Kritik an beiden Seiten
Noch bis 13. September läuft in Deutschland, Bulgarien, Rumänien und Italien das größte Luftwaffenmanöver der NATO in Europa seit 1989, dem Ende des Kalten Krieges. Knapp 5.000 Soldaten aus elf Ländern sind daran beteiligt. Auch Russland setzt unverändert auf groß dimensionierte Militärübungen und hat gleichzeitig mit der NATO-Übung ein Manöver gemeinsam mit China im Pazifik gestartet.
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Sowohl Russland als auch die NATO rasseln derzeit wieder laut mit den Säbeln. Auf beiden Seiten sind Dichte und Ausmaß von Manövern in die Höhe geschossen. Während die Nordatlantikpakt-Staaten Militärübungen in einer Größenordnung wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr veranstalten, werden bei Russland vor allem Ad-hoc-Übungen misstrauisch beäugt, bei denen schnell große Truppenkontingente mobilisiert werden. Immer öfter äußern kritische Stimmen Besorgnis und erinnern an den Kalten Krieg.
Im Zentrum der derzeit laufenden NATO-Operation „Swift Response 15“ stünden das Training schneller Reaktionsfähigkeit in Luftlandeoperationen sowie die multinationale Zusammenarbeit unter NATO-Partnern, so das deutsche „Bundeswehr-Journal“. Ziel sei es, die Möglichkeit der Allianz zu „schnellen Einsätzen für ein starkes und sicheres Europa“ zu demonstrieren, hieß es in der US-Erklärung.
China und Russland im Pazifik
Alexei Puschkow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der russischen Staatsduma, kommentierte das Luftmanöver auf Twitter mit den sarkastischen Worten, die NATO würde damit ein ausdrucksstarkes Signal der „Friedfertigkeit“ an die Welt schicken.
Gleichzeitig lässt allerdings auch Russland die Muskeln spielen. Letzte Woche startete ein gemeinsames Pazifik-Militärmanöver mit China. Dazu liefen sieben Kriegsschiffe, darunter Torpedoboote und Zerstörer, in den Hafen von Wladiwostok ein. Insgesamt sollen bei der bis zum 28. August dauernden Operation 22 Schiffe, 20 Flugzeuge, an Land 40 gepanzerte Fahrzeuge und über 500 Seeleute teilnehmen. Man wolle damit unter anderem lernen, „sich ohne Dolmetscher zu verständigen“, so Vizeadmiral Alexander Fedotenkow.

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Ankunft der chinesischen Flotte in Russland
Wie die NATO wollen auch Russland und China unter anderem den Einsatz von Luftlandetruppen üben, außerdem seien Schießübungen auf See geplant. Fedotenkow sprach von einem „beispiellosen Manöver“ in der Zusammenarbeit der benachbarten Atommächte Russland und China. Tatsächlich haben die beiden Länder in der letzten Zeit ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Verbindung zunehmend gestärkt. Roman Martow, Kapitän der russischen Pazifikflotte, betonte unterdessen, dass das Manöver gegen niemanden gerichtet sei und sich keiner fürchten müsse.
„Gefährliche Eigendynamik“ befürchtet
Erst Mitte August veröffentlichten Sicherheitsexperten des European Leadership Network (ELN), eines Londoner Thinktanks, eine Analyse der jüngsten Übungsaktionen zwischen der NATO und Russland. Darin äußert die Organisation die Befürchtung, die stetig zunehmenden Machtdemonstrationen von NATO und Russland könnten eine gefährliche Eigendynamik entwickeln.
Die jüngsten Manöver zeigten Anzeichen dafür, dass beide Seiten mit Blick auf die Fähigkeiten des jeweils anderen und vermutlich sogar mit Kriegsszenarien im Hinterkopf trainieren würden. Das könnte zu einer „Dynamik des Misstrauens und der Unberechenbarkeit“ führen und würde außerdem dazu beitragen, dass die Spannungen in der Ukraine anhalten würden.
