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Nordamerika-Geschäft wird umgekrempelt

Der Volkswagen-Konzern wird nach dem Abgasskandal komplett umgebaut. Im Zuge der personellen Neuaufstellung des Vorstandes hat der VW-Aufsichtsrat am Freitag auch eine Neustrukturierung der einzelnen Unternehmensteile beschlossen. Die zwölf Marken von VW werden künftig in vier Gruppen gegliedert.

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Die einzelnen Marken sollen stärker vom Konzernvorstand koordiniert werden und erhalten mehr Eigenverantwortung in ihren jeweiligen Regionen. Die Hauptmarke VW sowie ihre beiden Schwestern Seat und Skoda sollen jeweils durch ein Vorstandsmitglied in der obersten Konzernführung vertreten werden. Bei VW ist das der frühere BMW-Manager Herbert Diess.

Für die Sportwagen wird eine Gruppe mit Porsche, Bentley und Bugatti gebildet, die vom neu gekürten Konzernchef Matthias Müller geleitet wird. Die von Rupert Stadler geführte Gruppe aus Audi, dem Luxussportwagen Lamborghini und dem italienischen Motorradhersteller Ducati bleibt unverändert. Der Holding für die Lkw-Töchter MAN und Scania steht weiter der von Daimler zu VW gewechselte Andreas Renschler vor.

Nordamerika-Geschäft wird gebündelt

Ebenfalls komplett neu strukturiert wird das Geschäft in Nordamerika. Die Märkte USA, Kanada und Mexiko werden zur „Region Nordamerika“ gebündelt, zum Leiter der Division wurde der bisherige Skoda-Chef Winfried Vahland bestellt. Vahlands Nachfolger soll der bisherige Vertriebschef von Porsche, Bernhard Maier, werden. VW verspricht sich von der Neuorganisation eine „maßgebliche Stärkung“ des dortigen Absatzes. Der infolge des Skandals in die Kritik geratene US-Regionalchef von VW, Michael Horn, bleibt im Amt.

Vertriebschef verliert Job

Wie bereits im Vorfeld erwartet, segnete der 20-köpfige Aufsichtsrat den Wechsel von Porsche-Chef Matthias Müller an die Spitze von Volkswagen ab. Müller wird Nachfolger des am Mittwoch abgetretenen Martin Winterkorn.

Der Vertrag des Vorstandsmitglieds für Beschaffung, Javier Garcia Sanz, wurde um fünf Jahre verlängert. Neuer Seat-Chef wird Audi-Vertriebschef Luca de Meo. Der bisherige Chef der spanischen Marke Jürgen Stackmann wird VW-Markenvorstand. Das bisher ohnehin nur kommissarisch besetzte Produktionsressort im Konzernvorstand wird komplett gestrichen. Künftig sollen die einzelnen Marken und Regionen dieses Themenfeld deutlich eigenständiger beackern. Der Vorstand wird damit kleiner.

Vertriebschef Christian Klingler wird den Konzern hingegen verlassen - offiziell wegen „unterschiedlicher Auffassungen“ über die Strategie. Klinglers Abgang habe nichts mit dem Abgasskandal zu tun, sondern sei bereits länger geplant gewesen, hieß es Freitagabend in einer Mitteilung von Volkswagen. Konzernchef Müller übernimmt Klinglers Aufgaben zunächst mit.

„Wir werden diese Krise bewältigen“

Neo-Vorstandschef Müller gab sich in einem ersten Statement zuversichtlich: „Wir können und werden diese Krise bewältigen“, sagte er vor Journalisten in Wolfsburg. Der gelernte Werkzeugmacher und studierte Informatiker ist seit fast vier Jahrzehnten im VW-Konzern. Er war schon während der Führungskrise im Frühjahr als Kandidat für die Winterkorn-Nachfolge gehandelt worden. Müller kündigte weiters an, dass der Konzern zu seiner Verantwortung stehen werde. „Lassen Sie mich eines sagen: Zu keinem Zeitpunkt war die Sicherheit unserer Fahrzeuge oder unserer Kunden gefährdet“, fügte er hinzu.

