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„Kein Land kann Probleme alleine lösen“

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) übt vor der am Mittwoch in Wien beginnenden Westbalkan-Konferenz scharfe Kritik an Athen. An Griechenlands Grenzen würden Flüchtlinge einfach „durchgewinkt“. Das Land müsse verstärkt gegen Schlepper vorgehen. „Nicht überrascht“ zeigte sich der Minister von der Tatsache, dass Ungarn einen Zaun an seiner Grenze errichtet.

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Wenn es in der EU keinen ganzheitlichen Ansatz in der Flüchtlingsfrage gebe, „dann sind Staaten ja gezwungen, Einzelmaßnahmen zu setzen“ , sagte Kurz in einem Interview mit der APA. Auf die Frage, ob er erwarte, dass durch den Zaun zwischen Ungarn und Serbien weniger Flüchtlinge nach Österreich kommen, antwortete Kurz: „Das kann durchaus sein, dass dadurch diese Route natürlich schwieriger für die Flüchtlinge und insbesondere für die Schlepper wird.“ Der Außenminister kritisierte Griechenland scharf, „Dublin und sämtliche andere Regelungen im Flüchtlingsbereich“ zu verletzen.

„Es braucht schleunigst eine ordentliche Grenzsicherung an der griechischen Außengrenze. Es braucht einen ordentlichen Kampf gegen die Schlepper an der Westbalkan-Route“, sagte Kurz. Bei seinem Besuch in Mazedonien habe er selbst erfahren, wie Flüchtlinge nicht einmal mehr nach Athen gebracht würden. Stattdessen bringe sie eine Fähre direkt nach Thessaloniki, jener Hafenstadt, die am Nächsten an Mazedonien liege. Von hier würden die Menschen einfach „durchgewinkt“, bis sie ihre Zielländer Österreich, Deutschland und Schweden erreichen. Es sei „absurd, dass auf unserem Kontinent Flüchtlinge in Massen von einem EU-Land in ein Nicht-EU-Land fliehen“, erklärte Kurz. Es brauche „dringend ein gesamteuropäisches Vorgehen“.

„Westbalkan-Staaten nicht links liegen lassen“

Kurz sieht die am Donnerstag offiziell beginnende Westbalkan-Konferenz in Wien als „weitere Chance, in Brüssel das Bewusstsein zu schaffen, dass es nicht nur die Italien-Mittelmeer-Route gibt, sondern vor allem auch die Westbalkan-Route“. Die EU dürfe den Ländern des Westbalkans nicht die „Perspektive rauben“ und sie „ein bisschen links liegen“ lassen, wie es derzeit in der Flüchtlingsfrage der Fall sei. Österreich sei schon aus Eigeninteresse „besonders aktiv“, den Balkan-Staaten zu helfen.

Ohne EU-Perspektive sieht Kurz die Gefahr, „dass sich das eine oder andere Land von sich aus abwendet“. Noch größer sei aber die Gefahr von radikalislamischen „Außenstellen“ in Ländern wie Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. „Wir müssen, was den Kampf gegen IS betrifft, was den Kampf gegen Radikalisierung betrifft, mit der Region zusammenarbeiten, weil sonst schaut’s für uns selbst bald sehr düster aus.“

IS-Gefahr nicht „dramatisieren“

Auf die Frage nach der möglichen Einführung „punktueller Kontrollen“ an den Staatsgrenzen sagte Kurz: „Punktuelle Kontrollen sind kein Problem. Sie sind aber auch noch keine Lösung für diese Krise.“ Das Europa ohne Grenzen innerhalb des Schengen-Raums lebe definitiv von ordentlichen Außengrenzen. „Und wenn diese Außengrenzen nicht ordentlich gesichert sind, dann ist natürlich auch diese Idee gefährdet.“

Bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise vermisst der Außenminister die Mithilfe vieler anderer EU-Staaten. Viele Länder seien nicht von der Flüchtlingskrise betroffen und hätten daher wenig Bewusstsein für die große Herausforderung. Dieses Bewusstsein müsse geschaffen werden. Gelinge es nicht, die Krise schnell unter Kontrolle zu bringen, dann gefährde das „vieles, was wir an Europa schätzen und kennen“. Kein Land könne die derzeitigen Problemen alleine lösen.

Neben einem „Kampf gegen die Fluchtursachen“ brauche es ein „Aktivwerden in den Herkunftsländern“ sowie ein „ordentliches Vorgehen“ gegen Schlepper in Griechenland. Die Gefahr, dass mit den Flüchtlingen auch Terroristen des Islamischen Staates einsickern, will Kurz weder „dramatisieren“ noch „schönreden“. Es sei gut, dass die Geheimdienste ein Auge auf das Problem hätten.

Situation nicht mit den 1990er Jahren vergleichbar

In den 1990er Jahren hatten Hundertausende Menschen auf der Flucht vor den Kriegen auf dem Balkan in Österreich Zuflucht gefunden. Die Situation sei allerdings „nicht eins zu eins“ mit der damaligen vergleichbar, sagte Kurz. Damals sei abzuschätzen gewesen, wie hoch die Zahl der Flüchtlinge insgesamt sein kann, „weil da nur eine beschränkte Zahl an Menschen gelebt hat“. Ein entscheidender Punkt sei zudem gewesen, dass damals absolute Kriegsflüchtlinge in ein fast unmittelbares Nachbarland gegangen seien.

Der Außenminister betonte, die „Sorgen der Menschen“ zu verstehen. Im Gegensatz zu den Balkan-Kriegen würden heute selbst Kriegsflüchtlinge auch aus ökonomischen Überlegungen nach Österreich kommen. Millionen Menschen seien auf der Flucht vor dem IS. In vielen Ländern sei die wirtschaftliche Lage schlechter als in Mitteleuropa. „Es gibt also zu Recht ein Gefühl, dass niemand vorhersehen kann, wie viele da noch kommen könnten“, sagte Kurz. Menschen, die bereits in Österreich seien, müssten bestmöglich integriert werden. „Hier ist kein Platz für Hetze oder Ausländerfeindlichkeit. Aber genauso ist es legitim, dass wir sagen, wir müssen als Europäische Union aktiv werden, um diese Flüchtlingsströme dauerhaft einzuschränken“, so Kurz wörtlich.

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