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Flüchtlinge auch bei Senioren Thema

Das Seniorenheim Atzgersorf in Wien-Liesing, nahe dem Bahnhof Atzgersdorf, gilt als eines der schönsten Seniorenwohnheime der Stadt Wien. Die meisten Bewohner hier wählen die SPÖ, viele sind seit Jahrzehnten SPÖ-Mitglied. Bei ihren Kindern und Enkeln ist der Hang zur Sozialdemokratie deutlich weniger stark ausgeprägt - ein Problem, mit dem die SPÖ nicht nur in Wien immer stärker zu kämpfen hat.

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Bei der Gemeinderatswahl 2010 wählten 77,5 Prozent der Bewohner des Seniorenheims Atzgersdorf SPÖ, das ist der höchste Wert (ohne Wahlkarten) aller Sprengel in Wien. Liesing, Heimatbezirk von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), wird seit 1946 von der SPÖ regiert, wobei die Partei 1996 erstmals die absolute Mehrheit verlor. Zuletzt erreichte die SPÖ in Liesing 44,7 Prozent, die FPÖ 27,5 Prozent, die ÖVP 15 Prozent und die Grünen 9,9 Prozent. Nationalratspräsidentin Doris Bures ist Bezirksvorsitzende der SPÖ Liesing.

Der Sprengel umfasst genau das Seniorenheim Atzgersdorf, Ecke Gatterederstraße/Michelfeitgasse

Dankbarkeit als Wahlmotiv

Für die Bewohner des Seniorenheims Atzgersdorf ist der hohe Anteil für die SPÖ in ihrem Haus gar nicht überraschend. „Wir sind in einem Haus untergebracht, wo wir alles haben und uns nicht sorgen müssen“, meint etwa Emilie Guttmann, die seit acht Jahren hier wohnt. Eine andere Partei als die SPÖ zu wählen wäre „undankbar“, sie fühle sich dazu verpflichtet. Guttmann, über 40 Jahre lang Angestellte in einer Apotheke, wählt seit Jahrzehnten SPÖ. Sie sei über ihren Mann zur Sozialdemokratie gekommen, erzählt sie, in ihrem bürgerlichen Elternhaus sei noch anders gewählt worden.

Bewohnerin des Hauses Atzgersdorf in Wien-Liesing

ORF.at/Michael Baldauf

Emilie Guttmann

Auch für das Ehepaar Trummer ist es „unvorstellbar“, eine andere Partei als die SPÖ zu wählen. Elfriede Trummer sei „ewige Zeiten“ bei den Roten Falken und später bei der Sozialistischen Jugend gewesen, deswegen sei sie immer für die SPÖ. Ehemann Oskar, einst 35 Jahre bei den ÖBB tätig, ist seit 60 Jahren Parteimitglied, das sei bei ihm „Grundlage“. Mit dem Seniorenheim selber und der Versorgung dort habe seine Einstellung aber nichts zu tun, sagt Trummer, auch wenn er und seine Frau sich in dem Heim gut aufgehoben fühlten.

Früh mit SPÖ-Organisationen sozialisiert

Bei den Roten Falken war auch Helene Bencza, ihre Kinder allerdings nicht mehr. Sie selbst sei mit den Roten Falken in der Nachkriegszeit noch viel weggefahren, erzählt das ebenfalls langjährige Parteimitglied der SPÖ. Später sei sie dann mit ihrem Mann und ihren Kindern ständig unterwegs gewesen, sodass ihre Kinder „keine Zeit“ mehr gehabt hätten, noch mit den Roten Falken etwas zu unternehmen. Möglich, sagt Bencza, dass diese verlorene Nähe bei den Jungen der Sozialdemokratie geschadet habe, aber die Zeiten seien halt anders.

Haus Atzgersdorf in Wien-Liesing

ORF.at/Michael Baldauf

Das Seniorenheim wurde vor rund zehn Jahren generalsaniert

Während Oscar Trummer und der verstorbene Mann von Frau Guttmann sich auch politisch zum Teil sehr intensiv betätigten, Trummer vor allem in Gewerkschaftskreisen, waren Frau Bencza und Frau Maria Trostli sowie ihre verstorbenen Männer politisch überhaupt nicht aktiv. Trostli, die mit ihrem Mann nach dem Krieg einen gut gehenden Bürogroßhandel in Döbling aufgebaut hat, wählt trotz ihrer unternehmerischen Tätigkeit ebenfalls seit Jugendalter SPÖ, das habe sie noch aus ihrem Elternhaus in Gmunden übernommen, erzählt sie.

„Uns alten Menschen geht es nicht so schlecht“

Sie sei von Anfang an für die Arbeiterpartei gewesen, denn sie könne sich noch an eine Zeit erinnern, „wo es manchen Arbeitern sehr schlecht gegangen ist und die soziale Einstellung zu den Arbeitern nicht so besonders war“, begründet Trostli ihre Lebensentscheidung. Aufgrund ihrer Erfahrungen wisse sie auch das Soziale Netz in Wien zu schätzen, auf dem Land sei früher mit alten, kranken Menschen noch ganz anders umgegangen worden. „Uns alten Menschen geht es nicht so schlecht“, meint Trostli.

Das Jugendwohnheim Atzgersdorf neben dem Pensionistenheim Haus Atzgersdorf

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Gleich neben dem Seniorenheim liegt ein Jugendwohnhaus, rundherum gibt es einige Genossenschaftsbauten, gegenüber zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten

Würden jetzt vor allem die Jungen wählen, dann hätte die Sozialdemokratie deutlich weniger Stimmen, ist Trostli überzeugt. Die Sozialdemokratie überlebe vor allem dank der älteren Wähler, die Ansprüche der Jugend seien groß. Es gebe zwar auch im Haus einige Menschen, die immer etwas auszusetzen hätten, aber sie sei froh, dass sie neben ihren Krankheiten sich nicht mehr um ihre große Wohnung kümmern müsse, die sie sich nach dem Tod ihres Mannes auch gar nicht mehr habe leisten können.

Nachfrage nach Betreuung hat sich verändert

Vor drei Jahren wurden die Aufnahmekriterien für die insgesamt 30 vom Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser verwalteten Häuser geändert. Den „fidelen, 60-jährigen Pensionisten, der mit dem Cabrio vorfährt, gibt es so nicht“, viele Menschen würden möglichst lange zu Hause wohnen bleiben und erst, wenn es nicht mehr geht, in ein Heim umziehen, so Direktor Kurt Burger.

Der Leiter des Hauses Atzgersdorf in Wien-Liesing

ORF.at/Michael Baldauf

Der Leiter des Heims Atzgersdorf, Kurt Burger

Statt sich wie früher Jahre im Vorhinein anzumelden, frage man heute bei akutem Bedarf an, und der zuständige Fonds Soziales Wien versuche ehebaldigst ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Wer sich mit Pension und Pflegegeld die Betreuung im Heim nicht leisten kann, bekommt vom Fonds Soziales Wien entsprechende Unterstützung, wobei vorhandenes Vermögen einzusetzen ist.

Bei der Gründung der Häuser in den 1960er Jahren sei die Idee gewesen, dass sich die Lebensumstände durch den Umzug in ein Heim verbesserten, weil damals viele Menschen noch in Substandardwohnungen wohnten, so Burger. Damals hätten Interessenten auch lange auf einen Einzug warten müssen. In der Zwischenzeit sei das Betreuungsangebot zu Hause massiv ausgebaut worden, der Bedarf habe sich daher verändert.

Bures und Faymann „immer mehr“ gewesen

Erich Heinzl war zwei Jahrzehnte Bezirksrat in Liesing und wohnt seit mittlerweile sechs Jahren im Heim. Der ehemals Selbstständige wählt seit über 60 Jahren SPÖ. Er sei immer politisch engagiert gewesen, zuerst im Bezirksausschuss und später dann als Bezirksrat, erzählt Heinzl. Er habe auch Faymann und Bures bereits in jungen Jahren kennengelernt, die seien aber „immer mehr“ gewesen, also in der Organisation der SPÖ bereits höher, weil sie von den Jugendorganisationen des Bezirks gekommen seien. Beide hätten schon immer zu den Aufstrebenden gehört, und mit den „richtigen Leuten“ komme man leichter hinauf.

Bewohner des Hauses Atzgersdorf in Wien-Liesing

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Erich Heinzl war 20 Jahre lang Bezirksrat in Liesing

Mitglieder vermissen persönlichen Kontakt

Bures als Bezirksvorsitzende komme heute noch in den Bezirk, so volksverbunden wie früher seien die Politiker aber nicht mehr. Das Verhältnis zur Bevölkerung sei nicht besser geworden, meint Heinzl. Früher sei die SPÖ noch zu den Mitgliedern persönlich gekommen, um den Mitgliedsbeitrag zu kassieren und habe mit den Leuten geredet, das war eine „ganz andere Bindung als jetzt, wo man mit dem Erlagschein zahlt“. Vor allem die Älteren würden etwas vermissen, wenn die Partei nur zur Wahl komme. Ob die SPÖ die Basisarbeit vernachlässigt hat, will Heinzl nicht sagen, er erzählt aber, dass Liesing früher eine eigene Feier zum 1. Mai hatte.

