Zweifel an Wirksamkeit
Mehr Vertrauen durch mehr Transparenz - das versuchen EU-Kommission und -Parlament seit Jahren mit mehreren Maßnahmen, etwa dem Transparenzregister, herzustellen. Der Erfolg ist bisher mäßig, aus Sicht der Kritiker ganz einfach deshalb, weil noch viel zu wenig offengelegt werde. Ganz anders sieht das der Österreicher Markus Beyrer, Chef des größten europaweiten Wirtschaftsdachverbandes Businesseurope.
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Der langjährige Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV) und Kurzzeit-Chef der Österreichischen Industrieholding AG (ÖIAG), der Anfang 2013 auf die Europa-Ebene wechselte, ist eine der gewichtigsten Stimmen in Brüssel. Wenn Beyrer spricht, vertritt er die Position von 40 nationalen Wirtschafts- und Industrieverbänden. Eine einheitliche Linie innerhalb des Dachverbandes herzustellen sei nicht immer leicht, aber mittlerweile gelinge das in mehr als 80 Prozent der Fälle, so Beyrer, der dadurch die Bedeutung von Businesseurope gestiegen sieht.
Register und Meldepflicht
Neben einem Transparenzregister, in das sich alle Lobbyisten und Interessenvertreter eintragen müssen, die Zugang zu EU-Kommission oder -Parlament wollen, müssen seit heuer EU-Kommissare, deren Kabinettsmitglieder und Generaldirektoren all ihre offiziellen Treffen veröffentlichen. Kritiker bemängeln, dass beides - Register wie Meldepflicht - wichtige Bereiche auslassen würden.
„Interessenvertreter, nicht Lobbyist“
Im Interview mit ORF.at erklärt der Chef des größten in Brüssel angesiedelten Interessenverbandes, wie er seine eigene Rolle in diesem dichten Netzwerk aus politischen und wirtschaftlichen Interessen sieht. Seine Aufgabe sei es, „die Interessen der gesamteuropäischen Wirtschaft zu vertreten“.
„Und in dieser Frage bin ich natürlich ein wesentlicher Ansprechpartner für die europäischen Institutionen.“ Als Lobbyist will sich Beyrer selbst dezidiert nicht sehen: Er vertrete wirtschaftspolitische Positionen und engagiere nicht etwa eine Anwaltskanzlei, um die Zulassung eines bestimmten Produktes auf dem europäischen Markt durchzusetzen. Er bedaure, dass hier allgemein nicht klarer unterschieden werde.
„An der Spitze der Transparenzpyramide“
Nach Ansicht Beyrers ist das politische Geschehen auf der europäischen Bühne bereits gut nachvollziehbar: „Hier in Brüssel sind wir fast an der Spitze der Transparenzpyramide“, so der Businesseurope-Chef, der einen Vergleich mit Österreich vermeidet. Er betont, dass seine Gruppe eine der ersten gewesen sei, die sich in das Transparenzregister eingetragen habe.
Grundsätzlich sei er für Transparenz: „Wir finden das auch gut.“ Doch in der Folge kritisiert Beyrer jene zivilgesellschaftlichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich selbst als Lobby gegen einen zu starken Einfluss der Wirtschaftslobby bezeichnen würden.
„Was mich immer ein bisschen amüsiert, ist, dass - egal, was man macht - es nie genug ist“ und sofort noch mehr Offenlegung gefordert werde. Er habe damit auch kein Problem. Dann solle man aber zunächst die „Balance“ bei den bereits jetzt in Kraft befindlichen Regeln herstellen, so Beyrer.
Kritik auch an NGOs
Konkret wirft er den Transparenz-NGOs vor, im Transparenzregister nicht anzugeben, wer sie finanziere - etwas, das Wirtschaftsverbände sehr wohl tun würden. Ein Blick ins Transparenzregister - etwa bei Transparency International und Greenpeace - widerlegt diese Behauptung allerdings.
