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Startpunkt für Reform der Dublin-Regeln?

Die europäischen „Hotspots“ zur Registrierung von Flüchtlingen in Italien und Griechenland sollen spätestens Ende November eingerichtet sein. Diesen Zeitplan vereinbarten die EU-Staats- und -Regierungschefs - neben einer Milliarde Euro zur Flüchtlingshilfe in Syriens Nachbarländern - laut Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) beim Sondergipfel in der Nacht auf Donnerstag in Brüssel.

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Faymann zeigte sich mit den Ergebnissen des Treffens zufrieden. Die Mehrheitsentscheidung der EU-Innenminister zur Verteilung von 120.000 Flüchtlingen in Europa sei beim Gipfel „ziemlich unbestritten“ gewesen. Befürchtungen, dass der Beschluss noch einmal umgedreht werde, hätten sich aufgelöst. Faymann sieht in dem Gipfelbeschluss einen möglichen Grundstein zur Reform der Dublin-Verordnung, laut der das Erstaufnahmeland eines Flüchtenden immer für dessen Asylverfahren zuständig ist.

Es sei augenscheinlich, dass „Dublin“ nicht funktioniere, sagte Faymann. „Eine bessere Regelung könnte auf Basis dieser Beschlüsse entstehen.“ Einen ersten Schritt sieht er gemacht: Bei „Hotspots“ zur Registrierung von Flüchtlingen und bei Rückführungen sei die EU stärker als die einzelnen Nationalstaaten.

„Das läuft auf einen permanenten Mechanismus zu“

Im Ö1-Interview drohte Faymann mit Rückführungen, sollten sich die Flüchtlinge nicht an den EU-Außengrenzen registrieren lassen. Dafür brauche es aber auch Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern. Die „Hotspots“ brächten bessere Chancen für jene, die ein Asylrecht haben. Aber es sei auch eine klare Botschaft an jene, die kein Asylrecht haben, dass es nicht mehr so einfach gehe wie bisher.

Die mit Mehrheit beschlossene Verteilung von 120.000 Flüchtlingen auf das gesamte Gebiet der Europäischen Union wird nach Ansicht von Faymann ohnehin nicht lange ausreichen, um Asylwerber in Europa zu verteilen. Es sei zu erwarten, dass binnen der vorgesehenen zwei Jahre mehr als 120.000 Flüchtlinge in die EU kommen werden. „Das läuft auf einen permanenten Mechanismus zu“, so der Bundeskanzler. Tusk betonte nach dem Gipfel, dass „die größte Flüchtlingswelle noch vor uns steht“. Die Politik der offenen Türen müsse überarbeitet werden.

Merkel pocht auf dauerhaftes Verfahren

Faymann hofft, dass der EU-Sondergipfel weitere intensive Treffen in Gang bringen wird. Er hatte gemeinsam mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel Tusk um das Treffen ersucht. Es hätten sich beim Gipfel bereits mehr Stimmen für eine gemeinsame europäische Lösung ausgesprochen als bei vorhergehenden Treffen, so Faymann. Zugleich räumte er ein, dass beim Beschluss für eine Milliarde Euro zur Flüchtlingshilfe vor allem für die Türkei noch vieles offen sei.

Merkel pochte am Donnerstag darauf, dass die Umverteilung ein „dauerhaftes Verfahren“ bleibe. Das sei keine einmalige Aktion. Die polnische Regierung hatte zuvor erklärt, es gehe hier um eine einmalige Entscheidung in einer Krisensituation, aus der kein „Automatismus“ bei der Umverteilung entstehen dürfe.

Griechenland plant drei „Hotspots“

Am Donnerstag wurden indes die ersten Standorte für die „Hotspots“ bekannt. So will Griechenland bis Ende Oktober auf den Inseln Lesbos, Kos und Leros drei Zentren zur Registrierung von Flüchtlingen errichten. Griechenland werde alles tun, damit die drei Zentren im Laufe des kommenden Monats in Betrieb gehen können, sagte der Leiter der zuständigen Behörde, Alexander Arvanitidis, am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Das erste dürfte schon bald auf Lesbos eröffnet werden, wo seit dem Sommer die meisten Flüchtlinge eintreffen.

