Eine Sammlung stellt sich vor
Seit 1999 hat die Albertina eine eigene Fotosammlung, die über die Jahre durch Ankäufe und Übernahmen von Sammlungen auf über 100.000 Objekte angewachsen ist. Gezeigt hat man die Bestände bisher nur sporadisch. Ab sofort sollen die neu geschaffenen 450 Quadratmeter großen „Galleries for Photography“ vier fixe Fotoausstellungen pro Jahr beherbergen.
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Bis vor Kurzem waren hier Arbeiten von Lee Miller zu sehen, sozusagen als „Probelauf“, nun wird es hochoffiziell: Mit „Black & White“ stelle das Haus erstmals die Spitzen seiner eigenen Sammlung aus, meint Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder. Weitere Highlights sollen in den kommenden Jahren folgen, denn: „Man könnte noch 100-mal so eine hochkarätige Ausstellung allein aus unseren Beständen bestücken“, erklärte Schröder bei der Pressekonferenz sichtlich stolz.

Albertina, Wien/Minor White
„Zwei Scheunen bei Dansville“, Minor White, New York 1955
Die Schau ist als „Director’s Choice“ konzipiert, die Kuratoren Walter Moser und Astrid Mahler halfen bei der Auswahl. Neben großen Namen wie Henri Cartier-Bresson, Rudolf Koppitz und Helmut Newton wollte man vor allem die thematische und historische Vielfalt der Sammlung zeigen. Und die reicht von frühen Wiener Stadtaufnahmen bis zu neuen Arbeiten von Manfred Willmann, dem jüngsten Künstler der Schau, die vor allem einen interessanten Überblick über die Geschichte der Schwarz-Weiß-Fotografie darstellt.
Vorläufer von Google Earth und Photoshop
1850 gelangten die ersten Fotografien in den Besitz der Albertina, im selben Jahr begannen auch die Abrissarbeiten an der Wiener Stadtmauer, die im Auftrag der K. K. Hof- und Staatsdruckerei fotografisch dokumentiert wurden. Die Faszination des jungen Mediums, das erst elf Jahre davor geboren worden war, bestand damals freilich noch in der realitätsgetreuen Herstellung der Bilder, wie Moser, Leiter der Fotosammlung, erzählt.
Der österreichische Fotograf Paul Pretsch etwa gab sich zu dieser Zeit den Anspruch, ganz Wien durch die Fotografie zu dokumentieren. „Eigentlich ist das, überspitzt formuliert, das gleiche Konzept, das Google Earth auszeichnet“, so Moser, „nur leider mit den damaligen Mitteln nicht umsetzbar.“ Nachsatz: „Er ist dann auch bankrott gegangen.“
Jahrzehnte später schuf Lucia Moholy eine ihrer bekannten Bauhaus-Fotografien im Auftrag von Walter Gropius, die den Prinzipien der Neuen Sachlichkeit folgten. Auch hier ging es um die Dokumentation von Architektur; Schärfe, Präzision und Klarheit standen im Zentrum, allerdings nun vorrangig aus künstlerischer Perspektive. Um die kubische Form des Gebäudes noch stärker zu betonen, wurde der Himmel aufwendig mechanisch retuschiert. „Das macht deutlich, dass der Wirklichkeit schon damals gerne auf die Sprünge geholfen wurde“, meint Moser. Weit aufwendiger als Photoshop zwar, aber mit demselben Zweck und Ziel.
Bildkompositionen wie gemalt
Bis sich die Fotokunst als solche etabliert hatte, dauerte es allerdings seine Zeit. Zunächst galt es Ende des 19. Jahrhunderts, allmählich die ästhetische und künstlerische Qualität der Fotografie zu entdecken. Fotografen wie Heinrich Kühn und andere Vertreter des Piktorialismus schufen impressionistisch-verschwommene Landschaftsaufnahmen und Porträts, stets mit dem Bestreben, die junge Fotografie der altehrwürdigen Malerei gleichzusetzen und somit aufzuwerten.

Albertina, Wien
„Die Schauspielerin Sibylle Binder“, Trude Fleischmann, um 1935
Kühns Fotos sind durchkomponiert bis ins kleinste Detail und sehen dabei aus wie spontan geschossene Aufnahmen. Zum Beispiel ein Bild, das zwei seiner vier Kinder beisammen sitzend zeigt. „Die Kinder mussten dafür ganz bestimmte Kleidung tragen, die sich im richtigen Maß vom Hintergrund abhob“, erzählt Mahler. Auch die Körper durchschneiden das Bild in einem harmonischen Verhältnis, sodass die Gesamtkomposition der eines Gemäldes aus dem 19. Jahrhundert gleicht. „Diese Art der Bildkomposition wurde bis in die Zwischenkriegszeit fortgeführt“, so Mahler.
