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Die ausführliche Revision des „Revisors“

Alvis Hermanis geht zurück an den Beginn seiner internationalen Karriere: Mit „Der Revisor“ hat der lettische Regisseur 2003 den Nachwuchsbewerb Young Directors Project der Salzburger Festspiele gewonnen. Für das Burgtheater unterzog er seine Inszenierung von damals einer gründlichen Revision und pumpte sie mit Starbesetzung gleich in mehrerlei Hinsicht noch weiter auf: dicke Menschen, dicke Hühner, Überlänge.

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Gerade erst war er da, der Finanzprüfer im Burgtheater, und er hatte wenig Positives zu berichten. Und nun hieß es gleich zur Saisoneröffnung im eben zum „Theater des Jahres“ gekürten Haus schon wieder: „Ich habe Sie hergebeten, um Ihnen eine höchst unerfreuliche Mitteilung zu machen: Zu uns kommt ein Revisor.“ Gleich der erste Satz von Nikolaj Gogols Komödie, in der ein Durchreisender als vermeintlicher Prüfer ein ganzes Dorf in Aufruhr versetzt, ist also ein Lacher im Saal.

Saisonvorschau Burgtheater

Mit dem „Revisor“ von Nikolai Gogol, in einer viereinhalbstündigen Inszenierung von Alvis Hermanis hat die neue Saison am Wiener Burgtheater begonnen.

Auch wenn man das Stück gern als Kommentar zu aktuellen Korruptionsaffären einsetzt (und es vermutlich seit der Uraufführung 1936 keine Zeit gab, in der es die nicht gegeben hätte), ist das für Hermanis eher ein „Missverständnis“. Für ihn sei Gogol Kafka viel näher als Brecht - statt Sozialkritik interessierten ihn mehr die existenziellen Fragen, wie er in Interviews vor der Premiere erklärte. Und so lagerte er die Verbindung von Gesellschafts- und Seelenanalyse des Bühnenklassikers in eine verwahrloste postsowjetische Welt aus, in der Hühner durch die Kantine staksen und die Schauspieler in Fatsuits (Kostüme: Kristine Jurjane) stecken.

Tumbe Tölpel als willfährige Opfer

Tatsächlich ist seine ausgefressene „Revisor“-Dorfgesellschaft viel zu wenig von der blanken Gier (die ein wesentliches Element des Korruptionsbegriffs ausmacht) getrieben, um sich als Spiegel für die großen Politfinanzskandale zu eignen. Franz J. Csencsits, Dietmar König, Dirk Nocker, Johann Adam Oest, Martin Reinke, Falk Rockstroh und Hermann Scheidleder sind auf der grandios versifften Bühne (ebenfalls von Hermanis gestaltet) vielmehr tumbe Tölpel. Es ist ihnen halt nicht gegeben, auch nur einen Gedanken ums Eck oder im Voraus zu denken.

Szene aus der Burgtheateraufführung "Der Revisor" von Nikolaj Gogol

APA/Barbara Gindl

Der falsche Revisor bereichert sich am Klo

Michael Maertens ist als Provinzbürgermeister so etwas wie das Mastermind, der einäugige König, der die Blinden - vermeintlich große Visionen verwirklichend - in die Falle führt. Dick ausgestopft und mit Glatze lässt Maertens kaum eine Nuance der grotesken Rolle unausgespielt.

Als Idealbesetzung steht ihm Maria Happel als lüsterne Ehefrau mit ausgeprägtem Geltungsdrang zur Seite - geradezu eine Paraderolle für die Schauspielerin. Dörte Lyssewskis absolviert ihre Auftritte als 18-jährige Bürgermeisterstochter im Wesentlichen damit, weinerlich ihrer „Maaammmmiiii“ nachzupenzen und kokett mit ihrem Zopf zu spielen.

Regisseur Alvis Hermanis

Burgtheater/Reinhard Maximilian Werner

Alvis Hermanis

Traumtänzer im Grindklo

Ähnlich wenig Bodenhaftung verleiht Fabian Krüger seinem falschen Revisor. Mit enormer Körperlichkeit laviert er sich durch den Abend und ist dabei kein schlauer Gauner, der die Gunst der Stunde ausnützt, sondern vielmehr ein völlig in anderen Welten schwebender Traumtänzer, dem noch auf dem grindigen Klo das Geld nachgeschmissen wird.

Oliver Stokowski gibt seinen versoffenen Begleiter Ossip. Ausgerechnet er ist es, der, seinen runden Bierbauch vor sich herschiebend, als Einziger so etwas wie intendierte kriminelle Energie entwickelt und damit die Strippen zieht.

Der Perfektionist hat wieder zugeschlagen

Was der Regisseur in Wien schon in „Eine Familie“, „Platonov“ und „Das weite Land“ gezeigt hat, ist auch hier Programm: ein durchgezogenes Konzept mit perfektionistischer Genauigkeit umgesetzt, ausgefeilt choreografiert und inszeniert - von der Percussioneinlage in der Großküche bis zum apathischen Hühnerstall, in den sich die Gesellschaft am Ende verwandelt.

Hinweis

„Der Revisor“ ist im Burgtheater am 6., 8., 10. und 25. September, am 9., 23., und 26. Oktober sowie am 8. November jeweils um 18.00 Uhr zu sehen.

Gogols Text strotzt vor bösem Witz, und Hermanis nimmt sich alle Zeit der Welt, um den auszuspielen. An Ideen mangelte es dabei definitiv nicht, eher vielleicht an der Konsequenz, sich von so manchem Einfall auch wieder zu trennen. Nicht mit jeder Slapstickeinlage hat er sich einen Gefallen getan, zu viel Dehnung hinterlässt bekanntlich Dehnungsstreifen, und die machen sich im mehr als viereinhalbstündigen Abend in Form von Ermüdung bemerkbar.

Als sich der Betrüger letztendlich dann doch mit dem Geld aus dem Staub gemacht haben wird, steht schließlich statt des echten Revisors ein riesiges Huhn vor der Tür - und gackert mit der in Apathie verfallenden Gesellschaft im Chor. Der Wunsch nach Verbesserung, der Traum nach Anerkennung bleibt unerfüllt. Man saß in einem Ringwagen - Endstation Sehnsucht.

Sophia Felbermair, ORF.at

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