„Es gibt keine Zauberlösung“
Österreich hat am Donnerstag bei der in Wien abgehaltenen Westbalkan-Konferenz gemeinsam mit Deutschland einen geschlossenen europäischen Kampf gegen die laufende Flüchtlingskrise eingefordert. Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und seine deutsche Amtskollegin Angela Merkel reagierten damit auch auf die Nachricht der im Burgenland auf der A4 tot aufgefundenen Flüchtlinge.
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Menschen hätten ihr Leben verloren, das sie mit ihrer Flucht retten wollten, sagte Faymann bei der gemeinsam mit Merkel, der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und dem serbischen Premierminister Aleksandar Vucic abgehaltenen Abschlusspressekonferenz. Der tragische Vorfall „zeigt einmal mehr, wie notwendig es ist, Menschenleben zu retten, indem Kriminalität und das Schlepperwesen bekämpft werden“, so Faymann weiter.

APA/Georg Hochmuth
Vucic, Merkel, Faymann und Mogherini bei der Abschlusspressekonferenz
Der Umgang mit den Tausenden Flüchtlingen, die täglich in die EU strömten, sei Faymann zufolge eines der Hauptthemen bei dem Treffen der Regierungschefs aus dem Westbalkan, Österreichs und Deutschlands gewesen. Die EU müsse nun dafür sorgen, dass die Schlepper nicht die Oberhand bekämen, und ihre Außengrenze besser sichern sowie eine faire Verteilung der Asylsuchenden innerhalb Europas sicherstellen.
„Müssen Verantwortung übernehmen“
Die Nachricht über in einem Lkw tot gefundene Flüchtlinge „zeigt einmal mehr, dass wir Verantwortung übernehmen müssen“, so Faymann.
Merkel von Lösung überzeugt
Merkel sprach von einer „entsetzlichen Nachricht“ und mahnte, „das Thema Migration im europäischen Geist, im Geist der Solidarität anzugehen und Lösungen zu finden.“ So wie Faymann forderte auch Merkel, dass die Mitglieder der EU beim Thema Migration nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten müssten. „Europa als reicher Kontinent ist nach meiner festen Überzeugung in der Lage, die Probleme zu bewältigen“, sagte Merkel und betonte weiter: „Die Welt schaut auf uns. Österreich und Deutschland und viele andere sind dazu bereit, und wir werden darüber mit Nachdruck reden.“
Trauerminute für Tote auf A4
Im Rahmen einer Schweigeminute haben die Teilnehmer der Westbalkan-Konferenz am Donnerstag in Wien jener Flüchtlinge gedacht, die am Vormittag tot in einem Lkw auf der burgenländischen A4 entdeckt wurden. Bundespräsident Heinz Fischer, der die an der Konferenz teilnehmenden Regierungschefs und Minister im Rahmen seiner Rede vor dem Mittagessen zu der Trauerminute aufgefordert hatte, sprach von einem „schockierenden Ereignis“.
„Moralische Pflicht“
Mogherini bezeichnete den Schutz der Flüchtlingen in Europa als „moralische und rechtliche Pflicht“. Außer Frage stellte Mogherini, dass man nicht weitermachen könne wie bisher. Aus den zahllosen Flüchtlingstragödien müssten vielmehr so schnell wie möglich Konsequenzen gezogen werden - ansonsten seien die während der Westbalkan-Konferenz bekanntgewordene Flüchtlingstragödie auf der A4 und die dafür abgehaltene Trauerminute mit Sicherheit nicht die letzten gewesen. Mogherini sprach von einer „traurigen Erinnerung“ an den Ernst der Flüchtlingskrise. Wenn man keine Trauerminuten mehr wolle, dann müsse man aber auch Verantwortung übernehmen.