Archivbild von Ex-VW-Chef Martin Winterkorn und Porsche-Chef Matthias Müller

APA/EPA/dpa/Marijan Murat

Der zurückgetretene VW-Chef Martin Winterkorn (l.) und sein Nachfolger Matthias Müller 2012

Müller versprach eine „schonungslose Aufklärung“ der Affäre und „maximale Transparenz“. „Volkswagen wird unter meiner Führung alles daran setzen, die strengsten Compliance- und Governance-Standards (Verhaltens- und Führungsregeln, Gesetze und Richtlinien, Anm.) der gesamten Branche zu entwickeln und umzusetzen“, so der Manager. Gelinge das, werde der Konzern langfristig gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Der Aufsichtsrat danke Müller, dass er diese Aufgabe in schwierigen Zeiten für das Unternehmen übernehme, erklärte VW-Aufsichtsratschef Berthold Huber. Huber bezeichnete den Skandal als „moralisches und politisches Desaster“ für den Konzern. Es habe ein „rechtswidriges“ Verhalten von Erfindern und Technikern gegeben. „Dafür entschuldige ich mich in aller Form bei unseren Kunden und der Öffentlichkeit.“ Huber sagte, dass Anwälte der Kanzlei Kirkland & Ellis beauftragt worden seien. Die Kanzlei hatte schon den britischen Ölkonzern BP nach der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ im Jahr 2010 vertreten.

Schweiz will Neuzulassung verbieten

Unterdessen droht dem Konzern weiteres Ungemach: Manipulierte Fahrzeuge des VW-Konzerns sollen in der Schweiz nicht mehr neu zugelassen werden. Das Schweizer Bundesamt für Straßen will den betroffenen Modellen die Typengenehmigung vorsorglich entziehen, bis Klarheit über mögliche Manipulationen bestehe, wie die Behörde am Freitag mitteilte. Bereits zugelassene Fahrzeuge dürften jedoch weiterhin auf Schweizer Straßen rollen.

In der Schweiz seien bis zu 180.000 Fahrzeuge von den Manipulationen betroffen. Dazu gehörten Modelle der Marken Audi, Seat, Skoda und Volkswagen der Baujahre 2009 bis 2014, die mit Dieselmotoren in den Ausführungen 1.2 TDI, 1.6 TDI und 2.0 TDI ausgerüstet sind. EURO6-Motoren der laufenden Produktion seien nicht betroffen.

Moody’s droht unterdessen auch der Bank- und Leasingsparte von VW mit einer schlechteren Bonitätsnote. Die Agentur prüfe die Ratings von VW Financial Services und der VW Bank auf eine Herabstufung, teilte Moody’s mit. Bereits am Vortag hatte Moody’s den Ausblick für die Bonitätsnote des Konzerns gesenkt. Die Europäische Zentralbank (EZB) kaufe vorerst keine Autokreditverbriefungen von Volkswagen, berichtete die Tageszeitung „Die Welt“. Es gebe zunächst eine Überprüfung, bevor endgültig entschieden werde, ob die VW-Schuldverschreibungen (ABS) aus dem Wertpapierankaufprogramm der EZB ausgeschlossen würden, sagte eine mit der Sache vertraute Person am Freitag der Zeitung.

Milliardenklage droht

Weltweit sind elf Millionen Fahrzeugen von den Manipulationen betroffen. Fünf Millionen davon seien VW-Modelle, teilte VW am Freitagabend mit. Die US-Umweltbehörde EPA hatte vergangene Woche aufgedeckt, dass bei VW-Dieselfahrzeugen die Abgaswerte manipuliert worden waren. Mit Hilfe einer speziellen Software wurden im Testbetrieb deutlich weniger gesundheitsschädliche Stickoxide gemessen als im regulären Betrieb.

Infolge des Skandals war in dieser Woche zwischenzeitlich der Kurs der VW-Aktie stark eingebrochen. Weltweit drohen dem Konzern zudem juristische Nachspiele und Milliardenstrafen. Der Abgasskandal erfasste inzwischen neben VW und Audi auch die Töchter Skoda und Seat. Zudem steht die Frage im Raum, ob andere Hersteller ebenfalls getrickst haben könnten. BMW, Daimler, Ford, Opel und Fiat betonten, sich an alle gültigen Vorgaben zu halten. Nach mehreren europäischen Ländern forderten am Freitag auch Australien und Indien von VW Aufklärung.

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