Heftiger Streit in Bulgarien

In Bulgarien brach indes nach einem am Donnerstag bekanntgewordenen Zitat der deutschen Kanzlerin Merkel eine heftige Debatte aus. Bulgariens Regierungschef Bojko Borissow wird vorgeworfen, ein derartiges EU-Aufnahme- und Verteilzentrum an der Grenze zur Türkei von sich aus angeboten zu haben: Die sozialistische Opposition wie auch die mitregierende Patriotische Front kritisierten den angeblichen Vorstoß einhellig als „inakzeptabel“ und „gefährlich“.

Bulgarien habe in den Beratungen darauf verwiesen, dass es zwar kein Schengen-Land sei, aber ebenfalls eine EU-Außengrenze mit der Türkei habe und erheblichen Druck durch Flüchtlingszuwanderung verspüre. „Wir waren offen dafür. Wenn Bulgarien einen solchen ‚Hotspot‘ bilden möchte, dann wird es genau die gleiche Unterstützung, genau die gleiche Hilfe bekommen von den europäischen Institutionen und Agenturen, wie das Italien und Griechenland bekommen“, hatte Merkel dem bulgarischen Staatsradio BNR Mittwochabend gesagt.

„Praktisch unmöglich“

Grundsätzliche Zweifel an der Umsetzbarkeit der beschlossenen Umverteilung kamen unterdessen aus Tschechien. „Die Umsetzung dieses Plans ist praktisch unmöglich“, sagte Innenminister Milan Chovanec nach Angaben der Agentur CTK am Donnerstag. Es sei unklar, wie Schutzsuchende von Italien und Griechenland nach Tschechien überführt werden sollen, sagte der Sozialdemokrat. Zudem habe Prag „weder die Möglichkeit noch das Recht“, Asylwerber an der Weiterreise nach Deutschland zu hindern.

Beiträge einzelner Länder zu Hilfe offen

Offene Fragen gibt es auch in Hinblick auf die zusätzliche Milliarde, welche die EU vor allem über den Umweg der zuständigen UNO-Organisationen für Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens ausgeben will. Hier sei noch keine Aufteilung festgelegt, so Faymann. Er erwartet, dass über den Anteil aus dem EU-Budget und über jenen der EU-Staaten in den nächsten Tagen entschieden werde. Österreich werde sich beteiligen, in der Regel betrage der Anteil 2,3 Prozent. „In dieser Größenordnung“ werde man sich beteiligen.

Die österreichische Caritas begrüßte in einer ersten Reaktion den Beschluss für Hilfe in Syriens Nachbarländern. Diese sei dringend nötig, betonte die Hilfsorganisation in einer Aussendung: Die Mittel der UNO-Hilfe gingen zur Neige, pro Flüchtling und Monat stünden oft nur noch sechs Euro zur Verfügung. Die Pläne für die EU-Zentren nahm die Caritas hingegen „verhalten“ zur Kenntnis. Vieles sei noch unklar, auf die Wahrung der Menschenrechte werde „ein prüfendes Auge zu legen sein“.

EU-Plan für UNHCR nur ein Anfang

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) begrüßte den Beschluss des Gipfels, es müsse aber noch mehr getan werden: „Der Verteilungsplan beendet das Problem nicht, aber er wird hoffentlich der Anfang einer Lösung sein“, so UNO-Hochkommissar Antonio Guterres. „Der Plan kann nur funktionieren, wenn zugleich an den Eintrittspforten nach Europa leistungsfähige Zentren zur Aufnahme, Unterstützung, Registrierung und Überprüfung der Menschen geschaffen werden.“ Diese Zentren müssten in der Lage sein, mit der Ankunft von derzeit durchschnittlich 5.000 Flüchtlingen pro Tag fertigzuwerden.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte die Entscheidung, eine Milliarde Euro zusätzlich zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in Nachbarstaaten des Bürgerkriegslandes aufzubringen. Das sei ein „Schritt in die richtige Richtung“. Trotzdem seien aber weitere Anstrengungen zur Lösung der Krise und zum Schutz der Flüchtlinge notwendig. Der UNO-Generalsekretär forderte von den europäischen Staats- und Regierungschefs größere Anstrengungen bei der Lösung der Flüchtlingskrise. Die geflohenen Männer, Frauen und Kinder müssten „würdig und menschlich“ empfangen werden.

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