Kroatien vom Andrang überfordert
Donnerstagabend hat die erste große Gruppe von Flüchtlingen aus Kroatien die Grenze zu Slowenien erreicht. Rund 300 Personen kamen mit dem Zug Belgrad - Ljubljana am Grenzübergang Dobova an und wurden dort von der Polizei aufgehalten, berichtete das slowenische Fernsehen TV Slovenija. Rund die Hälfte soll wieder zurückgeschickt werden.
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Nur Personen mit gültigen Dokumenten wurde die Weiterreise gestattet. Polizeisprecher Anton Stubljar erklärte, rund 150 Menschen seien vorläufig in drei Waggons auf dem Bahnhof untergebracht worden. Man warte nun auf die Bereitstellung eines Zuges durch die kroatischen Behörden. Unklar war jedoch am Abend, ob Kroatien die Flüchtlinge wieder einreisen lassen wird. Medienberichten zufolge kam es auch zu verbalen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Slowenien stellte am Abend den Zugsverkehr auf der Hauptstrecke aus Kroatien ein. „Der Personenverkehr fährt derzeit nicht“, bestätigte eine Polizeisprecherin. Die slowenische Regierung hatte zuvor mehrere Male beteuert, das EU-Recht konsequent anzuwenden. „Wenn die Flüchtlinge beim Grenzübergang ohne Dokumente ankommen, werden wir sie zurückweisen“, betonte eine Polizeisprecherin laut Nachrichtenportal 24ur.com.
Viele zu Fuß unterwegs
Laut TV Slovenija kam am Nachmittag eine kleine Flüchtlingsgruppe auch an den Grenzübergang Obrezje. Fünf Syrier erreichten mit Autostopp die Grenze auf der Autobahn Zagreb - Ljubljana. Sie wurden allerdings bereits von der kroatischen Polizei, die zusammen mit slowenischen Kollegen die Schengen-Kontrollen durchführt, abgewiesen. Die Syrier wurden in Kroatien nicht registriert, hieß es. Am Abend kamen mehrere Dutzend Flüchtlinge an diesem Grenzübergang an, sie würden derzeit geprüft, so Medien.
Die Schutzsuchenden, die an der slowenischen Grenze ankamen, sind ein Teil einer größeren Gruppe von 500 Personen, die laut kroatischen Medienberichten überwiegend zu Fuß aus Zagreb aufgebrochen war. Slowenien liegt nur 30 Kilometer von der kroatischen Hauptstadt entfernt.

Reuters/Antonio Bronic
Hunderte warten im kroatischen Tovarnik auf die Weiterreise
9.200 Flüchtlinge an einem Tag
Damit bestätigen sich die Prognosen, wonach die Flüchtlinge, die wegen der Grenzsperre Ungarns Richtung Serbien seit Mittwoch vermehrt nach Kroatien kommen, versuchen werden, ihren Weg über Slowenien fortzusetzen. Nach Angaben des kroatischen Innenministeriums kamen seit Mittwoch mehr als 9.200 Flüchtlinge in das Land. Kroatische Behörden betonen, die Kapazitäten für die Unterbringung der Flüchtlinge seien ausgelastet.
Laut Innenminister Ranko Ostojic wird Kroatien möglicherweise doch gezwungen sein, seine Grenzen zu schließen, sollte wieder eine so große Zahl an einem Tag ins Land kommen. „Wir können keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen." Allen Schutzsuchenden werde von der Grenze zu Serbien die Weiterfahrt zu Registrierungszentren rund um die Hauptstadt Zagreb ermöglicht. Jene Ausländer, die kein Asyl beantragen wollten, würden aber als illegal eingereiste Immigranten angesehen.

AP/Marko Drobnjakovic
Vor allem Kinder litten am Donnerstag unter der Hitze
„Korridor“ wird zur Sackgasse
„Als wir erklärt haben, wir würden Korridore (für Flüchtlinge) einrichten, meinten wir einen Korridor von Tovarnik nach Zagreb“, nahm er bei einem Besuch des Grenzorts zu Serbien Bezug auf die zunächst angekündigten Weitertransport der Flüchtlinge. Er suggerierte damit, Kroatien werde Flüchtlingen nicht die Weiterreise an die Grenze zu Slowenien erlauben.
Die Idee eines „Korridors“ war vom kroatischen Regierungschef Zoran Milanovic am Mittwoch in Zagreb vorgestellt worden. Aus Serbien einreisende Migranten dürften sein Land passieren, erklärte Milanovic. Sollte es notwendig werden, werde in Absprache mit Slowenien ein Korridor in Richtung Österreich eingerichtet, bestätigte auch Ostojic am Mittwoch. Noch am Abend hatte die slowenische Innenministerin Vesna Györkös Znidar ein solches Vorhaben jedoch dementiert.
„Dinge geraten außer Kontrolle“
In Tovarnik herrschten am Donnerstag chaotische Zustände. „Bis zu einem gewissen Grad geraten die Dinge außer Kontrolle, weil die Menschen illegal unsere Grenze überqueren“, warnte Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic am Donnerstag und rief den Nationalen Sicherheitsrat ein. Die Armee solle sich für einen eventuellen Grenzschutz bereithalten, habe die Oberbefehlshaberin verlangt, berichtete die Zeitung „Jutarnji list“.

