Europa fehlen die Antworten
In der Flüchtlingskrise sehen sowohl die Türkei als auch die Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften (IFRC) die Europäische Union (EU) am Zug. Die EU müsse ihre Grenzen öffnen und ihrer Verantwortung gerecht werden, sagte der Chef des für Flüchtlinge zuständigen türkischen Katastrophenschutzes, Fuat Oktay.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Die Türkei hat inzwischen mindestens zwei Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Das Land sei alleine gelassen worden, als betreffe die Angelegenheit nur sie, kritisierte Oktay. Dabei habe die Türkei das Flüchtlingsproblem weder zu verantworten, noch könne sie es alleine lösen. „Es handelt sich um eine menschliche Tragödie.“ Für viele syrische Flüchtlinge ist die benachbarte Türkei die erste Anlaufstelle. Der Katastrophenschutz unterhält an der Grenze zwei Dutzend Flüchtlingslager, die von den Vereinten Nationen als vorbildlich gelobt werden.
Politik der offenen Tür gefordert
Die Regierung in Ankara habe für die Flüchtlingshilfe seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im März 2011 sechs Milliarden Dollar (5,43 Mrd. Euro) ausgegeben, führte Oktay aus. An Hilfen von anderen Ländern einschließlich der EU habe sie aber nur 418 Millionen Dollar (373 Mio. Euro) erhalten. Der Behördenchef verwies auf die Praxis der Türkei, Flüchtlinge aus humanitären Gründen ins Land zu lassen.
Eine solche Politik der offenen Tür würde es der EU ermöglichen, das Ausmaß des Problems zu erfassen, und sie dazu anhalten, sich um eine Lösung des Grundproblems im Syrien-Konflikt zu kümmern. „Wenn die EU der Türkei zur Seite stehen würde, diente das direkt ihren eigenen Interessen.“
Viele Flüchtlinge suchen von der Türkei aus über das Mittelmeer den Weg zu den nahe gelegenen griechischen Inseln. Die schon unter einer schweren Schulden- und Wirtschaftskrise ächzende Regierung in Athen hat die EU-Partnerländer um Hilfe gebeten.
„Müssen Gleichgültigkeit beenden“
Auch IFRC-Generalsekretär Elhadj As Sy sieht die EU am Zug und machte „Gleichgültigkeit“ für die größte Flüchtlingskrise in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verantwortlich. Der dramatische Anstieg der Flüchtlingszahlen und die große Zahl der im Mittelmeer Ertrunkenen seien vorhersehbar gewesen, sagte Sy der Nachrichtenagentur AFP. „Wir müssen die Gleichgültigkeit beenden“, forderte er. „Wann werden alle aufwachen und sich klar werden, dass das eine wahre Krise ist?“
Die Antworten der Europäer auf die Krise würden bisher „auch nicht annähernd dem Ausmaß der Probleme“ gerecht, beklagte Sy. Die europäischen Staaten gehörten zu den reichsten Ländern auf der Welt und seien bestens ausgerüstet, um mit dem Ansturm der Menschen fertig zu werden. Europa „kann viel mehr und viel besser machen“, sagte Sy.
Wunsch nach „Revolten und Wut“
Angesichts von allein in diesem Jahr 2.400 Ertrunkenen im Mittelmeer wünsche er sich „Revolten und Wut“ nicht nur in Europa, sondern auch in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, sagte der IFRC-Generalsekretär. Das Vorgehen gegen Schlepper an bestimmten Punkten werde nichts bringen, zeigte sich Sy überzeugt. „Heute ist es Griechenland, morgen kann es schon ein anderer Ort sein.“ Die Schlepper arbeiteten ständig an neuen Routen. Der einzige Weg, den Schlepperbanden das Handwerk zu legen, sei die Ausweitung legaler Wege zur Migration.
Links: