Im Nahen Osten fehlen die Mittel
Europa stöhnt unter der Last der großen Zahl an Flüchtlingen und ist sich nicht gewiss, wie viele Schutzsuchende es in den kommenden Monaten noch aufnehmen kann. Man müsse mehr Hilfe an Ort und Stelle leisten, lauten Forderungen von Politikern. Geht man nach dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR), dann sind im Moment deshalb so viele Menschen auf der Flucht, weil sie in den Nachbarländern nur unzureichend versorgt werden. Und seit Monaten schlägt das UNHCR Alarm, dass man auf zugesagte Hilfsgelder warte.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Dass immer mehr Flüchtlinge aus Syrien wegen der unzureichenden Versorgung in benachbarten Ländern den Weg nach Europa anträten, unterstrich erst diese Woche einmal mehr UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming in Genf. Das für die Flüchtlingsversorgung zuständige Welternährungsprogramm der UNO (World Food Programme, WFP) klagt über unzureichende Mittel. Viele Staaten würden erbetene und teils sogar fest zugesagte Hilfsgelder nicht überweisen, moniert WFP-Sprecherin Bettina Lüscher.

picturedesk.com/Eyevine/Xu Jinquan Xinhua
UNHCR-Sprecherin Fleming appelliert an Staaten, mehr Mittel direkt für den Nahen Osten bereitzustellen
Kluft zwischen Zusage und eingetroffenen Mitteln
Insgesamt sollen erst 37 Prozent der von den Vereinten Nationen Anfang des Jahres für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge in der Region erbetenen 4,5 Milliarden Dollar (3,98 Mrd. Euro) überwiesen worden sein. Das Factbook zum Refugee Resiliance Plan zeigte im August auch ein klaffendes Loch zwischen den freiwillig zugesagten Unterstützungen und den tatsächlich eingelangten Mitteln.

Factbook Refugee Resiliance Plan
In Jordanien habe das WFP den Wert der Lebensmittelgutscheine für 211.000 bedürftige Flüchtlinge auf 14 Dollar pro Person und Monat halbieren müssen. Im Libanon seien 638.000 Flüchtlinge von einer ähnlichen Halbierung der Hilfe betroffen. „Die mangelhafte Finanzierung trägt dazu bei, dass Menschen Richtung Europa ziehen.“
Hunderttausende wollen nach Europa
Hunderttausende Flüchtlinge könnten in den nächsten Monaten noch versuchen, nach Europa zu gelangen, weil Länder wie etwa die Türkei nicht ausreichende Betreuung der Flüchtlinge gewährleisten können.
Neue Zusagen von der EU
Die EU-Kommission hat erst am Dienstag verkündet, dass man „bisher rund 3,9 Milliarden Euro“ zur Verfügung gestellt habe, um den Opfern des Krieges zu helfen. Das Geld werde sowohl in Syrien selbst als auch in den Flüchtlingsaufnahmeländern Libanon, Jordanien, Irak, Türkei und Ägypten eingesetzt.
Für die kommenden zwei Jahre seien weitere 1,1 Milliarden Euro zur Bewältigung der humanitären Katastrophe in Syrien, dem Irak und in den Nachbarländern zugesagt.
Wer gibt dem UNHCR wie viel?
Blickt man in die statistischen Aufstellungen des UNHCR, dann sind die Hilfsleistungen einzelner Staaten, vor allem jener Österreichs, durchaus ausbaufähig.

UNHCR.org
Laut der Geldgeberliste für 2015, die das UNHCR veröffentlicht hat (Ende Juni 2015), ist Österreich für 2015 auf Platz 38 in der Unterstützung mit 1,53 Mio. Dollar (1,35 Mio. Euro). Das im Vergleich ähnlich große Schweden gibt dagegen mehr als 100 Millionen Dollar aus, das im Ranking der Topspender als Einzelland knapp hinter der EU als Gesamtunterstützer in diesem Jahr landet (UNHCR listet alle Geberbeträge in Dollar auf, Anm.).
Grüne: Österreich säumig
Die Grünen sehen Österreich bei den Zahlungen an das World Food Programme (WFP) säumig. Dessen Hilfe für Flüchtlinge in der Region sei bereits „zusammengebrochen“, so Sicherheitssprecher Peter Pilz am Donnerstag. Da dürfe man sich nicht wundern, dass die Menschen in den Westen kommen. Von Österreich habe es heuer bisher „null“ gegeben, im Sicherheitsrat will Pilz nun 50 Millionen Euro beantragen.
Die internationale Gemeinschaft habe sich auf insgesamt 5,4 Milliarden US-Dollar für das Welternährungsprogramm 2015 geeinigt, nur 37 Prozent seien bisher eingetroffen. Für die Versorgung der Flüchtlinge etwa in Jordanien, der Türkei und dem Libanon brauche das WFP bis Jahresende noch mindestens 341 Millionen US-Dollar (303 Mio. Euro). Doch von Österreich sei bisher kein Cent überwiesen worden, kritisierte Pilz.
Außenministerium für gezielte Aufstockung
Im Außenministerium bezeichnete man diese Aussagen als „totale Falschinformation“. Das Landwirtschaftsministerium gebe jährlich 1,7 Millionen Euro für Nahrungsmittelhilfe aus, „für Syrien wurden davon heuer bisher 400.000 Euro ins World Food Programme beschlossen“.
Gegenüber ORF.at verwies man im Außenministerium darauf, dass die Hilfsmittel gerade für die Krisenregion erhöht würden. Österreich wolle, so verkündete man am Freitag via Aussendung, fast zwei Millionen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds für die humanitäre Hilfe in Auffangzentren für Flüchtlinge in Syrien und den Nachbarstaaten bereitstellen. 500.000 Euro davon wären nach den Vorstellungen von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) für die UNHCR-Betreuung in der Türkei vorgesehen, 500.000 Euro für ein Zentrum für Binnenflüchtlinge in Syrien, 500.000 Euro für nicht staatliche Flüchtlingshilfsorganisationen im Libanon und 250.000 Euro für das UNO-Entwicklungsprogramm (UNDP) zur Wiederansiedlung im Irak.
Nach Schätzungen des Außenministeriums kann man damit rund 40.000 Menschen in der Region unterstützen. Österreich will seinen Auslandskatastrophenfonds von fünf auf 20 Millionen Euro pro Jahr aufstocken, versprach man im Außenministerium. Schaut man in die detaillierte Spendenstatistik des UNHCR nach Land, dann war Österreich 2013 zwischenzeitlich mit fünf Mio. Dollar an Hilfe auf Platz 25 der „Top Donors“. Grund damals: eine Sonderausschüttung. Sonst belief sich die jährliche Unterstützung auf ihm Schnitt 2,8 Mio. Dollar.
Gespräch mit Türkei-Experten Gerald Knaus
Wie realistisch ist es, dass sich in den nächsten Monaten 500.000 bis eine Million Menschen aus der Türkei auf den Weg Richtung Europa machen? Abschottung wird nicht funktionieren, meint Türkei-Experte Gerald Knaus.
Anhaltende Fluchtbewegung
Laut UNHCR sind vor dem Bürgerkrieg in Syrien bereits mehr als vier Millionen Menschen in andere Länder geflohen. Rund 1,8 Millionen von ihnen wurden in der Türkei registriert, etwa 1,2 Millionen im Libanon, rund 630.000 in Jordanien, 250.000 im Irak und knapp 160.000 in Ägypten. Die Zahl der innerhalb Syriens geflüchteten Menschen wird auf 7,6 Millionen geschätzt.
Gerald Heidegger, ORF.at
Links: