Entsetzen quer über Parteigrenzen hinweg
Im Rahmen einer Schweigeminute haben die Teilnehmer der Westbalkan-Konferenz am Donnerstag in Wien jener Flüchtlinge gedacht, die im Burgenland am Vormittag tot in einem Lkw entdeckt worden sind. Bundespräsident Heinz Fischer, der die teilnehmenden Regierungschefs und Minister im Rahmen seiner Rede vor dem Mittagessen zu der Trauerminute aufgefordert hatte, sprach von einem „schockierenden Ereignis“.
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Für Fischer zeige das Ereignis einmal mehr die „dringende Notwendigkeit, dass EU-Mitgliedsstaaten solidarisch und in Kooperation mit unseren Partnern am Westbalkan auf diese Krise antworten“. Er sei sich der unterschiedlichen Standpunkte und Interessen dabei bewusst, aber man brauche „eine Einigung, basierend auf dem europäischen Geist und Artikel eins der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte folgend: ‚Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten und Pflichten geboren. Sie sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.‘“
EU-Kommission „schockiert“
EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans und der für Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos zeigten sich am Donnerstagabend „schockiert“ über das Flüchtlingsdrama in Österreich sowie den Tod von 50 Bootsflüchtlingen im Mittelmeer vom Mittwoch. Es handle sich um „kriminelle Akte“ von „Schleppern ohne jeden Skrupel“. Avramopoulos will am 7. September nach Wien kommen.
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) habe recht, wenn er sage, so könne es nicht weitergehen. Es handle sich nicht um eine österreichische Krise, auch nicht um eine italienische, französische, deutsche, griechische oder ungarische Krise. Es sei eine europäische Krise die eine gemeinsame europäische Antwort verlange, so die beiden Kommissionsmitglieder in ihrer Stellungnahme. Nun sei „der Moment für gemeinsame Aktionen und Solidarität mit allen EU-Mitgliedsländern und unseren Partnerstaaten in der Region gekommen“.
Für Mikl-Leitner „dunkler Tag“
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach in einer ersten Reaktion von einem "dunklen Tag, und unsere Gedanken sind bei den Opfern, bei den Familien der Opfer und auch bei den Freunden“, „Diese Tragödie macht uns alle betroffen“, so Mikl-Leitner weiter bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz im Burgenland. Wichtig sei, dass „so rasch wie möglich die gesetzlichen Änderungen im Kampf gegen Schlepper vorgenommen werden“.
Als unmittelbare Maßnahme kündigte Mikl-Leitner verstärkte Kontrollen im grenznahen Raum und in Zügen an. Es sei wichtig, dass nicht nur Österreich mit Härte gegen Schlepper vorgeht, sondern auch die anderen 27 EU-Staaten, so die Innenministerin. Es sei wichtig, so rasch wie möglich EU-Außenstellen zu schaffen, damit die Flüchtlinge sofort Schutz bekommen. Mikl-Leitner sprach von einem „Signal an die europäische Ebene, so rasch wie möglich tätig zu werden“.
Brandstetter gegen „mörderische Kriminalität“
„Erschüttert, tief betroffen und zornig“ reagierte ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter. „Es war zu befürchten, dass es einmal Todesopfer bei den Schleppertransporten gibt, denn die organisierte Schlepperei ist eine skrupellose und mörderische Form schwerster Kriminalität, der man europaweit konsequent entgegenwirken muss.“ Die Justiz werde gemeinsam mit dem Innenministerium „mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln“ gegen diese Form der Kriminalität ankämpfen.
Laut der Regierung soll das Schlepperwesen verstärkt bekämpft werden. In Österreich soll eine verschärfte Schlepper-Strafbestimmung beschlossen werden. Dadurch soll es möglich sein, Schlepper leichter in U-Haft zu nehmen. Der ebenfalls „zutiefst erschütterte“ Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte in einer Aussendung, eine gemeinsame europäische Antwort auf die Flüchtlingskrise sei überfällig: „Europa kann hier nicht mehr wegsehen, es geht um menschliche Schicksale.“
UNHCR fordert gemeinsame Lösung der EU
„Was hier geschehen ist, ist verabscheuenswürdig“, stellte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) in einer Aussendung fest. Er hält ein verschärftes Vorgehen gegen die Schleppermafia für „das Gebot der Stunde“ - und zwar in Österreich und der EU. Asylverfahren sollten an den Außengrenzen abgewickelt und die Flüchtlinge nach EU-Quoten fair verteilt werden, bekräftigte Mitterlehner. Als „tief erschütternd“ bezeichnete ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin den Fall.
Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) meinte: „Wann, wenn nicht jetzt, geht es darum, dass alle - in Österreich und in Europa - an einem gemeinsamen Strang ziehen, um den enormen Herausforderungen der Flüchtlingsbewegung begegnen zu können“. Es gelte, „gemeinsam alle Anstrengungen zu unternehmen, um derartige Tragödien in Zukunft zu vermeiden“.
Auf gemeinsame Lösungen der EU, die Flüchtlingen eine sichere Aufnahme ermöglichen, drängte in einer Aussendung auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR unter Hinweis auf die steigenden Opferzahlen im Mittelmeer und nun auch bei Schleppungen auf dem Festland. Die Antwort auf die Tragödie dürfe nicht sein, das Recht auf Asyl zu beschränken und die Asylgesetze zum wiederholten Male zu verschärfen.
