Themenüberblick

Steinewerfen und Tränengas

Das Sondertreffen der EU-Landwirtschaftsminister löst den Streit darüber, wie den Milchbauern angesichts der in den Keller gefallenen Preise geholfen werden soll, nicht. Aber immerhin gibt es eine Zusage über 500 Millionen an Soforthilfe für die Bauern, um diese vor dem Ruin zu retten.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Das kurzfristig zur Verfügung gestellte Geld könne unter anderem für zinsgünstige Darlehen und die Stabilisierung der Märkte genutzt werden, teilte die Brüsseler Behörde am Montag am Rande des EU-Krisentreffens mit.

Grund für die Krise ist der dramatische Preisverfall bei Milch seit Aufhebung der Milchquote am 1. April. Die Hauptursache ist aber laut Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP) nicht ein massiver Anstieg der Produktion, sondern das russische Einfuhrverbot für europäische Agrarprodukte als Gegenmaßnahme für die EU-Sanktionen im Rahmen der Ukraine-Krise.

„Keine Berufsdemonstrierer“

Rupprechter lobte die Kommission für die 500 Mio. Euro. Das sei in wirtschaftlich schwierigen Zeiten „keine Selbstverständlichkeit“. Auf die Frage, ob die heimischen Bauern mit dem Ergebnis zufrieden sein werden, meinte Rupprechter: Wenn es gelinge, sie zu überzeugen, würden sie nicht auf die Straße gehen - Bauern seien schließlich „keine Berufsdemonstrierer“.

Bauernproteste in Brüssel

APA/AP/Geert Vanden Wijngaert

Die Bauernproteste legten ganz Brüssel lahm

„Viele offene Fragen“

Rupprechter betonte, dass rund um das Geldpaket noch viele Frage offen seien. Einerseits sei noch völlig unklar, welches Land welchen Anteil von dem Kuchen bekomme - und das werde voraussichtlich erst nächste Woche bei einem informellen Agrarministerrat in Luxemburg feststehen.

Den Schaden für die heimischen Bauern seit 1. April, als die Milchquote aufgehoben wurde, beziffert Rupprechter mit 100 Mio. Euro. So viel Geld wird es von der EU jedenfalls nicht geben, stellte der Landwirtschaftsminister, der wegen der sich hinziehenden Verhandlungen seinen Rückflug auf Dienstag verschob, am Abend in Brüssel klar.

Stephane Le Foll, Isabel Garcia Tejerina, Andra Rupprechter und Willy Borsus

APA/EPA/Olivier Hoslet

Lächeln für die Kameras - doch in der Sache gibt es reichlich Zwist

Rupprechter fordert Erleichterung

Konkret seien Vorschusszahlungen im Rahmen der Einzelbetriebsprämie und für Direktzahlungen für die Programme ländlicher Entwicklung vorgesehen, die etwa zur Bedienung von laufenden Betriebskrediten verwendet werden könnten. Rupprechter fordert hier aber noch eine Änderung des Kommissionsvorschlags. Denn nur wenn dieses Geld unbürokratisch und rasch ausbezahlt werden könne, bringe es etwas.

Bauernproteste in Brüssel

APA/EPA/Olivier Hoslet

Die Bauern hielten mit ihrer Wut nicht hinterm Berg

Die Kritik, dass die 500 Mio. nicht wirklich frisches Geld seien, sondern von einem bestehenden Topf genommen würden, wies Rupprechter zurück. Die Kommission werde dafür auch das Budget adaptieren müssen.

Für höheren Mindestpreis

Rupprechter sprach sich eindeutig für die befristete Anhebung der sogenannten Interventionspreise aus - das sind von der EU festgelegte garantierte Mindestpreise für bestimmte Agrarprodukte. Dafür gebe es im EU-Rat auch eine qualifizierte Mehrheit, betonte Rupprechter - doch die Kommission stemme sich dagegen. Sie befürchtet offenbar, dass durch diese Hintertür die Milchquote wieder eingeführt werden könnte.