„Es gibt keine Zauberlösung“, so Mogherini weiter, aber der Weg für eine Verbesserung der Situation sei bekannt. Die EU arbeite an neuen Vorschlägen für eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Ähnlich wie Faymann und Merkel zuvor sagte auch Mogherini: „Wir müssen von gegenseitigen Beschuldigungen zu einer echten Zusammenarbeit kommen“. Die EU-Kommission habe verbindliche Quoten schon im Mai vorgeschlagen, es liege freilich an den Mitgliedsstaaten, welche zu beschließen. Die Dublin-Regelungen funktionieren aus ihrer Sicht in der jetzigen Situation nicht. Zudem wolle die Kommission in Kürze auch eine Liste sicherer Herkunftsstaaten vorlegen, die für alle EU-Länder gelten solle.
Merkel gegen „Triumphe der Bürokratie“
Merkel zufolge müsse in diesem Zusammenhang vor allem eine Übereinkunft zur Einstufung der Länder des Westbalkans als sichere Herkunftsländer zügig erfolgen. Ungeachtet der äußerst geringen Chancen auf einen positiven Bescheid beantragen vor allem in Deutschland auch zahlreiche Bürger der Westbalkan-Staaten, insbesondere des Kosovo, aber auch Serbien Asyl.
„Der eine darf nicht gegen den anderen arbeiten“
Merkel sagte: „Der eine darf nicht gegen den anderen arbeiten“ - eine Lösung beim Thema Migration sei nur gemeinsam zu finden.
Merkel drängt die europäischen Partner zudem zu einer raschen Vereinbarung über eine faire Quote zur Aufnahme von Flüchtlingen. Faymann machte das bereits zum Auftakt der Wiener Konferenz zum Thema und sprach sich in seiner Eröffnungsrede erneut für eine „faire Verteilung“ von Asylsuchenden via verpflichtende Aufnahmequoten aus. Ohne diese „werden wir diese Herausforderung nicht lösen können“.
Im Gegensatz zur Finanzkrise mache die Flüchtlingskrise keine Vertragsänderungen in der EU notwendig, sagte Merkel weiter. Für Flüchtlinge, etwa aus Syrien, mit einer hohen Anerkennungsquote müssten rasche Verfahren geschaffen werden. Das geltende Dublin-Verfahren, das eine Rückführung von Flüchtlingen in das Land vorsieht, in dem sie zuerst ankommen, funktioniere nicht. „Wir dürfen nicht die Bürokratie Triumphe feiern lassen.“
Über 100.000 kamen über Balkan-Route in EU
Der Westbalkan ist zuletzt zu einer der Hauptrouten für Flüchtlinge aus der Nahost-Region geworden, die von Griechenland weiter über Mazedonien und Serbien nach Ungarn und schließlich in Zielländer wie Deutschland, Österreich und andere west- und nordeuropäische Staaten wollen. Laut der EU-Grenzschutzagentur Frontex reisten heuer im ersten Halbjahr 102.000 Migranten allein über den Balkan in die EU ein. Im Vorjahreszeitraum waren es nur 8.000. Ungarn baut einen Grenzzaun, der die Route blockieren soll. Obwohl medial derzeit aus dem Fokus geraten, suchen nach wie vor Tausende über das Mittelmeer einen Weg nach Europa. Allein in Italien rechnet man bis September mit weiteren 20.000 Flüchtlingen.
„Sind nicht mehr allein“
Italiens Außenminister Paolo Gentiloni ortete am Rande der Westbalkan-Konferenz in Wien nun aber ein stärkeres Bewusstsein unter den EU-Mitgliedern über die Flüchtlingsproblematik. „Bis vor drei Monaten waren Italien und Griechenland im Umgang mit der Flüchtlingsproblematik noch allein. Die harte Realität, die unter anderem aus der Tragödie auf der A4 hervorgeht, sorgt dafür, dass die Töne heute anders sind“, so Gentiloni laut ANSA. Dem italienischen Außenminister zufolge bestehe nun „ein stärkeres Bewusstsein in der EU, dass jedes Mitglied seine Verantwortung in puncto Flüchtlingsproblematik übernehmen muss“.
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