Beyrer stellt aber indirekt auch deren Legitimität infrage: „Bei denen, die die Dinge manchmal etwas kritisch sehen, stellt sich oft die Frage: Wo ist die Repräsentativität? Für wen wird hier überhaupt gesprochen und warum?“, so der Wirtschaftsvertreter, der seiner Organisation im Gegenzug bescheinigt, „mit Fug und Recht für die gesamte europäische Wirtschaft“ zu sprechen.
Auf Nachfrage, ob er damit NGOs wie Transparency kritisiere, antwortet Beyrer ausweichend. „Das zielt auf niemanden speziell ab, und ich kritisiere niemanden.“ Aber: „Ich kenne das Thema schon lange.“ Und wenn die NGOs mehr Transparenz forderten, rufe man bei ihm an und frage, was er dazu sage. „Und ich sage: Das ist ‚Business as usual‘.“
„Sowieso kein Geheimnis“
Beyrer betont, Businesseurope werde auch etwaige zusätzliche Auflagen selbstverständlich einhalten. Man müsse aber „die Kirche im Dorf“ lassen, mit zusätzlichen Offenlegungspflichten sei auch zusätzliche Bürokratie verbunden. Und es sei ja in Wahrheit kein Geheimnis, wer mit wem rede, findet Beyrer. Businesseurope veröffentliche sowieso alle Treffen, die er mit EU-Vertretern habe, auf der eigenen Website.
Die „Cash-for-Laws“-Affäre
Vor allem die „Cash-for-Laws“-Affäre erschütterte Brüssel 2011. Mehrere EU-Abgeordnete, unter ihnen auch der Österreicher Ernst Strasser, erklärten sich gegenüber britischen Journalisten, die sich als Lobbyisten ausgaben, offenbar bereit, sich gegen Geld für bestimmte Gesetzesänderungen stark zu machen. Der Skandal brachte Bewegung in die Bemühungen, Kommissaren und Abgeordneten striktere Verhaltensregeln aufzuerlegen und den Zugang von Lobbyisten zu EU-Vertretern stärker zu regeln.
„Thema, mit dem ich mich nicht beschäftige“
Damit ist allerdings nicht abgedeckt, was Transparency International und Alter-EU immer wieder kritisieren: die untere Ebene, auf der die technischen Gespräche und Verhandlungen stattfinden - und auf denen ihrer Ansicht nach die Weichen gestellt werden.
Die Zusammensetzung der Arbeitsgruppen - in denen inhaltliche Vorarbeiten für Gesetzesvorschläge der Kommission gemacht werden und in denen sich häufig Wirtschaftsvertreter deutlich in der Überzahl befinden - ist ein konkreter Streitpunkt. Danach gefragt, ob er für eine ausgewogenere Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppen sei, sagt Beyrer im ORF-Interview: Das sei „kein Thema, mit dem ich mich zentral beschäftige“.
Beyrer betont auch, dass es seltsam wäre, wenn Kommission und Parlament nicht mit der Wirtschaft reden würden - angesichts dessen, dass sich ein großer Teil der Regeln des Binnenmarkts etwa direkt an Unternehmen richte, die diese auch umsetzen müssten. Und: Mindestens die Hälfte der Treffen würden gar nicht von ihm oder Businesseurope initiiert - vielmehr kämen Kommission, Parlament und Rat von sich aus auf den Verband zu.
Prinzipielle Zweifel
Businesseurope sei immer für Offenheit gewesen, so Beyrer abschließend. Für ihn gibt es keinen anderen Willensbildungsprozess, wo „das Level (an Transparenz, Anm.) so hoch ist wie hier“. Der Österreicher Beyrer ist aber skeptisch, dass das Vertrauen in die EU durch ein Mehr an Transparenz bei der Entscheidungsfindung gestärkt werden kann.
Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus Brüssel
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