Obduktion soll Todesursache klären
Nach dem Fund eines Schlepper-Lkw mit 71 Toten auf der Ostautobahn (A4) bei Parndorf im Burgenland laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Für die Tragödie sei vermutlich ein bulgarisch-ungarischer Schlepperring verantwortlich, sagte der burgenländische Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil am Freitag. Vier Verdächtige wurden indes in Ungarn festgenommen.
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Zuvor seien bereits 20 Personen von der ungarischen Polizei verhört worden, berichtete die Sprecherin der Budapester Landespolizeidirektion, Viktoria Kovacs-Csiszer, am Freitag. Vorübergehend seien sieben Verdächtige in Haft gewesen. Die Ermittlungen konzentrierten sich nun aber auf den Halter des Lastwagens, einen Bulgaren libanesischer Herkunft, und die beiden mutmaßlichen Fahrer: einen Bulgaren und einen Mann mit ungarischer Identitätskarte, dessen Staatsangehörigkeit aber noch unklar sei.
Am Freitagnachmittag hieß es in ungarischen Medienberichten unter Berufung auf die ungarische Polizeidirektion, dass ein weiterer Bulgare festgenommen worden sei. Die ungarische Generalstaatsanwaltschaft behandle den Fall „vorrangig“.
Auslieferung an Österreich erwartet
Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt geht unterdessen davon aus, dass die vier festgenommenen Männer nach Österreich überstellt werden. Der auf Betreiben der Eisenstädter Anklagebehörde erlassene Europäische Haftbefehl würde an sich die Überstellung der Verdächtigen indizieren, meinte Behördensprecherin Verena Strnad auf APA-Anfrage.
Die Auslieferung wäre „grundsätzlich Sinn des Europäischen Haftbefehls“, so Strnad. Die ungarischen Behörden müssten prüfen, ob dem auch entsprochen wird. Formal wird von der Staatsanwaltschaft derzeit wegen Schlepperei, vorsätzlicher Gemeingefährdung mit Todesfolge und Mordverdachts ermittelt - „in alle Richtung“, wie Strnad betonte.
Schlepper-Lkw: 71 tote Flüchtlinge
Das Flüchtlingsdrama auf der Ostautobahn (A4) hat ein größeres Ausmaß angenommen als zunächst noch vermutet. 71 Flüchtlinge kamen in dem Lkw ums Leben.
Vier Kinder unter den Toten
Der Kühl-Lkw mit ungarischer Zulassung und dem Logo eines slowakischen Geflügelhändlers war vermutlich am Mittwoch in Ungarn gestartet. Am Donnerstag wurde er in einer Pannenbucht an der A4 entdeckt. Im Lkw befanden sich 59 Männer, acht Frauen und vier Kinder.
Bei einem der Toten wurde ein syrisches Reisedokument gefunden, so Landespolizeidirektor Doskozil. Noch sei die Identifikation der Opfer im Gang. Dabei sei die Polizei auch auf Hinweise von Angehörigen und Freunden angewiesen. Die burgenländische Polizei richtete eine Hotline ein, die rund um die Uhr besetzt ist.
Hotline
Unter der Nummer 05 9133 103 333 wird um Hinweise aus der Bevölkerung gebeten.
Nach Angaben von Doskozil hatte der Lkw bereits seit 24 Stunden in der Parkbucht gestanden. Da viele der Leichen schon stark verwest waren, konnte die Polizei zunächst keine genauen Angaben zur Anzahl der Toten machen.
Obduktionen werden in Wien vorgenommen
Mittlerweile wurde von der Wiener Gerichtsmedizin mit der Obduktion der 71 Leichen begonnen. Wo diese vorgenommen werden, wie viele Gerichtsmediziner daran beteiligt sind und wie die organisatorischen Abläufe im Groben aussehen, ist nicht bekannt. Der Leiter der Gerichtsmedizin, Daniele Risser, verwies auf den „Krisenstab der Polizei“ und erteilte keine weiteren Auskünfte.

Reuters/Heinz-Peter Bader
Die Leichen wurden mittlerweile vom Burgenland nach Wien gebracht
Seitens der Polizei blieb eine dahingehende Anfrage der APA unbeantwortet. Die Kommunikationsstelle der Meduni Wien, der das Dependance für Gerichtsmedizin untersteht, bestätigte lediglich, dass mit den Leichenöffnungen begonnen worden sei. Weitergehende Informationen wurden nicht erteilt.
