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Dostum hat alte Rechnung offen

Die radikalislamischen Taliban haben seinerzeit die Herrschaft von Abdul Rashid Dostum im Norden Afghanistans beendet, nun will der berüchtigte Milizenführer und mittlerweile Vizepräsident in seinen eigenen Feldzug gegen sie ziehen. Die Folgen eines solchen Privatkriegs sind unabsehbar.

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Dostum, der schon nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen 1979 in der Armee, danach mit seinen Milizen im afghanischen Bürgerkrieg und später gegen die Taliban gekämpft hatte, habe monatelang versucht, die Regierung zu einer Offensive gegen die Extremisten im Norden des Landes zu bewegen, schrieb die „New York Times“ diese Woche.

Nachdem er aber offenbar beim Nationalen Sicherheitsrat seines Landes kein Gehör gefunden habe, habe er nun selbst das Heft in die Hand genommen - gemäß dem Motto „Zurück zu den Wurzeln“. Er habe schon im Juli seine Milizen zu den Waffen gerufen, seinen Palast in der Provinz Jowzjan an der Grenze zu Turkmenistan in eine Kommandozentrale verwandelt und angekündigt, von dort aus seinen Kampf gegen die Taliban in den Nachbarprovinzen Faryab und Sar-i Pul zu koordinieren. Zahlreiche lokale Milizen, viele von ihnen mit schwerer Bewaffnung, und das „trotz einer teuren Entwaffnungskampagne“, schrieb die US-Zeitung, hätten sich ihm angeschlossen.

Neue Büchse der Pandora?

Nun stelle sich die große Frage, ob die Milizen - oft mit ganz eigenen Interessen und in wechselnden Allianzen - den regulären Sicherheitsapparat respektieren würden, oder ob sie ein Chaos anrichten würden gleich jenem, das seinerzeit den Taliban in den 1990er Jahren zu ihrem Aufstieg verholfen hatte. Jedenfalls sorgten die Pläne des früheren Warlords nicht nur innerhalb der afghanischen Regierung, sondern auch unter westlichen Diplomaten für ernste Bedenken.

Afghanistans Präsident, Aschraf Ghani Ahmadsai, und sein Vize, Abdul Raschid Dostum

Reuters/Omar Sobhani

Dostum (l.) und Ghani bei ihrer Vereidigung im Vorjahr

Vor allem Präsident Ashraf Ghani versuche, Dostum zu bremsen, doch der wolle sich nicht mit repräsentativen Auftritten in der Feldherrenrolle zufriedengeben, zumal die Taliban in den letzten Monaten im Norden des Landes wieder stärker geworden sind. Dostum wolle nicht zusehen. „Bis zu 9.000 Mann haben sich hier gesammelt“, sagte Dostum bei einem seiner raren öffentlichen Auftritte. „Sie wollten nach Faryab gehen und gegen die Taliban kämpfen. Aber was kann ich tun? Der Präsident erlaubt es nicht.“

Erst gegen die Taliban, dann mit ihnen

Die Situation in der Provinz sei mit den unterschiedlichen involvierten Milizen und „fließenden Loyalitäten“ inzwischen „derart chaotisch“, dass sie an die Kämpfe der 1990er Jahre, die Hunderttausende Menschenleben gefordert hatten, erinnerten. Nach Schätzungen kämpfen in der Provinz rund 3.000 Taliban, unterstützt von etwa 500 ausländischen Kämpfern, teils mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS), ihnen gegenüber stünden rund 5.000 Milizionäre.

Beide Seiten stünden einander, was Gewalt gegen Unschuldige und Plünderungen betrifft, kaum um etwas nach. Es gebe eine Art „Tradition“: Wenn die Taliban ein Dorf angegriffen hätten, hätten sie geplündert und Häuser in Brand gesteckt, die Milizen hätten später dasselbe gemacht. Ein weiteres Problem seien die wechselnden Allianzen. Nachdem die Regierung zwei Milizen mit etwa 12.000 Schuss Munition ausgestattet habe, sei eine auf die Seite der Taliban gewechselt und habe die andere angegriffen, hieß es in der US-Zeitung.

Noch eine alte Rechnung offen

Der britische „Guardian“ schrieb, an Dostum erinnerten sich seine Gegner und Menschenrechtsorganisationen am besten wegen seiner „skrupellosen Milizen, die während des Bürgerkriegs geplündert und vergewaltigt haben“ und 2002 Hunderte gefangene Taliban in Transportcontainern ersticken hätten lassen. Die Toten wurden in Massengräbern in der Wüste verscharrt.

Dostum hatte schon im afghanisch-sowjetischen Krieg (1979 bis 1989) gekämpft, seine Miliz wurde als reguläre Truppe in die afghanische Armee integriert, er wurde zum General ernannt. Im afghanischen Bürgerkrieg (1989 bis 2001) kämpfte seine Truppe in unterschiedlichen Landesteilen, Dostum übernahm die Stadt Mazar-i Sharif und weitete seinen Einflussbereich in den Nordprovinzen aus. 1997 musste er vor den Taliban ins Exil fliehen, 1998 kehrte er zurück und musste abermals fliehen. Nach dem Sturz des Taliban-Regimes 2001 kehrte er wieder zurück und stellte seine Miliz neu auf. Sein Einfluss in der Region ist bis heute ungebrochen.

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