Reuters/Antonio Bronic
Viele Flüchtlinge machen sich zu Fuß auf den Weg durch Kroatien
Kroatien stoppt Verkehr nach Serbien
„Die Lage ist grauenvoll“, beschreibt Gemeindevorsteherin Ruza Sijakovic die Situation in ihrer Heimatstadt. Es seien viermal mehr Flüchtlinge in der kleinen Gemeinde als Einwohner. Auch Landrat Bozo Galic sieht eine „echte humanitäre Katastrophe“. Die Menschen marschierten einfach quer durch die Maisfelder über die grüne Grenze. „Alle Pläne der Regierung sind hier heute Morgen als nicht existent ins Wasser gefallen“, so Galic.
Polizisten setzten eine größere Flüchtlingsgruppe auf dem Bahnhof fest, weil sie zu Fuß nach Zagreb aufbrechen wollte. Es kam zu einem Handgemenge, bei dem mehrere Personen verletzt und ohnmächtig geworden seien, berichteten Augenzeugen. Die Beamten mussten die Menschen schließlich weiterziehen lassen. Die Regierung schickte daraufhin wieder Züge in die Region. Am Abend sperrte Kroatien die Straßen zu sieben Grenzübergängen nach Serbien.
Faymann zu Besuch in Kroatien und Slowenien
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) besuchte am Donnerstag Kroatien und Slowenien. Gemeinsam mit seinem kroatischen Amtskollegen betonte er, dass die Gesetze und Regeln laut Dublin-Verordnung eingehalten werden müssten. Mit Sloweniens Regierungschef Miro Cerar sprach Faymann über verstärkte Kooperation und Solidarität unter den EU-Staaten.
Faymann besucht Nachbarländer
Die meisten Menschen an der serbisch-kroatischen Grenze wollen nach Deutschland und Österreich. Deshalb ist heute Bundeskanzler Faymann (SPÖ) nach Kroatien und Slowenien gereist.
„Wir können keine humanitären Lösungen mehr zustande bringen, wenn wir nicht an der Wurzel, am Beginn, auch am Beginn unserer Außengrenze, radikale und sofortige Maßnahmen setzen“, sagte Faymann. Ihm zufolge bedarf es der Schaffung einer gemeinsamen EU-Außenpolitik, um die Flüchtlingslager in Jordanien, im Libanon und in der Türkei zu finanzieren. Dort müssten materielle Voraussetzungen und menschenwürdige Bedingungen geschaffen werden, damit die Menschen dort auch bleiben könnten.
Ungarn weitet Krisenfall auf Grenze zu Kroatien aus
Ungarn weitete am Donnerstag den Krisenfall auf die südwestungarischen Bezirke Baranya und Somogy aus, die an der Grenze zu Kroatien liegen. Das gab der ungarische Außenminister Peter Szijjarto am Donnerstagabend in Budapest bekannt. Nach Angaben des regionalen Internetportals Bama.hu waren am selben Tag rund 200 Flüchtlinge aus Kroatien nach Ungarn gekommen. „Kroatien ist für den Beitritt zur Schengen-Zone ungeeignet“, attackierte Szijjarto das EU-Nachbarland.
Ungarn hatte am Dienstag den Flüchtlingskrisenfall für die südöstlichen Bezirke Bacs-Kiskun und Csongrad ausgerufen und die Grenze zu Serbien für Flüchtlinge abgeriegelt. Seitdem versuchen Tausende Asylbewerber aus Nahost und Südasien, über Kroatien in den Westen zu gelangen. Die meisten von ihnen visieren eine Route an, die über Slowenien nach Österreich führt. Die Regierung verlegte eine verstärkte Kompanie an die slowenisch-steirische Grenze.
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