Keine Angaben über Befreiungsversuch
Über die Todesursache halten sich die Ermittler bisher bedeckt. „Eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass sie erstickt sind“, stellte Doskozil fest. Zudem betonte er noch einmal, dass es sich bei dem Kühl-Lkw um kein „typisches Schlepperfahrzeug“ gehandelt habe. Normalerweise würden Flüchtlinge in kleineren Fahrzeugen über die Grenze gebracht.
Die Obduktion werde sicher „einige Tage dauern“, hielt Staatsanwalt Fuchs fest: „Das ist ein logistischer Aufwand, um diese Anzahl der Leichen zu obduzieren.“ Ob es sich bei den Spuren an den Fahrzeugwänden um Befreiungsversuche der Insassen gehandelt habe, wollte die Polizei nicht bestätigen. „Es kann sich dabei auch um Spuren eines Unfalls gehandelt haben“, so Doskozil. Bestätigt wurde, dass das Fahrzeug mindestens 24 Stunden in der Pannenbucht auf der A4 gestanden sei.
Identifizierung der Opfer schwierig
Schon während der Nacht auf Freitag wurde begonnen, die Leichen der Flüchtlinge nach Wien in die Gerichtsmedizin zu überstellen. Die Identifizierung der Opfer könnte aber schwierig werden.
Stärkere Kontrollen angekündigt
Als direkte Konsequenz kündigte der burgenländische Polizeidirektor stärkere Kontrollen im Hinterland an. „Verstärkung aus den anderen Bundesländern ist angefordert worden“, so Doskozil. Bei täglich rund 3.000 Lkws, die über die A4 fahren, sei eine lückenlose Kontrolle jedoch nicht möglich - mehr dazu in burgenland.ORF.at.
Auch die bayrische Grenzpolizei kündigte angesichts des aktuellen Falls eine Verschärfung ihrer Kontrollen an. Fahrzeuge, die mehr als 15 Personen befördern könnten, habe man dabei besonders im Blick, sagte ein Sprecher der deutschen Bundespolizei der Nachrichtenagentur Reuters. Allein bei Passau würden täglich bis zu 750 Flüchtlinge registriert, wie der Sprecher weiter sagte: „Die Lage ist prekär.“
Identifizierung meist schwierig
Der Todeszeitpunkt werde noch ermittelt, hieß es auf der Pressekonferenz. Dazu wurden die Leichen am Freitag in die Wiener Gerichtsmedizin überstellt. Zur Identitätsfeststellung gebe es genormte Abläufe, erklärte Gerichtsmediziner Johann Missliwetz im Interview mit „heute mittag“. Man beginne damit, die Kleidung und Schmuckstücke der Opfer zu dokumentieren. Es würden Fotos gemacht und nach Ausweisen und persönlichen Merkmalen wie OP-Narben gesucht.
Realistisch sei eine Identitätsfeststellung, wenn sich Menschen meldeten, die unter den Toten mögliche Verwandte vermuteten, so der Gerichtsmediziner. Dann könne man DNA-Vergleichsproben nehmen. Zahnärztliche Vorbefunde zum Abgleich aus Syrien zu erhalten „wird schwierig sein“, so Missliwetz. Auch den Todeszeitpunkt festzustellen sei in diesem Fall nicht einfach, weil die Methode einer Temperaturmessung nicht mehr möglich sei, sagte der Mediziner - mehr dazu in wien.ORF.at.
Hohe psychische Belastung für Beamte
Für die im Einsatz stehenden Beamten sind solche Vorfälle besonders belastend. Ihnen wird psychologische Begleitung angeboten. Dabei sollte auch gesichert werden, dass die Polizisten Pausen bekommen, wenn sie diese benötigten, erklärte Claus Polndorfer, Leiter des psychologischen Dienstes im Innenministerium.
Besonders wichtig sei es, dass man nach dem Einsatz Betreuung anbiete, „wenn man nach Hause geht und das berufliche Schutzschild hinter sich lässt“, sagte Polndorfer. „Man weiß auch, dass manche Reaktionen erst ein paar Tage später auftreten.“ Daher bieten die Psychologen den Polizisten Gruppen- und Einzelgespräche an.
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