AI prangert politische Heuchelei an
„Wer immer hier von Tragödie spricht, ist ein Heuchler“, reagierte der Generalsekretär von Amnesty International (AI) Österreich, Heinz Patzelt. Der Tod der Flüchtlinge sei ein „vorhersehbarer und (...) fahrlässig in Kauf genommener, grauenhafter Kollateralschaden“ der politischen Umstände und werde „nicht die einzige Katastrophe bleiben“. Das Entsetzen setze immer erst dann ein, "wenn diese Dinge vor unseren Augen passieren, so Patzelt unter Verweis etwa auf „die 1.000 Toten im Mittelmeer“. Auch er forderte indes die Bekämpfung der Schlepperei durch Exekutive und Justiz.
Dringenden politischen Handlungsbedarf ortet die Caritas. Die Katastrophe mache „deutlich, wie dringend nötig es ist, dass Europa einen gemeinsamen Plan für Menschen auf der Flucht ins Leben ruft, der der Genfer Flüchtlingskonvention und der humanitären Tradition dieses Kontinents entspricht“, so Caritas-Direktor Michael Landau. Wer Schleppern das Handwerk legen wolle, müsse umgekehrt für rasche, sichere Zugänge zu Asylverfahren Sorge tragen.
Schönborn verlangt „mutige Entscheidungen“
Vor allem „für besonders verletzliche Gruppen wie Kinder und kranke Menschen“ solle man humanitäre Visa ausstellen, so Landau. Angesichts der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen appellierte die Caritas an die EU, ihre Grenzen kontrolliert zu öffnen und die Flüchtlingshilfe finanziell besser zu dotieren. „Es braucht verlässliche und ausreichende Hilfe für die Menschen vor Ort, etwa in den Nachbarländern Syriens, wohin vier Millionen Menschen vor den Schrecken des Bürgerkriegs geflohen sind“, betonte Landau.
Kardinal Christoph Schönborn sagte, „mit einem Schlag“ mache „diese furchtbare Tat die menschliche Not der Flüchtlinge deutlich, die von uns allen eine großherzige Haltung verlangt - und mutige Entscheidungen“. Sein Mitgefühl sei „bei jenen Menschen, die diesen unvorstellbar qualvollen Tod erleiden mussten“. Am Montag um 19.00 soll der Opfer in einem Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom gedacht werden, den Schönborn leiten wird - mehr dazu in wien.ORF.at. Auch andere Kirchenvertreter reagierten entsetzt - mehr dazu in religion.ORF.at.
Strache fordert höhere Strafen
„Entsetzt“ hat sich FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache gezeigt. Lückenlose Grenzkontrollen seien ein Gebot der Stunde, auch im Interesse der Opfer der Schlepperbanden: „Denn wenn dieses Fahrzeug schon an der Grenze entdeckt worden wäre, könnten die Menschen, die qualvoll gestorben sind, noch leben.“ Schlepper seien potenzielle Mörder und müssten auch entsprechend behandelt werden. Strafen für sie müssten drastisch erhöht werden, um dieses „widerliche Geschäft möglichst unattraktiv zu machen“.
NEOS-Menschenrechtssprecher Nikolaus Scherak zeigte sich „schockiert“. Er richtete an die Regierung die Frage, ob sie genug getan habe, um ein Unglück in diesem Ausmaß zu verhindern. Das Wegschauen auf allen politischen Ebenen müsse endlich ein Ende haben. Die Antwort könne nicht allein in verstärkten Kontrollen bestehen. Es brauche legale Wege, um in die EU zu gelangen, wie zum Beispiel die Möglichkeit, in Botschaften in den Herkunftsländern Asyl zu beantragen.
„Je höher die Grenzzäune, desto mehr Gefahren“
Auch Team-Stronach-Generalsekretär Christoph Hagen forderte verstärktes Engagement gegen die Schlepperkriminalität und sprach sich für eine eigene Grenzpolizei und temporäre Grenzkontrollen nach Ungarn, Slowenien, Italien und zur Slowakei aus. Als Sofortmaßnahme schlägt er vor, Bundesheersoldaten binnen 48 Stunden mit den Kompetenzen der Grenzpolizei auszustatten.
„Zutiefst erschüttert“ zeigte sich schließlich auch Grünen-Bundessprecherin Eva Glawischnig in einer Aussendung. Die Tragödie zeige, dass es mehr Hilfseinsätze brauche: „Es kann nicht nur um Grenzschutz gehen, im Mittelpunkt muss der Schutz der Menschen stehen.“ Menschenrechtssprecherin Alev Korun warnte: „Je höher die Grenzzäune gegen Schutzsuchende aus Syrien oder Irak in Europa werden, desto gefährlicher und tödlicher werden leider die Schlepperpraktiken“.
SPÖ-Studenten fordern Mikl-Leitners Rücktritt
SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid sprach angesichts des Tods von bis zu 50 Menschen in einem Schlepper-Lkw von einer „unfassbaren Tragödie“, die sich nicht wiederholen dürfe. Es gelte, das Schlepperunwesen mit allen Mitteln des Rechtsstaates zu bekämpfen. Notwendig wären aus SPÖ-Sicht nun auch verpflichtende EU-Verteilungsquoten, eine aktive europäische Außenpolitik, gezielte Entwicklungshilfe und eine enge Zusammenarbeit mit UNHCR und Flüchtlings-NGOs.
Der Verband Sozialistischer Student_innen (VSStÖ) forderte Mikl-Leitners Rücktritt, „die Schaffung von legalen Fluchtwegen und eine menschenrechtskonforme Unterbringung von Flüchtlingen“. Auch die Gruppe Asyl in Not verlangte den Rücktritt der Ministerin, die mit ihren europäischen Amtskollegen aufgrund der gemeinsamen Politik die volle Verantwortung für die Tragödie trage. Für Anny Knapp, Obfrau der Asylkoordination, ist es nur „eine Frage der Zeit gewesen bis Derartiges in Österreich passiert“.
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