Zehnmal mehr russische als NATO-Operationen
Der Bericht des ELN wurde von der NATO-Zentrale vehement zurückgewiesen. NATO-Operationen würden einen Krieg nicht wahrscheinlicher machen - das Gegenteil sei der Fall. Die Gleichsetzung von russischen und von der NATO ausgehenden Militärmanövern erfolge außerdem fälschlicherweise. Russland habe für heuer bereits zehnmal so viele Operationen angekündigt wie das Bündnis und würde außerdem nukleare und nuklearfähige Waffen ins Spiel bringen.
Man suche keine Konfrontation mit Russland, sondern den Dialog. Das Land habe allerdings mit Gewalt Grenzen verschoben, wiederholt Separatisten unterstützt und damit gedroht, Nuklearraketen nahe an der Grenze der Bündnispartner zu installieren. Als Antwort darauf habe man die Präsenz im Osten verstärkt, um die kollektive Verteidigungsfähigkeit zu stärken. Alle militärischen Aktivitäten der NATO seien „angemessen, defensiv und vollkommen in Einklang mit unseren internationalen Verpflichtungen“, so eine Sprecherin.
Massives NATO-Training im September
„Swift Response 15“ (ausschließlich eine Luftwaffenübung) ist allerdings nicht das letzte Manöver mit einem Superlativ. Von 28. September bis 16. Oktober ist „Trident Juncture“, die größte NATO-Übung seit 13 Jahren, geplant. 36.000 Soldaten aus 35 Ländern werden daran teilnehmen, stattfinden wird die Übung in Italien, Portugal, Spanien sowie Kanada, Norwegen, Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Schauplätze werden auch der Atlantik und das Mittelmeer sein. Mit dem Großmanöver will sich das Militärbündnis auf der Weltbühne beweisen - und Stärke zeigen.
In dem Manöver geht es laut dem deutschen Oberstleutnant Harald Kammerbauer um einen Krieg um Wasserrechte zwischen zwei fiktiven Ländern, die geografisch in Afrika liegen sollen. „Es geht wirtschaftlich bergab, wird politisch instabil, es bilden sich Terroristengruppen“, sagt Kammerbauer. Auch Drohnen, organisierte Kriminalität und Cyberattacken sollen Teil der Simulation sein. „Das ist ein ganz komplexes Szenario“, sagte Kammerbauer. Experten hätten für die Simulation ganze Bücher niedergeschrieben. „Da steht dann sogar der Chefredakteur drin, der in einem Land ständig Propaganda betreibt“, sagte Kammerbauer.
NATO-Hauptquartier in Litauen angekündigt
Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise haben sich besonders die Beziehungen zwischen den baltischen Ländern und Moskau zunehmend angespannt, weswegen die NATO ihre Präsenz dort kontinuierlich ausbaut. Mitte August wurde die Eröffnung eines neuen Stützpunkts in Litauen für schnelle Krisenreaktionen angekündigt. Es wird das sechste im Bau befindliche Hauptquartier im östlichen Bündnisgebiet. Neben Litauen gibt es Standorte im restlichen Baltikum, in Polen, Rumänien sowie Bulgarien.
Carter ortet ernsthafte Bedrohung
US-Verteidigungsminister Ashton Carter sieht sich unterdessen an den Kalten Krieg erinnert. Seiner Ansicht nach stellt Russland eine „sehr, sehr ernsthafte Bedrohung“ dar. Die USA müssten ihre militärischen Kapazitäten an der russischen Aggression ausrichten, so Carter Mitte August in Washington. Russlands Präsident Wladimir Putin verhalte sich mit seinen Aktionen in der Ukraine wie ein echter Gegenspieler.
Zur Abschreckung richteten die USA ihre Kräfte gemeinsam mit der NATO an der Ostflanke des Bündnisses in einer Weise neu aus, wie es das seit dem Endes des Kalten Krieges nicht mehr gegeben habe, sagte Carter. „Wir hätten vor einem Vierteljahrhundert nicht für möglich gehalten, dass das nötig sein würde“, sagte Carter. Gleichwohl arbeiteten die USA mit Russland weiter bei verschiedenen Themen wie etwa Iran oder Nordkorea zusammen.
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