„Kein Lager, kein Lager“
Kurz nach der Abfahrt aus Budapest sind insgesamt zwei Züge mit Hunderten Flüchtlingen in der Nähe eines der größten Aufnahmelager Ungarns wieder gestoppt worden. Wie die amtliche ungarische Nachrichtenagentur MTI meldete, wurden die Menschen von der Polizei angewiesen, die Züge in Bicske rund 40 Kilometer westlich von Budapest zu verlassen.
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Die Flüchtlinge sollen mit Bussen in das nahe gelegene Aufnahmelager gebracht werden. Der Großeinsatz der ungarischen Polizei wurde von tumultartigen Szenen begleitet. Einem Reuters-Reporter zufolge schlugen die aus dem Zug gebrachten Flüchtlinge gegen die Fenster und riefen „Kein Lager, kein Lager“.

Reuters/Laszlo Balogh
Flüchtlinge legten sich aus Protest auf die Gleise
Mehrere Flüchtlinge, die sich auf die Gleise gelegt hatten, um gegen ihren Transport in das Auffanglager zu protestieren, seien festgenommen worden. Am frühen Nachmittag wurde das Bahnhofsgelände zum Einsatzgebiet erklärt. Die Polizei setzte nach Angaben eines Reuters-Reporters auch Schlagstöcke ein, um Journalisten vom Bahnhofsgelände zu vertreiben.
Heftige Proteste auf dem Bahnhof
MTI zufolge weigerten sich rund 100 Migranten, die bereitgestellten Busse zu besteigen. Zahlreiche Flüchtlinge drängten zurück in den Zug, andere versammelten sich in der Unterführung des Bahnhofs, von wo sie durch die Polizei zurück auf den Bahnsteig gedrängt wurden. Zuvor hatte ihnen die Polizei mittels Dolmetscher erklärt, dass sie ohne gültige Reisedokumente nicht in den Westen fahren könnten.

APA/AP/Petr David Josek
Proteste auf dem Bahnhof Bicske gegen den Transport in das Auffanglager
„Trick der Regierung“
Der erste Zug war bereits am frühen Vormittag in Richtung der Grenze zu Österreich abgefahren. Auf Anzeigetafeln hieß es, er werde während der Fahrt getrennt: Drei Waggons sollten nach Szombathely und der Rest nach Sopron fahren. Beide Städte liegen an der westlichen Grenze Ungarns zu Österreich.
Ein freiwilliger Helfer im Budapester Ostbahnhof, Marton Bisztrai, kritisierte die ungarischen Behörden scharf. „Ich denke, das war ein Trick der Regierung, der Polizei und der Bahngesellschaft. Der Zug sah so aus, als würde er nach Deutschland fahren“, sagte er der Agentur AFP. „Sie wollen auf Teufel komm’ raus die Leute hier weg haben und ins Lager bringen. Ich denke, das war ein sehr zynischer Trick.“

