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Jahrelanger Politstreit geht zu Ende

Eine neue EU-Verordnung soll demnächst regeln, welche Lebensmittel, die in Europa vor 1997 „noch nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden“, auf den europäischen Markt kommen dürfen. Konkret bedeutet das etwa die Zulassung von Insekten. Am umstrittensten in der sogenannten „Novel Food“-Verordnung sind jedoch Nanomaterialien.

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Es gibt bisher keine genaue Definition von Nanomaterial in der EU. In der Verordnung gilt zunächst, dass mindestens 50 Prozent der enthaltenen Teilchen Nanoteilchen - also kleiner als 100 Nanometer - sein müssen. Das ist aber nach Meinung der europäischen Konsumentenschutzorganisation BEUC viel zu locker.

Nanopartikel sind bereits heute verbreitet im Einsatz, etwa als Rieselhilfen im Salz oder um die Fließfähigkeit von Ketchup oder Joghurt zu verbessern. Nanopartikel werden auch dazu verwendet, um Vitamine und andere Stoffe zu „verkapseln“. Das soll ihre Wirkkraft erhöhen. Zudem sind Nanopartikel in Frischhaltefolien enthalten. Und der Einsatz dürfte deutlich zunehmen: Laut einem Bericht des Bayerischsen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit arbeiten bereits 40 Prozent aller Produzenten weltweit mit Nanomaterial.

Verbindliche Regelung

Die „Novel Food“-Regelung wird in Form einer Verordnung der Kommission erlassen. Damit wird sie unmittelbar und ohne Spielraum für alle 28 Mitgliedsländer wirksam. Bei einer EU-Richtlinie hingegen bleibt die Umsetzung den einzelnen Staaten überlassen.

50 statt zehn Prozent

Auch die Europäische Behörde für Nahrungsmittelsicherheit (EFSA) warnt: Es gebe derzeit nicht ausreichend Daten und Wissen über die Wirkung künstlich produzierter Nanoteilchen, um Nanolebensmittel zuverlässig als sicher einstufen zu können. Die EFSA schlug daher - so wie auch das EU-Parlament - statt der 50-Prozent-Schwelle eine Zehnprozentschwelle vor. Doch das Parlament konnte sich in diesem Punkt gegen Kommission und Mitgliedsländer nicht durchsetzen.

Das Gegenargument der Kommission lautet: Es gebe derzeit gar nicht die Messgeräte, um so geringe Mengen an Nanopartikeln überhaupt aufzuspüren. Daher gelte zunächst die 50-Prozent-Marke, die gegebenenfalls abgesenkt werden könnte, sollten sich die Messmethoden verbessern.

Roberto Flore beim Zubereiten der Speisen

EP/European Union 2015

Chefkoch Roberto Flore bei den letzten Vorbereitungen für eine Verkostung von Insektenfood im EU-Parlament

In einer internen Information des EU-Parlaments heißt es auch, dass die Gesundheitsrisiken von künstlich erzeugten Nanoteilchen noch nicht abschätzbar seien. Es bestehe die Gefahr, dass die Teilchen durch die Haut, die Lungen oder durch Darmmembranen dringen und so Gesundheitsschäden verursachen könnten.

Schneller und einfacher

Die derzeitige Verordnung gilt als völlig veraltet. Die neue soll, so die Kommission, bei der technischen Entwicklung auf der Höhe der Zeit sein und das bisher - so beklagt es die Lebensmittelindustrie - viel zu langwierige Verfahren deutlich beschleunigen.

Österreich vorne dabei

Österreich gehöre - neben Frankreich, Großbritannien und Irland - zu jenen Ländern, die bei der Prüfung von neuen Lebensmitteln besonders viel Erfahrung haben, so der Leiter der EFSA-Lebensmittelabteilung, Valeriu Curtui. Die dafür zuständigen nationalen Agenturen sollen bei künftigen Prüfverfahren von der EFSA verstärkt herangezogen werden.

Unter dem bisherigen Zulassungsverfahren - das grundsätzlich national ist und nur im Falle des Einspruchs eines anderen Landes auch von der EFSA geprüft wird - gab es bis Anfang des Jahres nur 180 Zulassungsanträge: 80 davon wurden bewilligt. Ein Verfahren dauerte im Schnitt drei Jahre, da in vier von fünf Fällen ein anderes Mitgliedsland Einspruch einlegte und es so in die nächste Instanz ging.

Das soll sich künftig ändern: So soll die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde direkt für alle Zulassungsanträge zuständig sein und sich so die Dauer des Verfahrens auf 18 Monate halbieren. Da EFSA aber die nötigen Ressourcen fehlen, wird sie die Anträge an nationale Prüfbehörden weiterleiten.

Eine Zulassung für alle

Die Freigaben durch die EFSA sind künftig „generisch“ - das heißt, nicht nur jene Firmen, die die Anträge stellen, dürfen die bewilligten Lebensmittel und -zusätze auf den Markt bringen, sondern auch alle anderen Unternehmen. Nur bei einer echten Erfindung im Lebensmittelbereich kann ein Unternehmen künftig eine fünfjährige Schutzfrist erhalten.

Insekten und anderes Exotisches

Erleichtert wird außerdem der Zugang von traditionellen außereuropäischen Speisen. Drittländer hatten das komplizierte Zulassungsverfahren als Handelsschranke kritisiert. Nach der neuen Verordnung sind diese Lebensmittel automatisch zugelassen, wenn sie nachweislich mindestens 25 Jahre in anderen Staaten ohne Gesundheitsfolgen konsumiert wurden. Mit dieser Änderung wird auch der Verkauf von Insekten und Insektenerzeugnissen möglich.

Weder das EU-Parlament noch die großen Lebensmittelverbände haben eigenen Angaben zufolge Zahlen, wie sich der „Novel Food“-Markt künftig entwickeln wird und ob es sich um einen lukrativen Milliardenmarkt handelt oder nicht. Von Kommission- wie Industrieseite wird allerdings betont, die vereinfachte Zulassung sei eine Chance für Klein- und Mittelbetriebe, für die das bisherige Zulassungsverfahren zu teuer und langwierig gewesen sei.

Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel

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