Sprengel-Durchschnittsalter bei 86 Jahren
Döbling gilt als eine der letzten Hochburgen der ÖVP in Wien. Im 19. Bezirk liegen die beiden wienweit stärksten Sprengel der Volkspartei, seit 37 Jahren stellt die Partei hier den Bezirksvorsteher. Bei der Wahl am 11. Oktober könnte es für die ÖVP aber auch in Döbling eng werden. Die lokalen Gemeinschaften erodieren zusehends, die Stammwähler werden immer älter.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Im stärksten ÖVP-Sprengel der Stadt liegt das Durchschnittsalter der Wähler bei 86 Jahren. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um die Bewohner der Park Residenz, gelegen in Oberdöbling zwischen Hartäckerstraße, Peter-Jordan-Straße, Dänengasse und Borkowskigasse. In der noblen Seniorenunterkunft der Wiener Kaufmannschaft gingen vor fünf Jahren 52,74 Prozent der Stimmen an die Volkspartei (ohne Wahlkarten). Neben allerhand Annehmlichkeiten und der ruhigen Lage schätzen die Bewohner vor allem ihre Diskretion. Trotz mehrmaliger Anfragen über die Leitung des Wohnheims war niemand der Bewohner zu einem Interview mit ORF.at bereit.

ORF.at/Roland Winkler
Die Park Residenz Döbling ist eine Hochburg der Volkspartei
Umkämpfte Gebiete
Einzig die 88 Jahre alte Else Konrad (Name von der Redaktion geändert) ließ sich zu einem kurzen Gespräch hinreißen. Die Seniorin wohnt erst seit Kurzem in der Park Residenz, wo sie sich nach eigenem Bekunden sehr wohl fühlt. Bei Schönwetter besucht sie gerne den Hugo-Wolf-Park gegenüber dem Anwesen. Von dort sieht man gut auf den Kahlenberg. Ihre Familie habe dort einst ein Haus besessen, sagt sie und deutet auf eine kleine, von Bäumen umgebene Siedlung unterhalb des hohen roten-weiß-gestrichenen Sendemasts.
ÖVP-Hochburgen: Der stärkste schwarze Sprengel lag 2010 auf dem Gebiet der Park Residenz Döbling. Das zweitbeste Ergebnis wurde im Nordwesten Wiens im Sprengel um den Nussberg verzeichnet. Die beiden Sprengel sind gelb gekennzeichnet.
Sie komme aus einer tiefbürgerlichen Familie aus dem vierten Bezirk nahe dem Stadtzentrum. Ihr Vater sei ein überzeugter Anhänger der Volkspartei gewesen, sie selbst entscheide kurz vor dem Urnengang spontan, wem sie ihre Stimme gibt. Der vierte Bezirk, die Wieden, war einst eine schwarze Hochburg. Heute gilt der vierte Bezirk als umkämpftes Gebiet. In Umfragen zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der SPÖ - die derzeit den Bezirksvorsteher stellt -, den Grünen und der ÖVP ab.
Vorne bleibt, wer weniger verliert
Was in den inneren Bezirken seinen Ausgang nahm, könnte nun auch Döbling endgültig erfassen. Die Wähler im 19. Bezirk werden ob ihrer Treue zur Volkspartei als „Döblinger Regimenter“ bezeichnet. Zu ihnen gehörten einst Universitätsprofessoren, Wirtschaftsbosse und Prominente aus allen Bereichen der Kultur.
Der militärisch anmutende Begriff soll auf Herbert Krejci zurückgehen. Der einstige Generalsekretar der Industriellenvereinigung habe die „Döblinger Regimenter“ auf dem Weg vom Schwarzenbergplatz zum Heurigen in Döbling „entdeckt“, schrieb der Publizist und ehemalige Pressesprecher von Bundespräsident Thomas Klestil, Hans Magenschab, vor einigen Jahren im Wirtschaftsmagazin „Format“.
Allerdings dünnen sich die „Regimenter“ zusehends aus. Bei der Wahl des Wiener Gemeinderats 2010 lag die SPÖ in Döbling bereits vor der ÖVP. Am 11. Oktober könnten die Sozialdemokraten laut Meinungsforschern sogar auf Bezirksebene die Nase vorn haben - mehr dazu in oesterreich.ORF.at. Letztlich kommt es darauf an, wer weniger Stimmen verliert: Während die FPÖ der SPÖ zusetzt, bekommt es die ÖVP mit den Grünen und NEOS zu tun. Bei der Nationalratswahl 2013 kamen die Pinken in Döbling auf zwölf Prozent.
Bezirk der Gegensätze
Der Erfolg der SPÖ kommt nicht von ungefähr. Der 19. Bezirk hat nicht nur eine bürgerliche, sondern auch eine lange sozialdemokratische Geschichte. So gehört der Bezirk zwar zu den teuersten Flecken Wiens und ist bekannt für seine Villenviertel. Auf der anderen Seite steht der größte und wohl bekannteste Gemeindebau der Stadt – der Karl-Marx-Hof – nicht in den Arbeiterbezirken Favoriten oder Simmering, sondern zieht sich mehr als einen Kilometer entlang der Heiligenstädter Straße im 19. Bezirk.
Dieser Kontrast wird auch im Döblinger Grätzel Nussdorf sichtbar. Auf dem Gebiet des Grätzels liegen zwei Wahlsprengel. In jenem, der sich vom Nussberg hinunter bis knapp an die Kahlenbergstraße sowie die Endstation der Straßenbahnlinie D zieht, konnte die ÖVP 2010 ihr wienweit zweitstärkstes Ergebnis einfahren. 45,63 Prozent der Stimmen (ohne Wahlkarten) entfielen auf die Volkspartei. Im weiter östlich gelegenen Sprengel wiederum lag vor fünf Jahren die SPÖ voran.
Im ÖVP-dominierten Sprengel erinnern die uralten Winzerhäuser daran, dass Döbling 1892 aus acht kleinen Wiener Vororten zusammengesetzt wurde. Gemeinsam mit den alten Villen und vereinzelten kleinen Gemeindebauten verleihen sie der Gegend einen dörflichen Charme.
Nussdorf im Wandel
Doch die Gegend ist im Umbruch. Die hohen Grundstücks- und Wohnungspreise haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Investoren angelockt. In Blöcken aus Stahl, Glas und Beton ist eine Vielzahl teurer Luxuswohnungen entstanden. Die Zugezogenen wollen mit dem Leben im Grätzel nichts zu tun haben, beklagt Günther Farasin, der nach eigenen Angaben bereits seit 30 Jahren im Bezirk lebt: „Sie kommen am Abend nach Hause und fahren in der Früh ins Büro. Sie bleiben einfach unter sich.“

