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The Prodigy als Running Gag

Von den alten Strukturen der Musikwelt ist kaum etwas übrig. Und längst wird Popkultur vom Publikum breiter rezipiert. Wurde der Hip-Hop-Tag des ersten Frequency-Festivals anno 2001 zum kommerziellen Fiasko, so ist die Vorfreude auf den heurigen Auftritt von Kendrick Lamar umso größer. Und war man als Heranwachsender einst ein Niemand, so ist man heute immerhin eine Zielgruppe der Wirtschaft.

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The Prodigy werden es böllern lassen, als ob die 1990er Jahre nie vorübergegangen wären. Einen ähnlichen Veteranenstatus bringen The Offspring und Linkin Park mit. Im Nightpark machen elektronische Beats die Nacht zum Tag. Und auch heuer will eine Unzahl an jungen Bands entdeckt werden, während das Publikum in vielerlei Hinsicht konsumiert.

Fans beim Frequency-Festival 2014

APA/Herbert P. Oczeret

Auf dem Festivalgelände werden auch heuer etwa 100.000 Besucher erwartet

Die 15. Austragung des FM4 Frequency Festival setzt wieder auf die bewährten Zutaten. Eine fehlt allerdings: Die in der Vergangenheit ungemein oft gebuchten britischen Publikumslieblinge Placebo spielen dieses Jahr ausnahmsweise nicht. Ein Umstand, auf den in Foren scherzhalber öfter hingewiesen wird als auf die heurigen Headliner. Dabei ist es gar nicht so lange her, da galt all das als Gegenentwurf zum landläufigen Musikgeschehen. In den 15 Jahren des Frequency-Festivals ist in der Popwelt kaum ein Stein auf dem anderen geblieben.

Geschäft mit der Distinktion

Dabei ist es ohnehin ein kulturelles Gesetz, dass Gegenentwürfe im Lauf der Zeit zu Hauptentwürfen werden. Größere Veranstaltungen im Bereich Alternative Music konnte man um die Jahrtausendwende noch an einer Hand abzählen. Dass das Geschäft mit dieser als authentisch wahrgenommenen und daher zum Distinktionsgewinn tauglichen Popmusik kommerziell ausbaufähig ist, lag allerdings auf der Hand. Nicht zuletzt, weil FM4, das diese musikalische Nische bedient, um die Jahrtausendwende auf ein 24-Stunden-Programm umstellte und entsprechende Quoten zeitigte.

Kendrick erobert St. Pölten

Damals erkannten auch Veranstalter das Zukunftsfeld: Anfang Juni 2001 war die Wiener Arena Austragungsort für das erste Frequency Festival vor wenigen tausend Leuten. Heute ist es das größte Popfestival des Landes, das an drei Tagen über 100.000 Besucher nach St. Pölten zieht.

Fans beim Frequency-Festival 2014

APA/Herbert P. Oczeret

Im Vorjahr mussten die Festivalbesucher dem Regen trotzen

Aus der Genrebezeichnung Alternative wurde schon in den frühen Nullerjahren der Alternative Mainstream, der ohnehin kaum stilistische Grenzen erlaubt. Umso größer war dieses Jahr die Freude, als das Festival das Engagement von Kendrick Lamar verkündete. Kein US-Hip-Hopper erweckt derzeit mehr Aufsehen. Sein Rezept: Er vermeidet die mit dem Genre verbundenen platten Klischees. Lamar bedient sich auch bei Soul und Funk. Das ergibt in Summe eine Musik, die unmittelbar verstanden wird.

Als Gitarre noch Hip-Hop ausstach

Doch 2001 in der Arena zählte noch die klare Abgrenzung: Aufgeteilt in einen gitarrenlastigen Pop- und einen Hip-Hop-Tag, herrschte eine strikte Trennung zwischen engen und weiten Beinkleidern – auch Dresscodes besaßen damals noch etwas Gültigkeit. Doch während Bands wie Blumfeld und 2-Raumwohnung vor einer vollen Open-Air-Arena spielten, wurde tags darauf die Strahlkraft des Hip-Hop überschätzt.

Fans beim Frequency-Festival 2014

APA/Herbert P. Oczeret

Veteranen wie The Offspring treffen bei der diesjährige Frequency-Ausgabe auf Shootingstar Kendrick Lamar

Afrob, Eins Zwo und Co. hatten mit den Vorverkaufszahlen ebenso zu kämpfen wie mit durch Regen ausbleibendes Publikum. Der Hip-Hop-Tag floppte damals grandios. Die Veranstalter ergriffen die Flucht nach vorn: Das Frequency zog im Jahr 2002 an den Salzburgring und wurde dank prominenten Bookings wie Die Ärzte und Sportfreunde Stiller zum Großfestival, das in erster Linie die Gitarren walten lässt.

Lagerdenken in Genres ist aufgehoben

In welch engen Korsetten Popkultur zu Beginn der Nullerjahre gedacht wurde, zeigte das Jahr 2003, als ein Metallica-Konzert kurzfristig aufs Frequency verlegt wurde. Das Raunen der angestammten Festivalgeher war groß. Die Band passe nicht aufs Frequency, lautete der Tenor. Wenn ein Hardrock-Publikum auf zartbesaitete Alternative-Kids trifft, dann könne das nicht gutgehen. Es ging, wie in den meisten Fällen des Kulturpessimismus, trotzdem gut.

Dabei folgt das Festival heuer mit dem Engagement von Kendrick Lamar ohnehin nur geänderten Hörgewohnheiten. Heute passiert im Pop alles gleichzeitig. Das Lagerdenken in Genres scheint aufgehoben. Musik entwickelte sich aufgrund der Digitalisierungswelle zu einem immer und gratis zur Verfügung stehenden Gut, das entsprechend intensiv konsumiert wird. Und ausbleibende globale Musiktrends machten Popkultur im letzten Jahrzehnt zu einer Remixkultur, die ihre Inspiration und Ästhetik vor allem in der Vergangenheit sucht und findet. Damit erübrigt sich jede zeitliche Verortung. Alles ist immer möglich. Auch das massive Gebaren der Werbewirtschaft an Ort und Stelle stört da niemanden mehr.

Nostalgie mit Volksfestcharakter

All diese Entwicklungen verleihen einem Festival wie dem Frequency viele Funktionen. Für angestammte Festivalgeher dient die Musik als Erinnerungsmaschine. Schließlich bilden Pop und Nostalgie längst eine untrennbare Einheit. Während sich die einen im Gestrigen suhlen, hören die anderen die Vergangenheit nach oder wollen entdecken. Letztere gelten beim Frequency als Minderheit. Denn Geheimnis ist es keines, dass es hier in erster Linie um das Volksfest geht, dem eine klar ersichtliche Hemmungslosigkeit innewohnt.

Johannes Luxner, ORF.at

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