APA/ORF.at
Auch der zweite Zug nach Györ war kurz vor der geplanten Abfahrt bis auf den letzten Platz gefüllt - viele verließen den Zug allerdings wieder, nachdem das Gerücht die Runde gemacht hatte, er würde die Migranten in ein Lager bringen.
Faymann bestellt Ungarns Botschafter ein
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) zitiert für Freitag den ungarischen Botschafter ins Kanzleramt. Anlass sind diplomatische Spannungen wegen des Themas Flüchtlinge. „Die Genfer Menschenrechtskonvention ist von allen Staaten der EU zu respektieren“, sagte Faymann laut einer Aussendung des Kanzleramts am Donnerstag. „Asyl ist ein Menschenrecht, das in allen Staaten der Europäischen Union gilt“, so der Bundeskanzler, „genauso wie auch ein gemeinsamer Grenzschutz mit koordinierter Registrierung und eine faire Verteilung von flüchtenden Menschen auf alle Länder gelten sollte.“
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) trifft am Freitag angesichts der Flüchtlingskrise seinen ungarischen Amtskollegen Peter Szijjarto am Rande eines EU-Ministertreffens in Luxemburg zu einer Aussprache. Das sagte ein Sprecher am Donnerstag der APA. Auf die Frage nach der Botschaft, die Kurz Szijjarto überbringen wolle, erklärte der Sprecher: „Die Genfer Konvention gilt für alle“.
Ungarische Bahn wurde im Vorfeld informiert
Die MAV war eigenen Angaben zufolge darüber informiert, dass die Polizei Flüchtlinge aus insgesamt zwei Zügen Richtung Sopron und Györ holen würde. Das bestätigte MAV-Vertriebsdirektor Marton Feldmann gegenüber der APA in Budapest. Verantwortlich sei jedoch die Politik, diese würde durch die „Kontrollen“ europäischem Recht nachkommen. Bei den in Bicske gestoppten Zügen handelte es sich laut Feldmann allerdings nicht um Sonderzüge, sondern um reguläre Verbindungen. Der Zug nach Sopron habe in Bicske zudem einen regulären Halt gehabt, jener nach Györ sei von der Polizei außerplanmäßig gestoppt worden.
Keleti wird nicht mehr angefahren
Die deutsche, tschechische und die private polnische Bahngesellschaft PKP haben indes angekündigt, den Ostbahnhof in Budapest nicht mehr ansteuern zu wollen. Die Deutsche Bahn (DB) teilte auf ihrer Website mit, dass die Eurocity-Züge, die normalerweise zwischen Budapest, Wien, Salzburg und München verkehren, derzeit am ungarischen Grenzort Hegyeshalom starten und enden.
Die Tschechische Eisenbahn (CD) teilte mit, dass die internationalen Eurocity-Zugverbindungen von Berlin über Prag nach Budapest seit Donnerstagvormittag im ungarischen Grenzbahnhof Szob beginnen oder enden. In Szob müssten die Reisenden in Regionalzüge umsteigen. Auch die Verbindungen von Polen nach Ungarn endeten auf Bitte der ungarischen Bahn am Grenzbahnhof Szob, teilte die polnische Bahngesellschaft PKP Intercity mit.
ÖBB erwarten keine weiteren Flüchtlinge
In Wien werden laut Polizei am Donnerstag keine Züge mit Flüchtlingen mehr erwartet. Nach Angaben der Polizei kamen am Donnerstag im Laufe des Tages 40 Flüchtlinge auf den Wiener Bahnhöfen an.
Die ÖBB rechneten überhaupt mit keinen Fahrgästen aus Ungarn mehr. Zwar soll der Nachtzug von Budapest nach Wien laut Angaben der ungarischen Bahn starten, allerdings wurde den ÖBB angekündigt, dass dieser bis zum Grenzbahnhof Hegyeshalom leer geführt wird, sagte ÖBB-Sprecher Michael Braun.
Ein weiterer Zug ist zwar von Budapest Richtung Graz gestartet. „Laut Ungarischen Staatsbahnen entfällt dieser Zug zwischen Szombathely und Szentgotthard“, sagte Braun. Ein Ersatzzug der ÖBB wird dann nach Szentgotthard geschickt.
Keleti wieder geöffnet
Erst in der Früh war der zuvor zwei Tage für Flüchtlinge gesperrte Budapester Ostbahnhof von der Polizei überraschend wieder geöffnet worden, woraufhin Hunderte in den Bahnhof und in Richtung eines dort wartenden Zuges drängten. Der Platz vor dem Eingangsbereich, wo in den vergangenen Tagen rund 3.000 Menschen ausharrten, habe sich Reuters zufolge in kürzester Zeit geleert.

Reuters/Laszlo Balogh
Nach der Öffnung des Bahnhofes kam es zu chaotischen Szenen
Lautsprecherdurchsagen zufolge sollte es allerdings für unbestimmte Zeit keine internationalen Zugsverbindungen geben. „Im Interesse der Sicherheit im Bahnverkehr hat das Unternehmen entschieden, dass bis auf Weiteres keine Direktverbindungen von Budapest nach Westeuropa angeboten werden“, teilte die Ungarische Bahn MAV mit.

Reuters/Bernadett Szabo
Flüchtlinge warteten auf die Abreise Richtung Westen
Kurz vor Mittag fuhr schließlich ein erster Sonderzug Richtung Österreich ab, der Flüchtlinge ursprünglichen Meldungen zufolge über Sopron nach München bringen sollte. Ein zweiter Zug sei auf dem gegenüberliegenden Gleis bereitgestellt - auch dieser sollte laut MAV-Mitarbeitern am Donnerstag Richtung Sopron fahren.
ÖBB über Vorgangsweise verwundert
Auch ÖBB-Sprecher Braun sprach gegenüber der APA von einem Richtung Sopron fahrenden Sonderzug. Offiziell sei man von Ungarn nicht über den Zug informiert worden. „Es wäre kein Problem, wenn der Zug ganz normal nach Hegyeshalom fahren würde", sagte Braun. „Dort befinden sich auch unsere railjets, die Fahrgäste könnten ganz normal umsteigen. Warum der Zug jetzt nach Sopron fährt, wissen wir nicht.“

Reuters/Laszlo Balogh
Hunderte suchten einen Platz in einem im Bahnhof abgestellten Sonderzug
Die MAV verteidigte unterdessen ihre Einschränkung des internationalen Zugsverkehrs. Die Flüchtlinge würden den sicheren Zugsverkehr auf dem Budapester Ostbahnhof behindern und Zugstickets fälschen, erklärte MAV-Generaldirektorin Ilona David am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in dem Bahnhof.
Die MAV habe versucht, das Reiseniveau auf dem Bahnhofsgelände sicherzustellen, was jedoch wegen der Migranten unmöglich sei. Diese hätten das Besteigen der Züge und die Kontrolle der Bremsanlagen behindert, wobei auch die Türen der Züge nicht geschlossen werden konnten, zitierten Medien David und sprachen von Erklärungsnöten der MAV.
Keleti am Dienstag gesperrt
Der Budapester Ostbahnhof war seit Dienstag für Flüchtlinge gesperrt. Nachdem die Polizei die Kontrollen am Montag aufgegeben hatte, hatten mehrere tausend Flüchtlinge die Reise nach Wien und München angetreten. Am Dienstag hatten die ungarischen Behörden den Bahnhof dann geräumt. Bis Donnerstag ließen sie keine Migranten mehr in das Gebäude.
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