Katastrophale Lage in Presovo
Die mazedonische Grenzpolizei lässt Flüchtlinge mittlerweile ungehindert nach Serbien ausreisen. In der kleinen serbischen Grenzstadt Presovo sind in den vergangenen sechs Wochen 70.000 Flüchtlinge angekommen, und es werden jeden Tag mehr. Dramatische Szenen spielen sich ab.
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Es sind fast unwirkliche Bilder, die wohl alle bisherigen aus der Region übertreffen: Tausende völlig entkräftete Männer, Frauen und Kinder sitzen im Staub auf der Straße, laufen planlos über den Marktplatz, flehen verzweifelt um Essen, Wasser, Schuhe und vor allem um Information.

ORF/Cornelia Krebs
Viele Stunden werden in der Warteschlange für die Registrierung verbracht
Bis zu 3.000 Menschen werden täglich mit Bussen und Taxis in den 4.000-Seelen-Ort Presovo gebracht oder erreichen ihn zu Fuß. Nach ihrer Registrierung im völlig überfüllten Erstaufnahmezentrum, das maximal 1.000 Leute fasst, haben sie zwei Möglichkeiten: in Serbien um Asyl anzusuchen oder das Land innerhalb von 72 Stunden zu verlassen.
Versorgung nur für Frauen und Kinder
Die meisten wollen das Land verlassen und reisen weiter zur serbisch-ungarischen Grenze - um spätestens dort erneut festzusitzen. Wenn der ungarische Grenzzaun demnächst fertiggestellt ist, wird es für die Flüchtlinge fast unmöglich sein, weiter nach Westeuropa zu reisen. Und so werden sich neue Routen öffnen, voraussichtlich durch Albanien und Kroatien.

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Die Männer sind auf sich allein gestellt - sie müssen sich selbst versorgen
Im Lager in Presovo werden nur Frauen und Kinder mit Essen versorgt. Für die Männer gehe es sich einfach nicht aus, erläutert der Vorsteher der serbischen Grenzpolizei. Die Sicherheitsbeamten haben die Leitung des Lagers inne und versuchen mit militärischer Strenge, für Ordnung zu sorgen. Im Mutter-Kind-Haus ist Platz für 35 Flüchtlinge. Nur die allerwenigsten haben die Chance auf ein Bett dort, die meisten Kinder lagern mit ihren Eltern auf der Wiese des Areals.

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Trotz der verzweifelten Lage bewahren die Flüchtlinge die Ruhe
Kleinkinder in bedenklichem Zustand
Es gibt auch viele allein reisende Frauen mit Kindern hier. Die Ärzte und das Pflegepersonal des Militärs versuchen, die Menschen so gut es geht zu versorgen. Vor allem Babys werden in der provisorisch eingerichteten Krankenstation behandelt. Viele von ihnen wurden auf der Flucht geboren, sind ausgetrocknet, hungrig und wund - es gibt viel zu wenige Windeln.
Die Flüchtlinge verhalten sich trotz der katastrophalen Umstände auffallend geduldig und harren viele Stunden, manchmal sogar Tage in der langen Schlange aus, die zur Registrierung führt. Oft müssen sie ohne Wasser und sonstige Versorgung auskommen, viele kollabieren in der Hitze. Die Menschen haben eine anstrengende Flucht hinter sich.
Verzweifelte Fluchtversuche
Über die Türkei gelangen die meisten von ihnen auf eine der Ägäis-Inseln, vor allem auf Kos, Lesbos und Samos, die nur wenige Kilometer von der türkischen Küste entfernt liegen. Die Strände der Inseln sind mittlerweile gesäumt von Schwimmwesten und Gummireifen, mit denen die Flüchtlinge versuchen, auf eigene Faust die gefährliche Passage nach Griechenland zu schaffen.

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Die Fluchtrouten ändern sich - und die Mafia reagiert
Mit der Fähre geht es weiter nach Athen; Busse und Taxis bringen die, die es sich leisten können, an die griechisch-mazedonische Grenze. Nach den Eskalationen der vergangenen Woche hat Mazedonien die Grenze geöffnet, die Menschen können derzeit den Grenzübergang bei Idomeni ungehindert passieren und werden auf ihrem Weg von zahlreichen Hilfsorganisationen versorgt.

Grafik: Map Resources/ORF; Quelle: Frontex
Flüchtlingsrouten im Wandel
Mafia setzt auf neue Route
Doch in Presovo landen alle, und spätestens ab hier wird die Reise zu einem Spießrutenlauf. Die albanische Mafia - sie organisiert die Schlepperei auf der Balkan-Route und verdient damit Millionen - hat sich seit letzter Woche aus den Wäldern rund um Idomeni und Gevgelija zurückgezogen und ist nach Norden an die serbisch-ungarische Grenze weitergewandert. Viele Flüchtlinge berichten von Übergriffen und Entführungen.
Durch Ungarns Bemühungen, Flüchtlinge an der Grenze aufzuhalten, wird die Lage noch unübersichtlicher. Ungarn erwägt, sogar die Armee gegen Flüchtlinge einzusetzen. Landespolizeikommandant Karoly Papp gab am Mittwoch in der Hauptstadt Budapest bekannt, dass bis Mitte September sechs „Grenzjäger“-Einheiten mit 2.100 Mann einsatzbereit sein sollen. Die erste Sperrlinie des 175 Kilometer langen Zaunes, der gerade errichtet wird, ist ebenfalls fast fertig. Die Transitrouten ändern sich - die dramatische Lage der Flüchtlinge in Presovo bleibt gleich.
Cornelia Krebs, Serbien (Ö1)
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