ORF.at/Dominique Hammer
Kaffeehausbetreiber Günther Farasin sorgt sich um die Zukunft des Grätzels
Farasin führt einen kleinen Handwerksbetrieb, zudem ist er einer der Betreiber des unweit der Endstelle der Straßenbahnlinie D gelegenen Cafe Collina. Er warnt davor, dass Nussdorf zur „Schlafstadt“ verkommt, die für Pendler rein zum Übernachten da ist und wo es keinerlei Infrastruktur oder Gemeinschaftsleben gibt.
„Das Loch wird immer größer“
Wenige Meter entfernt vom seit 2010 bestehenden Cafe Collina liegt der Heurigen Kierlinger. Der Betrieb existiert seit dem Jahr 1787, befindet sich in siebenter Generation in Familienbesitz und ist einer der Treffpunkte für die Grätzelbewohner. „Wenn ich mir die Bevölkerung in der Gegend so anhöre, dann schaut es für die Großparteien nicht gut aus“, sagt Seniorchef Martin Kierlinger, der auch Obmann des Döblinger Bauernbundes ist. Viele Bürger beklagten die fehlende Volksnähe der Politiker. „Das Loch wird immer größer“, wie es Kierlinger ausdrückt.
Der Wandel des Grätzels hat direkte Auswirkungen auf Kierlingers Heurigenbetrieb. In unmittelbarer Nachbarschaft sollen drei Luxuswohnhäuser entstehen, das höchste davon mit einer Höhe von 15,85 Metern. Aus den alten Winzerdörfern würden austauschbare Stadtteile in irgendeiner Großstadt, sagt Kierlinger. Zudem befürchtet er Anrainerbeschwerden, da die Terrassen und Balkone des Neubaus hin zu seinem Gastgarten ausgerichtet sind.

ORF.at/Dominique Hammer
Heurigenwirt Kierlinger hadert mit der Politik
Von der Politik zeigt sich Kierlinger enttäuscht. Auf der einen Seite stehe sein Betrieb in einer Schutzzone. Der hier verordnete Denkmal- und Ensembleschutz koste die Hausbesitzer viel Geld. Das Denkmalamt gewähre zwar finanzielle Zuschüsse, entsprechende Ansuchen seien aber äußerst umständlich, so Kierlinger. Auf der anderen Seite „werden riesige Paläste errichtet, Schlafstädte, wo man die Bewohner nicht sieht und nicht kennt“. Die Hälfte der Neubauten stehe überdies leer, da sie für den Bürger unerschwinglich seien. Trotz allem will Kierlinger am 11. Oktober seine Stimme abgeben. „Aber wen ich wähle, weiß ich noch nicht“, sagt er.
Flüchtlingsthema und FPÖ polarisieren
Auch in Döbling ist das Flüchtlingsthema allgegenwärtig. In der Nähe der Heiligenstädter Straße im 19. Bezirk hat die Stadt Wien Flüchtlinge untergebracht. Zu Gesicht bekomme man die Menschen aber fast gar nicht, sagt Kaffeehausbesitzer Farasin. Die Millionen, die notwendig seien, um Flüchtlinge zu versorgen, könne sich Österreich in Anbetracht seines Wohlstands leisten. Dass die Regierung die Flüchtlinge beim Grenzübertritt nicht registriert, stößt bei ihm auf Unverständnis. Selbiges gilt für das Unvermögen der EU, eine Million Flüchtlinge auf 500 Mio. Unionsbürger zu verteilen.
Farasin will bei der Wien-Wahl seine Stimme den Freiheitlichen geben, auch wenn er, wie er sagt, kein großer Fan von Parteichef Heinz-Christian Strache ist. Blau wählen will bei der Wahl auch Pensionist Rudolf Grammer. Wenn der 83 Jahre alte gebürtige Nussdorfer über Politik spricht, wird er emotional. Grammer entstammt einer erzroten Familie. Sein Großvater war Heizer bei der Eisenbahn, sein Vater ging als SPÖ-Betriebsrat wahlkämpfen. Er selbst ist von der Sozialdemokratie enttäuscht. Der Stadtverwaltung im Rathaus unterstellt er Geldgier, in Sachen Flüchtlingen sei „das Glas übervoll“.

ORF.at/Dominique Hammer
Pensionist Grammer ist von der SPÖ enttäuscht
Nicht nur das Thema Flüchtlinge, sondern auch ein möglicher Wahlsieg der Freiheitlichen polarisiert im Grätzel. „Die FPÖ ist regierungsunfähig“, sagt Gerald Aigner (Name von der Redaktion geändert), der mit seinem Laptop im Cafe Collina sitzt. Der gebürtige Kärntner ist Manager bei einem internationalen IT-Konzern. Aigner, der schon lange in Döbling lebt, fürchtet um den Ruf Wiens, sollte die FPÖ als stärkste Partei aus der Wahl hervorgehen. Ähnlich äußern sich zwei Anwohnerinnen, die mit ihren Hunden im Beethovenpark nahe der Kahlenbergstraße spazieren gehen. „Mir macht die Hetze Angst, nicht die Ausländer“, sagt eine der beiden Spaziergängerinnen.
Der Faktor Tiller
Im Gegensatz zur FPÖ polarisiere die ÖVP zu wenig, sagen die Hundebesitzerinnen. Sie verbinden die Volkspartei mit unternehmensfreundlicher Politik, einer der beiden Befragten gefällt die autofahrerfreundliche Politik der Volkspartei. Wirklich aussagekräftig sei die politische Linie der ÖVP aber nicht.
Dass die ÖVP angesichts der Konfrontation zwischen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und FPÖ-Chef Strache ein Wahrnehmungsproblem hat, gesteht auch Döblings Bezirksvorsteher Adolf Tiller ein. „Die ÖVP kommt einfach nicht vor“, so Tiller im Gespräch mit ORF.at. Der ÖVP-Politiker ist der am längsten amtierende Bezirksvorsteher Wiens. Seit er Döbling vor 37 Jahren von der SPÖ erobert hat, regiert er ununterbrochen.

APA/Georg Hochmuth
Adolf Tiller (re.) ist seit 37 Jahren Bezirksvorsteher von Döbling
Im Jahr 2010 erhielt Tiller 1.779 Vorzugsstimmen in Döbling. Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) hätte nur sechs Stimmen mehr erhalten - und das wienweit, so Tiller. Zudem habe die ÖVP vor fünf Jahren im Bezirk 40 Prozent der Stimmen jüngerer Wähler auf sich vereinigt, so Tiller. Trotz seines Alters - Tiller ist 76 Jahre alt - rechnet er sich gute Chancen auf eine weitere Amtszeit aus. „Wenn die Menschen nach 37 Jahren noch nicht gemerkt haben, dass ich mich für jeden Einzelnen einsetze, kann ich auch nichts machen. Ich glaube es aber nicht.“
Philip Pfleger, ORF.at
Links: