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Wie viel wusste Winterkorn?

Die Affäre um Abgasmanipulationen bei VW-Dieselautos und eine drohende Milliardenstrafe in den USA lassen dem Konzern keine andere Wahl: VW setzte nun den Verkauf von Dieselautos mit Vierzylindermotoren in den USA bis auf Weiteres aus. Anleger reagierten entsetzt: Die VW-Aktie ging am Montag auf Talfahrt.

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Das Papier brach bis Montagnachmittag an der Frankfurter Börse um mehr als 20 Prozent ein und zog auch die Titel anderer Autowerte mit hinab. Mit dem größte Kurssturz in sechs Jahren verlor der deutsche Autohersteller rund 15 Mrd. Euro an Börsenwert. Analysten und Händler zeigten Unverständnis und Ungläubigkeit angesichts des Eingeständnisses von VW, mit Hilfe einer Software die Resultate von Abgastests bei Dieselautos in den USA geschönt zu haben. Die Wolfsburger hatten am Sonntag eingeräumt, dass Abgaswerte von Dieselautos in den Vereinigten Staaten für Fahrzeugtests manipuliert worden waren.

Millardenstrafe und Imageschaden drohen

Ein Sprecher des Konzerns bestätigte am Montag Berichte, dass aktuelle Modelle der Marken VW und Audi vom Verkaufsstopp betroffen seien. VW werde bis auf Weiteres auch keine Gebrauchtwagen dieser Typen verkaufen. Bei der US-Umweltbehörde EPA läuft derweil eine Untersuchung gegen den Konzern unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Klimaschutzgesetz „Clean Air Act“.

VW-Chef Martin Winterkorn

Reuters/Wolfgang Rattay

Schwierige Tage für VW-Chef Martin Winterkorn

Dem DAX-Unternehmen drohen schlimmstenfalls Strafzahlungen von mehr als 18 Mrd. Dollar, Rückrufkosten, mögliche Regressansprüche von enttäuschten Kunden und Aktionären und ein nicht abzuschätzender Imageschaden - nicht nur auf dem chronisch schwächelnden US-Markt, wo VW bisher enttäuschend abschneidet. Gerade hier wollte Konzernchef Martin Winterkorn, dessen Vertrag nach dem gewonnenen Machtkampf mit VW-Übervater Ferdinand Piech im Frühjahr bis Ende 2018 verlängert worden war, eigentlich Meter machen.

VW: Absatzrückgang im August

Das Vorgehen der US-Behörde trifft VW in einer ohnehin schwierigen Situation. Im August übergab der Konzern rund um den Globus 714.000 Fahrzeuge an Kunden und damit 5,4 Prozent weniger als vor Jahresfrist. Noch stärker ging der Absatz bei der Kernmarke Volkswagen Pkw zurück: Die Verkäufe schrumpften um 8,1 Prozent auf 432.900 Autos. Das wichtigste VW-Modell in den USA ist weiterhin der Jetta Sedan. Im August brachen die Verkäufe für das Modell nach dreimonatigem Aufwärtstrend allerdings um knapp 18 Prozent auf gut 11.000 Exemplare ein. Die Zahl der verkauften Autos insgesamt sank im Jahresvergleich um 8,1 Prozent auf rund 32.300 Stück.

„Winterkorn an Spitze nicht mehr tragbar“

Der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer legte Winterkorn bereits einen Rücktritt nahe. Als direkter Verantwortlicher für Forschung und Entwicklung habe der Vorstandsvorsitzende entweder von den Manipulationen gewusst oder sei ahnungslos und habe seinen Geschäftsbereich nicht im Griff, sagte Dudenhöffer der „Frankfurter Rundschau“ („FR“, Montag-Ausgabe). „In beiden Fällen würde ich sagen, dass Winterkorn an der Konzernspitze nicht mehr tragbar ist.“

Die Vorsitzende des Umweltausschusses im deutschen Bundestag, die Grüne Bärbel Höhn, sagte, eine „so umfassende Softwaremogelei“ müsse mit dem Wissen der Führung in Wolfsburg passiert sein. „Alles andere würde mich wundern.“ Ihrer Auffassung nach könnten auch noch andere Automarken im Ringen um die Einhaltung von Abgasvorschriften in Europa und den USA bei Manipulationen erwischt werden. Sie würde sich darüber „nicht wundern“.

Ruf nach Konsequenzen

Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Kontrolleur Stephan Weil kritisierte die manipulierten Abgastests bei VW in den USA scharf. „Eine Manipulation von Emissionstests ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen“, sagte der SPD-Politiker, der als amtierender Regierungschef in Niedersachsen Mitglied im Präsidium des Aufsichtsrates von VW ist

Neben dem Land Niedersachsen als zweitgrößter VW-Aktionär forderte auch der Betriebsrat die lückenlose Aufklärung der Vorwürfe. „Wir als Arbeitnehmervertreter nehmen die Vorwürfe sehr ernst und sind geschockt. Das muss jetzt mit aller Konsequenz und Offenheit aufgeklärt werden“, sagte Betriebsratschef Bernd Osterloh dem Magazin „stern“. Es müssten Konsequenzen aus dem Vorfall gezogen werden.

„Imagekatastrophe par excellence“

Dudenhöffer schloss in der „FR“ nicht aus, dass auch hiesige Modelle mit der Software ausgestattet sein könnten: „Wenn ein Weltkonzern auf einem so wichtigen Markt wie dem nordamerikanischen die Werte manipuliert, dann sollte dringend überprüft werden, ob das nicht auch bei uns geschehen ist.“ VW gab wegen der von den US-Behörden festgestellten Verstöße eine externe Untersuchung in Auftrag.

Der Skandal ist für VW laut Dudenhöffer eine „Imagekatastrophe par excellence“. Auch der Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sprach von einem „großen Schaden“ für VW. Er rühre „am Kern des Images“ des Autoherstellers und habe das Vertrauen beschädigt, sagte Bratzel der Nachrichtenagentur AFP. Nun komme die Frage auf, ob die Manipulationen nicht nur in den USA, sondern auch in Europa Praxis gewesen seien.

Nur Spitze des Eisbergs?

Der Skandal ist nach Angaben des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) nur „die Spitze des Eisbergs“. Der VCD habe den Verdacht, dass die Abgaswerte bei offiziellen Tests viel niedriger sind als im realen Verkehr, schon 2013 geäußert und in den Folgejahren immer wieder Nachprüfungen gefordert, erklärte der VCD am Montag in Berlin. „Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass neben Volkswagen auch andere Konzerne die Abgaswerte manipulieren, und das nicht nur in den USA“, so der verkehrspolitische Sprecher des VCD, Gert Lottsiepen.

Naturschützer wollen neue Überprüfungen

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) fordert die Überprüfung sämtlicher Dieselmodelle neuerer Bauart. „Alle Diesel-Fahrzeuge, die die neue Euro-6-Norm erfüllen, müssen auf den Prüfstand“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger am Montag in Berlin. Die Kosten für eine entsprechende Rückrufaktion und eventuell notwendige Nachrüstungen müssten die Hersteller übernehmen.

BUND-Chef Hubert Weiger kritisierte die Messverfahren in Deutschland: „Im Testbetrieb schneiden Diesel-Fahrzeuge oftmals besser ab als im Realbetrieb, weil beispielsweise die Test-Messungen nur bis zu einer Maximalgeschwindigkeit von 120 Stundenkilometer durchgeführt werden.“ Auf Autobahnen werde aber erheblich schneller gefahren. Daher müssten alle Autos ab sofort im Realbetrieb auf Schadstoffe getestet werden.

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