Ein Meer an Zelten und Hütten
Saatari ist das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt (nur ein Camp in Kenia ist noch größer) und befindet sich im Norden Jordaniens nahe der Grenze zu Syrien. ORF.at hat mit der Caritas das Lager des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR besichtigt und mit Einwohnern gesprochen. Ihre Hoffnung, Saatari bald verlassen zu können, ist gering.
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Reuters/Mandel Ngan
80.000 Menschen: Saatari hat sechsmal so viele Einwohner wie Eisenstadt und wurde 2012 errichtet.

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Das Lager besteht aus einem gleichförmigen Meer an Wellblechhütten, Containern und Zelten. Zu Spitzenzeiten hielten sich über 120.000 Syrer in Saatari auf. Sie wurden teils in ein zweites Lager übersiedelt, teils sind sie geflohen - weil sie die Zustände nicht aushielten: das dicht gedrängte Zusammenleben, zu wenige funktionierende Stromanschlüsse, keine Kanalisation, kein Fließwasser, keine Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

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Kommt ein Ausländer ins Camp, ist das eine willkommene Abwechslung für die Kinder. Man wird begrüßt, beklettert und herumgeführt. Saher, die Große, ist besonders stolz auf ihre Englischkenntnisse. Nur 4.000 Kinder haben im Camp die Möglichkeit, in eine der Schulen zu gehen. Im Hintergrund machen Müllmänner ihre Arbeit. Die Aufrechterhaltung der Hygiene im Lager ist neben der Sicherheitslage die größte Herausforderung der Verwaltung von Saatari.

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Die typische Behausung einer Familie in Saatari: ein Zelt plus Wellblechverschlag und Planen. Für Gärten, um selbst ein wenig Gemüse ziehen zu können, fehlt es an Bewässerung. Die Satellitenantenne ist Standard. Mangels Beschäftigungsmöglichkeiten sind alte TV-Geräte heiß gehandelte Luxusgüter. Meist teilen sich mehrere Familien einen gemeinsam gekauften Dieselgenerator, der nur wenige Stunden am Tag betrieben wird. Denn die Stromversorgung in Saatari ist mangelhaft.

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Mangelhaft ist auch die Kanalisation. Sie besteht nur aus Rinnsalen, die sich irgendwo zu Lacken treffen, die in der Hitze verdunsten. Die Straßen und Plätze sind in der Wüstenhitze des frühen Nachmittags menschenleer. Nicht umsonst heißt es auf Englisch „deserted“.

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Abu Rafat hat eine privilegierte Stellung in seiner Nachbarschaft - er ist die Autorität im Grätzel. Bei ihm suchen Familien Rat, und es finden Versammlungen statt, deshalb auch die Wasserpfeife und das Teeservice. Abu Rafat erzählt - wie viele andere Flüchtlinge auch -, dass seine Kinder und Enkel bei der Flucht an zahllosen Leichen vorbeimarschieren mussten.

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Hier einer der typischen Wohncontainer, mit denen Familien in Saatari auskommen müssen. Abu Rafat und seiner Familie machen die eisige Kälte im Winter und die Hitze im Sommer neben dem Platzmangel am meisten zu schaffen.

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Hassan und seine Frau haben sechs Kinder, darunter ein zwei Monate altes Baby. Sie sind erst seit Mai in Saatari. Schon jetzt hat er für sich und seine Familie nur einen Wunsch: weg von hier. Vielleicht zu einem Onkel, der schon seit Langem in Deutschland lebt. Aber wie die Flucht mit den Kindern bewerkstelligen? Hassan fragt den Besucher, ob er ihm nicht irgendwie helfen kann, nach Europa zu kommen. Viele Männer wie er fliehen alleine, um dann später von einem europäischen Land aus die Familie auf ungefährlichem und legalen Weg nachholen zu können. 75 Prozent der Bewohner von Saatari sind Frauen und Kinder - genau umgekehrt in Österreich.

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Wo die Straßen keine Namen haben - und alle gleich aussehen. Eine Wasserleitung gibt es nicht. Vier Millionen Liter Wasser werden täglich ins Lager transportiert. Mit Strom werden meist nur die Lichter halbwegs zuverlässig versorgt - ohne Licht keine Sicherheit.

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Mitunter reicht das Wasser nicht. Am Nachmittag beginnen Männer, die Tanks zu kippen, um an die letzten Tropfen zu kommen.

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Die Hälfte der syrischen Flüchtlinge in Jordanien sind Kinder. 50 Prozent von ihnen gehen nicht in die Schule - teilweise schon seit Jahren nicht mehr. Es gilt viel Zeit totzuschlagen. Fußball geht immer.

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Bei vielen Kindern stellt sich diese Frage jedoch gar nicht: Sie müssen arbeiten, um ihre Familien über Wasser zu halten - etwa, indem sie in Geschäften aushelfen. Eine Sozialarbeiterin erzählt, wie schwer den Eltern die Entscheidung fällt, ihre Kinder arbeiten zu lassen. Manche Familien drohen daran zu zerbrechen. In Saatari jedenfalls entsteht durch die zahlreichen kleinen Shops, die von Bewohnern betrieben werden, nach und nach der Eindruck einer regelrechten Stadt. Die Hauptgeschäftsstraße wird ironisch „Champs-Elysees“ genannt.

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Abu Mohanad war in Syrien ein wohlhabender Geschäftsmann, mit Haus, mehreren Autos und allem, was dazugehört. Jetzt ist alles weg. Zuerst hat er noch versucht, in Jordanien außerhalb der Camps Fuß zufassen - aber es hat nicht funktioniert. Abu Mohanad ist froh, dass er mittlerweile in Saatari mit seiner Frau und seinen fünf Kindern von einem Zelt in zwei Container samt Küchenverschlag übersiedeln konnte.

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Ein Großteil des Geldes für die Errichtung und den Betrieb von Saatari steuert das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bei, das auch für die Verwaltung des Camps verantwortlich zeichnet. Aber auch arabische Länder wie Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate stiften etwa Krankenhäuser im Lager oder finanzieren einzelne Hütten.

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Style - unter widrigen Umständen. Mit Klebebändern hat dieser Mann sein Fahrrad designt. Autos sind in Saatari nicht erlaubt. Wer ein Rad besitzt, kann sich glücklich schätzen. Waren werden im Lager entweder getragen oder mit Schubkarren transportiert.

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Nur im Nordosten des Landes können Syrer noch die Grenze nach Jordanien überschreiten, der Rest ist abgeriegelt. Die Gegend ist von steinigem harten Wüstenboden gekennzeichnet. Saatari wurde auf so einem Boden in der Nähe der Stadt Mafraq errichtet.
Simon Hadler, ORF.at, Amman