Positiv sieht Rupprechter zudem, dass auch die EU-Kommission nun verstehe, dass kontrolliert werden müsse, dass durch die hohe Konzentration im Lebensmittelsektor nicht diese einseitig den Preis bestimmen können. In Österreich forderte der Bauernbund zuletzt eine Agrarmarkt-Control - also eine Wettbewerbsbehörde für landwirtschaftliche Produkte.

Gratismilch für Flüchtlinge

Positiv sei, dass die EU-Kommission die Vorschläge zur Absatzförderung aufgegriffen habe. Der Absatz von Milch soll dabei auch durch Abgabe von Milchprodukten und Babynahrung an die Flüchtlinge gefördert werden, sagte Rupprechter. Die verbilligte und kostenlose Abgabe von Lebensmittel an die am meisten bedürftigen Menschen sei ein durchaus sinnvolles Instrument mit dem doppelten Effekt einer Marktentlastung und der Hilfe.

Bauernproteste in Brüssel

APA/EPA/Laurent Dubrule

Teilweise kam es auch zu Zusammenstößen mit der Polizei

Übrigens: Mittelfristig sind die Perspektiven laut Landwirtschaftsminister „sehr positiv“. Eine - noch - stärkere Ökologisierung ist für Rupprechter eine „Zukunftsperspektive“ und möglicher Weg für Bauern aus der Krise, denn die Preise für Biomilch sind nicht gefallen, sondern zum Teil sogar gestiegen.

Heftige Bauernproteste

Mit heftigen Protesten hatten Europas Bauern den Politikern im Brüsseler Europaviertel eingeheizt. Hunderte Traktoren und Tausende wütende Landwirte blockierten am Montag das Viertel rund um die wichtigsten EU-Institutionen. Hupkonzerte und Böller sowie Eierwürfe unterstrichen die Forderungen der Landwirte, von denen viele aus Deutschland kamen. Das Sondertreffen der EU-Agrarminister wurde von der Polizei geschützt.

Am Nachmittag kam es vereinzelt auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Landwirte warfen Flaschen und Pflastersteine auf die Polizisten, meldete die belgische Nachrichtenagentur Belga. Die Beamten setzten daraufhin Tränengas ein. Löschfahrzeuge waren im Einsatz, um brennende Heuhaufen zu löschen und Gruppen radikaler Landwirte zu zerstreuen.

Seit den frühen Morgenstunden demonstrierten Bauern aus ganz Europa: „Bauern brauchen einen fairen Preis - 40 Cent pro Liter Milch“ und „Der Milchmarkt brennt, die Politik pennt!“, hieß es auf Plakaten. Es sei die dritte Krise in sechs Jahren, schimpfte Manfred Gilch, Milchbauer aus Bayern. „Jedes Mal ist es die gleiche Situation. Jedes Mal läuft der Markt über, weil die Produktion über der Nachfrage liegt“, sagte Gilch nahe dem Gebäude des EU-Ministerrats. Der Dachverband European Milk Board warnte die Minister: „Eure Politik vernichtet die Milchbauern.“

„Verlieren Geld beim Melken“

Den Einnahmen von 29 Cent pro Liter stünden Produktionskosten von 45 bis 50 Cent gegenüber, sagte Gilch, der zugleich Landesvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM) ist.

Remy Hulin, der bereits im Ruhestand ist, reiste aus dem französischen Calvados an. „Es gibt Hunderte Selbstmorde in der Zucht, das ist das Ergebnis einer desaströsen Landwirtschaftspolitik“, sagte er. „Jeden Morgen steht man auf und verliert beim Melken unserer Kühe Geld“, meinte Jacky, der sich nur mit Vornamen vorstellte und ebenfalls aus Calvados in die EU-Hauptstadt kam, um die Politiker unter Druck zu setzen.

Links: