„Die Route, die die meisten wählen“
Die Vereinten Nationen (UNO) erwarten, dass in den kommenden Monaten bis zu 3.000 Flüchtlinge pro Tag in Mazedonien ankommen. „Das ist die Route, die die meisten Menschen wählen“, sagte die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming, die am Dienstag in Genf gleichzeitig kritisierte, dass Mazedonien derzeit weitgehend alleinegelassen werde.
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Angesichts der Notlage Tausender Flüchtlinge in mehreren europäischen Staaten warf der UNHCR der EU in diesem Zusammenhang eine verfehlte Migrationspolitik vor. Die Europäer müssten sich zu einer solidarischen Teilung der Lasten der Flüchtlingskrise durchringen. Fleming zufolge sei es „klar, dass dies von keinem Land allein gelöst werden kann und dass rasch eine umfassende europäische Reaktion erfolgen muss“. Vor allem müsse Staaten geholfen werden, deren Möglichkeiten erschöpft seien - wobei Fleming neben Mazedonien auch Griechenland und Serbien namentlich nannte.

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Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze
Über Serbien Richtung EU
Nach Einschätzung des UNHCR ist derzeit kein Ende der starken Fluchtbewegung über die Grenze zwischen dem EU-Land Griechenland und Mazedonien Richtung Nord- und Mitteleuropa in Sicht. Die Menschen würden weiterhin in Gruppen von 300 bis 400 Personen in Zügen und Bussen durch Mazedonien nach Serbien reisen, um von dort in verschiedene EU-Staaten zu gelangen.
„Wir sehen nicht, dass der Zustrom der Menschen in den kommenden Monaten abreißen wird“, sagte Fleming. Als Grund nannte sie die anhaltende Gewalt in Syrien und im Irak sowie die sich verschlechternde Lage für die Flüchtlinge in den Zufluchtsländern Türkei, Jordanien und Libanon.

Grafik: Map Resources/ORF; Quelle: Frontex
Eine der Hauptflüchtlingsrouten auf dem Balkan führt derzeit von Griechenland über Mazedonien und Serbien nach Ungarn
Nach UNHCR-Schätzungen hatten am Wochenende mehr als 7.000 Menschen Serbien erreicht, wo sie versuchten, mit Bussen und Zügen weiter ins EU-Land Ungarn zu kommen. Dienstagfrüh seien weitere 1.500 in ein Aufnahmelager in Presevo gebracht worden, nachdem sie zu Fuß aus Mazedonien die Grenze überquert hätten, berichtete der serbische TV-Sender RTS.
Laut der Tageszeitung „Vecenrnje novosti“ sind im August bisher 26.000 Flüchtlinge und damit fast doppelt so viele wie im Juli (15.000) nach Serbien gekommen. Laut dem serbischen Flüchtlingskommissar Vladimir Cucic halten sich Flüchtlinge nach der Registrierung aber kaum mehr als drei Tage in Serbien auf. UNHCR-Angaben zufolgen brauchten derzeit dennoch rund 10.000 Flüchtlinge in Serbien humanitäre Hilfe.
Serbischer UNHCR-Chef: Noch keine Krise
Ungeachtet der stark gestiegenen Zahl von Flüchtlingen will der serbische UNHCR-Chef Hans Friedrich Schodder dennoch noch nicht von einer Krise sprechen, eine „ernsthafte Bedrohungen für die Sicherheit und Gesundheit der Flüchtlinge“ sei aber nicht mehr auszuschließen.
Schodder zufolge ist derzeit viel von der künftigen Lage an der Grenze zu Ungarn und den anderen EU-Staaten abhängig. Beobachter befürchten vor allem eine Zuspitzung der Lage an der ungarischen Grenze. Die Behörden in Ungarn arbeiten an einem 175 Kilometer langen Stacheldrahtzaun, um die Grenze zu Serbien abzuriegeln.

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Wasserverteilung in einem provisorischen Flüchtlingslager an der serbisch-mazedonischen Grenze
Auch Serbien fordert verstärkte EU-Hilfe
Serbiens Premier Aleksandar Vucic sieht sich angesichts des bereits vielfach kritisierten ungarischen Grenzzauns unterdessen an „vergangene dunkle Zeiten“ erinnert. Als Folge des Grenzzauns würden die Flüchtlinge heute schon zwei oder drei Tage länger in Serbien bleiben. „Aber sie finden immer noch genug Lücken in der ungarischen Grenze. Sie werden noch andere Routen finden, über Kroatien oder Rumänien“, sagte Vucic im Interview mit der „Presse“ (Mittwoch-Ausgabe).
Die auch von Vucic eingeforderte verstärkte internationale Unterstützung dürfte unterdessen am Mittwoch auch auf der Agenda der in Wien stattfindenden Westbalkan-Konferenz stehen, zu deren Gästen neben Vucic und Serbiens Außenminister Ivica Dacic auch dessen mazedonischer Amtskollege Nikola Poposki zählt.
Über 2.500 Flüchtlinge nach Ungarn weitergereist
Mazedonien hatte am Donnerstag seine Grenze zu Griechenland geschlossen, so dass sich im Grenzgebiet Tausende Flüchtlinge sammelten, die über Tage im Freien übernachten mussten. Am Samstag wurde der Andrang so groß, dass Mazedonien nachgab und die Flüchtlinge wieder ins Land ließ. Tausende Flüchtlinge suchten sich daraufhin einen Weg durchs Land nach Serbien, um weiter nach Ungarn zu reisen.
Unmittelbar vor der Fertigstellung des umstrittenen Grenzzauns kommen derzeit durch die wenigen noch nicht abgeriegelten Bereiche besonders viele Flüchtlinge in das EU-Land. Nach 2.093 Flüchtlingen am Montag seien am Dienstag 2.533 Flüchtlinge aufgegriffen worden, die über die grüne Grenze aus Serbien gekommen waren, wie von den zuständigen Behörden am Mittwoch mitgeteilt wurde. Ungarn registrierte in diesem Jahr bereits mehr als 100.000 Asylsuchende - mehr als doppelt so viele wie 2014. 2012 kamen gerade einmal 2.000 Flüchtlinge in Ungarn an.

Reuters/Ognen Teofilovski
Warten auf einen freien Zugsplatz auf dem Bahnhof im mazedonischen Gevgelija
Bulgarien schickt Soldaten an Grenze
Auch das EU-Land Bulgarien befürchtet angesichts der jüngsten Entwicklung nun eine erhöhte Anzahl an Flüchtlingen aus Mazedonien, das blieb bisher aber aus. Dennoch reagierte auch Bulgarien am Dienstag auf die Flüchtlingssituation im Nachbarland Mazedonien und schickte Soldaten und Panzerfahrzeuge an seine Grenze. Insgesamt 25 Militärangehörige und mehrere „leicht gepanzerte Fahrzeuge“ sollten an vier Grenzübergängen den Grenzschutz unterstützen, teilte das Verteidigungsministerium in der Hauptstadt Sofia mit.
Es handle sich um eine „vorsorgliche Maßnahme“. Sollten viele Flüchtlinge den Weg über die Grenze suchen, könne das Aufgebot verstärkt werden. Ministeriumssprecher Daniel Stefanow sagte, die eingesetzten Soldaten sollten hauptsächlich den Grenzschutz trainieren. Es sei nicht vorgesehen, dass sie entlang der Grenze patrouillierten oder Patrouillen begleiteten.
Keine Entspannung auf Mittelmeer-Route
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) erinnerte unterdessen auch an die anhaltend kritische Flüchtlingssituation im Mittelmeer, die angesichts der Lage in Mazedonien derzeit aus dem medialen Fokus geraten ist. Wie IOM am Dienstag mitteilte, haben seit Jahresbeginn 2.373 Bootsflüchtlinge bei dem Versuch ihr Leben verloren, Europa auf dem Seeweg zu erreichen. Das seien 292 Todesopfer mehr als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX hat in der vergangenen Woche nach eigenen Angaben 3.400 Flüchtlinge vor der Küste Libyens aus dem Mittelmeer gerettet.
EU bietet Ungarn Finanzierung von Auffanglager an
Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande setzten zur Entschärfung der Flüchtlingskrise unterdessen auf von der EU finanzierte Auffanglager in Italien und Griechenland. Der Vorstoß wurde von der EU-Kommission ausdrücklich gelobt - am Dienstag wurde nun auch Ungarn ein als „Hotspot“ bezeichnetes EU-Aufnahmelager angeboten. „Wir sind bereit, in Ungarn einen ‚Hotspot‘ zu schaffen, weil das Land Unterstützung braucht“, sagte eine Kommissionssprecherin in Brüssel.
Noch gebe es der Sprecherin zufolge keinen Antrag aus Ungarn. Es könnten aber rasch Experten entsandt werden, um die Einrichtung vorzubereiten. Bisher wurde nur im italienischen Catania ein solcher „Hotspot“ errichtet, ein zweiter ist im griechischen Piräus geplant. Die Auffanglager sollen von der EU finanziert werden und der Registrierung dienen. Nur die Flüchtlinge mit Aussicht auf Asylschutz sollen weiterreisen dürfen, die anderen sollen zurückgeschickt werden.
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