Rudolf Koppitz etwa, berühmter Schüler und später Lehrer der „Graphischen“, schuf seine fotografischen Tanz- und Körperstudien ebenfalls als akribische Kompositionen, deren Sogwirkung man sich bis heute kaum zu entziehen vermag. Die Albertina zeigt gleich mehrere dieser Studien in der aktuellen Schau.
Schwerpunkt Street Photography
Bis die strenge Komposition der künstlerischen Spontanität wich und Fotografen wie Gary Winogrand und Robert Frank begannen, ihre Bilder unvermittelt aus der Hüfte zu schießen, sollten weitere Jahrzehnte der Fotografiegeschichte vergehen. Das Genre der Street Photography bildet einen Schwerpunkt in der Sammlung der Albertina, die unter anderem Werke von Schlüsselfiguren der Fotografie wie William Klein enthält.
Robert Franks Fotoserie „The Americans“ besteht aus Aufnahmen aus dem US-amerikanischen Alltag vor dem Hintergrund des Kalten Krieges. Anstelle schöner Arrangements und Retusche hielt er auch Missstände wie Armut und Rassismus fest und stellte sich damit klar gegen das offizielle Bild der USA, das nach außen getragen werden sollte. Nicht verwunderlich also, dass sein Bildband zunächst in Frankreich und erst geraume Zeit später in den USA publiziert wurde.
Voyeurismus und ironische Überhöhung
Die Straße ist auch der bevorzugte Schauplatz der Fotografin Lisette Model. 1940 emigrierte sie von Paris nach New York, wo sie auf sehr voyeuristische Art und Weise fotografierte. So wie die beiden Herren in „Sammy’s Bar“ in schwarzen Sakkos, Krawatte und Fliege, jeweils eine Margerite ans Revers geheftet. Die leichte Untersicht, mit der sich Model ihren Objekten stets näherte, verleiht ihnen ein mächtiges Doppelkinn, die große Nähe zu den Gesichtern bringt Falten und andere physiognomische Eigenheiten zur Geltung.
Voyeuristisch mutet auch Newtons überdimensionale Fotografie „Big Nude XI“ aus dem Jahr 1993 an. Der bekannte Modefotograf wandte sich später dem Akt zu. Unverkennbar etwa in diesem Aktfoto ist seine an der Werbe- und Modefotografie geschulte Ästhetik, gleichzeitig aber wird durch Pose und Bildkomposition eine ironische Überhöhung deutlich, die die Aufnahme erst speziell macht.
Vielfalt statt Schwerpunkte
Insgesamt ist die chronologisch angeordnete Ausstellung eine interessante Überblicksschau über unterschiedliche Epochen, ästhetische Zugänge, Themen und Techniken der Fotografie über mehr eineinhalb Jahrhunderte hinweg. Den berühmten roten Faden freilich vermisst man ebenso wie eine inhaltliche oder zeitliche Eingrenzung.
Vielmehr scheint das vorherrschende Motto, salopp formuliert, zu lauten: „Schaut her, was wir alles haben“, von Wolfgang Suschitzky über Cartier-Bresson bis zu Daido Moriyama, einem der wichtigsten zeitgenössischen japanischen Fotografen – eine eigene Ausstellung zu japanischer Fotografie folgt übrigens 2016.
Hinweis
„Black & White“, bis 17. Jänner 2016, Albertina Wien, täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs bis 21.00 Uhr.
Bewusste Brüche und Widersprüche
Das Konzept der Fülle und Vielfalt statt Struktur macht die Ausstellung leicht konsumierbar, deshalb jedoch nicht weniger interessant. An den Ausstellungswänden hängen ausdrucksstarke Meisterwerke der frühen und aktuellen Fotografie, etliche Eyecatcher, viele wirken wohlbekannt und vertraut.
Und manche Details eröffnen sich erst auf den zweiten Blick, sowohl innerhalb der einzelnen Bilder als auch in der Ausstellung an sich. Mit bewusst gesetzten Blickachsen sollen die Brüche und Widersprüche zwischen ähnlichen Sujets unterschiedlicher Epochen hervorgehoben werden. Zum Beispiel wenn ein Akt von Newton quer durch den Ausstellungsraum dem eines Koppitz gegenübergestellt wird.
Judith Hoffmann, ORF.at
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