Eingang zum Haus Atzgersdorf in Wien-Liesing

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Das Seniorenheim Atzgersdorf gehört zu den Vorzeigeheimen des Fonds Soziales Wien

Heinzl hat sich, wie auch einige andere der von der Heimverwaltung vermittelten Interviewpartner, bereits vor Jahrzehnten für das Heim angemeldet und wohnt seit nunmehr sechs Jahren im Haus. Wie auch alle anderen, sagt Heinzl, er habe keinerlei Beziehungen genutzt, um ins Haus zu kommen, auch wenn es zum Teil sehr enge Beziehungen gibt. Alle Befragten verneinen auch, dass es Parteiwerbung gibt, die ist gemäß der Hausordnung aber auch untersagt. Politische Diskussionen unter den Bewohnern gibt es durchaus, wie sich in den Gesprächen nach und nach herausstellt.

Gemischte Erwartungen an Wien-Wahl

Angesprochen auf den Ausgang der kommenden Wien-Wahl hoffen naturgemäß alle Befragten, dass die SPÖ die Wahl gewinnt, die Zuversicht differiert allerdings. Das Flüchtlingsthema werde die SPÖ wohl Stimmen kosten und der FPÖ deutlich mehr Zuspruch bringen, meinen Heinzl und Bencza. Es gebe wohl einige, die FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wegen seines Aussehens wählen würden, aber das hätten manche auch damals beim ehemaligen SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima gesagt, erzählt Bencza schmunzelnd.

Bewohnerin des Hauses Atzgersdorf in Wien-Liesing

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Helene Bencza

Offenbar habe die SPÖ nicht genug Durchschlagskraft, sinniert Trostli, dabei habe etwa Strache noch nie etwas bewiesen, er habe „nur ein großes Mundwerk“. Auch Benzca sagt, bei der SPÖ gehöre ein „bisserl mehr Härte her“. Die SPÖ müsse das bisher Erreichte besser vermarkten und auch die jungen Wähler besser informieren, meint Oskar Trummer, und dabei auch Entscheidungen, die vor Jahrzehnten gefällt wurden, in die richtige Perspektive setzen. Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) habe sehr viel für die Stadt getan, sagt Guttmann, sie widerspreche jedem, der etwas anderes sage.

„Einmal Partei, immer Partei“ vorbei

Der Organisationsgrad vieler großer Organisationen habe sich geändert, so der Liesinger Bezirksvorsteher Gerald Bischof (SPÖ) angesprochen auf die Frage, ob die SPÖ nicht bei der Jugend den Anschluss verloren habe. Bei vielen Parteien, Gewerkschaften und Kirchen gehe die institutionelle Bindung zurück, man müsse sich mittlerweile immer wieder aufs Neue beweisen. Das klassische „einmal die Partei gewählt, immer die Partei gewählt“ sei vorbei, gerade die Jungen würden sich von Mal zu Mal aufs Neue entscheiden. Hier könne man nur jedes Mal aufs Neue Angebote stellen und versuchen, mit der geleisteten Arbeit zu punkten.

Gerald Bischof (SPÖ), Bezirksvorsteher von Wien-Liesing

ORF.at/Michael Baldauf

Der Liesinger Bezirksvorsteher Gerald Bischof

Auch Bischof geht davon aus, dass die Flüchtlingsfrage der FPÖ viel Auftrieb geben wird, diese Frage sei jedoch nur auf Ebene der EU zu lösen. Allerdings würden viele Menschen, die bereits mit Sorgen durchs Leben gehen, eher auf „kurze Heilsbotschaften“ mit einer vorgegaukelten Lösung hereinfallen. Die Herausforderung sei, herauszuarbeiten, dass diese eben keine Antworten seien. Er hoffe bei der Wahl am 11. Oktober auf ein deutliches Zeichen „gegen Aufhetzen und für ein Miteinander in diesen schwierigen Zeiten“.

Er persönlich wolle nicht aufdringlich sein, so Bischof in Bezug auf eine bessere Vermarktung von SPÖ-Projekten etwa im Wohnbau. Liesing und Wien würden bei der Lebensqualität immer Spitzenwerte erreichen, aber Dankbarkeit sei keine Kategorie, sagt Bischof, angesprochen auf die Forderung der Senioren, dass die SPÖ sich besser verkaufen müsse. Eine Koalition mit der FPÖ schließt Bischof für die SPÖ Wien aus, mit der ÖVP sei sie denkbar. Die Wählerlandschaft sei aber derzeit so im Umbruch, dass sich niemand zu sagen traue, wie der der 11. Oktober ausgehen werde. „Und dann gilt es zu verhandeln.“

Nadja Igler, ORF.at

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