsand“, das jetzt auf Deutsch im Paul Zsolnay Verlag erschienen ist, sinnierte er über sein Leben mit der Krankheit, die Angst vor dem Tod und suchte eine Antwort auf die Frage, „was es heißt, ein Mensch zu sein“.

Die Krebsdiagnose war für Mankell (67) ein lähmender Schock, wie das Gefühl, in Treibsand hinabgezogen zu werden. „Die größte Angst, die Menschen haben, ist die Angst zu sterben.“ Bei dem Versuch, sich freizustrampeln, war ihm die Religion keine Hilfe. „Ich respektiere Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben“, schrieb er. „Aber ich verstehe sie nicht. Mir kommt die Religion wie eine Entschuldigung dafür vor, dass man die Grundbedingungen des Lebens nicht akzeptiert. Hier und Jetzt, mehr ist es nicht. Darin liegt auch das Einzigartige unseres Lebens, das Wunderbare.“

„Sich von der Angst nicht lähmen lassen“

Ganz offen schrieb er über die Ängste, die sein Leben als Kind und als Erwachsener bestimmt hatten. Die Krebsdiagnose rief viele wieder wach. Sie ließ ihn unruhig schlafen und träumen. „Ich brauchte zehn Tage, (...) um mich zu fangen und nicht von der Angst vollständig lähmen zu lassen.“

Buchhinweis

Das Cover zu Mankells Buch "Treibsand"

Paul Zsolnay Verlag

Henning Mankell: Treibsand: Was es heißt, ein Mensch zu sein. Zsolnay, 384 Seiten, 25,60 Euro.

Episoden aus seinem Leben verwob Mankell mit solchen aus der Kulturgeschichte der Menschheit, mit Szenen, die er beobachtete, und Gedanken über existenzielle Fragen: Wie lang ist die Ewigkeit? „Gibt es andere Welten? Oder nur das Dunkel? Was gab es vor der Zeit und dem Raum? Was gab es, bevor es überhaupt irgendetwas gab?“ Der durch seine Wallander-Krimis berühmt gewordene Autor fragte viel. Auch, was einmal von ihm bleibt. „Ich gebe zu, dass mich dann und wann der Gedanke stört, ich könnte in einigen Jahren vollkommen vergessen sein“, schrieb der 67-Jährige. Das Gefühl war für ihn „ein Ausdruck peinlicher Eitelkeit, wie es menschlich ist“.

„Ein leeres und kaltes Universum“

Man staunt bei der Lektüre manchmal, wie nah man Mankell kommt, etwa, wenn er von dem Verhältnis zu seiner Mutter erzählt, die die Familie früh verlassen hatte und die er erst mit 15 Jahren wiedertraf. Von seiner ersten großen Liebe, Selbstzweifeln als Theaterleiter und davon, wie er sich als Kind in den Gerichtssaal geschlichen hatte (der Vater war Richter), um zuhören zu können. Von der Erleichterung, die er spürte, wenn seine Bücher gut besprochen wurden. Aber vor allem immer wieder von der schwierigen Zeit nach der Krebsdiagnose.

„An manchen Tagen trieb ich völlig schwerelos durch ein leeres und kaltes Universum, ohne Sinn, ohne Ziel. An solchen Tagen konnte ich verstehen, dass schwerkranke Menschen beschließen, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen“, schrieb er. Jeder Morgen brachte für ihn seit der unheilvollen Nachricht eine neue Herausforderung. Er fühlte sich oft ohnmächtig und orientierungslos. „An einer schweren Krankheit leiden heißt, sich im eigenen Körper nicht mehr zurechtzufinden.“

Die Melancholie angesichts des eigenen Zustands schwingt stets in Mankells Schilderungen mit. Aber diese endeten nicht mit Ohnmacht angesichts der Krankheit, sondern mit dem Moment, in dem er im Leben „die größte Freude empfunden“ hatte: am 4. Oktober 1992, in seinem Theater im afrikanischen Maputo in Mosambik.

Julia Wäschenbach, dpa

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